438
Indem der VA den verwaltungsinternen Bereich verlässt und gleichsam nach außen tritt, wird er rechtlich existent. Mit der Bekanntgabe des VA an den Adressaten oder einen sonstigen Betroffenen entfaltet er diesen gegenüber seine äußere Wirksamkeit. Das bedeutet, er ist diesen Personen gegenüber jeweils verbindlich[247]. Dabei kann bei VAen mit Doppel- oder Mehrfachwirkung (s.o. Rn 367) die äußere Wirksamkeit individuell divergieren: Existent ist der VA bereits, wenn er einem Betroffenen bekanntgegeben wurde. Die äußere Wirksamkeit gegenüber den weiteren Betroffenen tritt hingegen nur dann ein, wenn der VA auch ihnen bekanntgegeben wurde. Relevant wird die äußere Wirksamkeit beim Rechtsschutz. Denn Rechtsmittelfristenwerden grundsätzlich durch die Bekanntgabe ausgelöst (vgl. § 70 Abs. 1 und § 74 Abs. 1 VwGO).
439
Von der äußeren Wirksamkeit, die grundsätzlich mit der Bekanntgabe eintritt, zu unterscheiden ist die innere Wirksamkeit. Sie bezieht sich auf die Verbindlichkeit der getroffenen Regelung. Sie fällt zwar regelmäßig mit der äußeren Wirksamkeit zusammen, kann aber auch von dieser abweichen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn von einer Genehmigung erst ab einem bestimmten Zeitpunkt Gebrauch gemacht werden darf. Zudem tritt die innere Wirksamkeit gemäß § 43 Abs. 3 nicht ein, wenn ein Nichtigkeitsgrund nach § 44 vorliegt (dazu ausf. Rn 546 ff)[248].
Beispiel:
Dem Bauherrn wird am 10. Mai 2019 eine Baugenehmigung bekanntgeben, wonach er mit dem Bau ab dem 1. August 2019 beginnen darf. Dem Nachbarn, der im Baugenehmigungsverfahren gerügt hat, dass sich das Bauvorhaben zu dicht an der Grundstücksgrenze befinde, wird die Baugenehmigung erst am 15. Mai 2019 bekanntgegeben. Die Baugenehmigung als VA wird am 10. Mai 2019 mit der Bekanntgabe an den Bauherrn rechtlich existent. Zugleich tritt ihm gegenüber äußere Wirksamkeit ein, die Baugenehmigung „gilt“ also für ihn. Da er aber mit dem Bau erst am 1. August 2019 beginnen darf, tritt erst zu diesem Zeitpunkt die innere Wirksamkeit ein. Die innere Wirksamkeit tritt hingegen nicht ein, wenn ein Nichtigkeitsgrund nach § 44 vorliegt, etwa weil die örtlich unzuständige Baubehörde gehandelt hat (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 3). Dem Nachbarn gegenüber tritt die äußere Wirksamkeit erst am 15. Mai 2019 ein. Erst ab diesem Zeitpunkt beginnt für ihn eine etwaige Rechtsmittelfrist zu laufen.
b) Die Beendigung des Verwaltungsverfahrens
440
Nach § 9ist ein Verwaltungsverfahren iSd VwVfG die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines VA oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist. Das Verwaltungsverfahren schließt den Erlass des VA oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein. Auf die einzelnen Rechte und Pflichten des von einem Verwaltungsverfahren betroffenen Bürgers ist an späterer Stelle einzugehen (s.u. Rn 478 ff). Diese Rechte und Pflichten bestehen für den Bürger, solange ein VA noch nicht erlassen(bzw ein öffentlich-rechtlicher Vertrag noch nicht abgeschlossen) worden ist – weil vor Vornahme dieser Handlungen das Verwaltungsverfahren noch „läuft“. Mit dem Erlass des VA ist der Zeitpunkt vergangen, bis zu dem der Bürger spätestens seine Rechte in das Verfahren „einbringen“ kann. Mit dem Erlass des VA ist das Verwaltungsverfahren grundsätzlich beendet. Es kann allerdings unter gewissen Voraussetzungen später fortgeführt werden (sog. Wiederaufgreifen des Verfahrens, dazu Rn 660 ff).
2. Anforderungen an die Bekanntgabe
441
Die Bekanntgabe des VA muss die erlassende Behörde amtlich veranlassen. Sie liegt nur vor, wenn sie mit Wissen und Wollen der zuständigen Behördeerfolgt[249]. Die zuständige Behörde muss aber nicht selbst handeln, sondern kann auch eine andere Behörde zur Vermittlung einschalten[250]. Erfährt der potenzielle Adressat des VA zufällig von einer ihn betreffenden Entscheidung einer Behörde, so liegt eine Bekanntgabe dieser Entscheidung nicht vor[251]
.
Beispiel:
Herr A und Frau B beantragen Hartz IV. Herr A erfährt auf dem Amt, dass alle Anträge abgelehnt worden seien. Er berichtet dieses Frau B. Bekannt gegeben ist die ablehnende Entscheidung der Behörde Frau B erst dann, wenn sie eine entsprechende Entscheidung von der Behörde erhält.
442
Das allgemeine Verwaltungsrecht kennt unterschiedliche Artender Bekanntgabe. Dabei bildet die individuelle Bekanntgabe den Regelfall. Hinzu kommen als besondere Formen der Bekanntgabe die öffentliche Bekanntgabe, die Bekanntgabe von Verkehrszeichen sowie die Zustellung.
a) Die individuelle Bekanntgabe
443
Nach § 41 Abs. 1ist ein VA demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden (§ 41 Abs. 1 S. 2). Daraus ergibt sich für die Behörde die Pflicht, den VA individuell, also dem Betroffenen oder seinem Bevollmächtigten selbst bekannt zu geben. Dazu muss der VA in Entsprechung zu § 130 BGB derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt sein, dass bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist[252]
. Entscheidend ist also die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht hingegen die tatsächliche Kenntniserlangung.
444
Betrifft ein VA mehrere Personen, so ist er allen Personen bekannt zu geben. Für die einzelnen Personen erlangt der VA erst dann Existenz, wenn er ihnen bekannt gegeben wird. Das kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen. Es ist auch möglich, dass der VA nur für einen Teil der gedachten Adressaten wirksam wird.
Beispiele:
• |
VA mit Doppelwirkung (s.o. Rn 439); |
• |
Eigentümerin eines Grundstücks ist eine Erbengemeinschaft. |
445
§ 41 Abs. 2 enthält eine Fiktion der Bekanntgabedes VA bei seiner Übermittlung auf elektronischem Wege oder durch die Post. Unter „Post“ sind externe Dienstleister wie die „Post-AG“ zu verstehen, nicht eine interne „Dienstpost“. Zudem kann die Bekanntgabefiktion auch bei der Einschaltung eines privaten Postdienstleisters eingreifen; Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass dieser Dienstleister nach seinen organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen regelmäßig einen Zugang innerhalb von drei Tagen gewährleisten kann[253]. Die Norm verkörpert allerdings keinen allgemeinen Rechtsgedanken. Die Drei-Tages-Frist – der dritte Tag kann ein Samstag, Sonntag oder Feiertag sein – gilt auch dann, wenn der tatsächliche Zugang vor Ablauf der drei Tage erfolgt ist[254]
. Auf den tatsächlichen Zugang kommt es gemäß § 41 Abs. 2 S. 3 nur nach Ablauf der drei Tage an. Die Frist ist nach § 31 Abs. 1 iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB zu berechnen. § 31 Abs. 3 kommt zur Anwendung. In Zweifelsfällen hat die Behörde gemäß § 41 Abs. 2 S. 3, 2. Hs. den Zugang und seinen Zeitpunkt zu beweisen. Ein substantiierter Vortrag des VA-Adressaten, den VA nicht erhalten zu haben, bewirkt berechtigte Zweifel am Zugang[255]
.
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