13. Der automatisierte Verwaltungsakt
a) Stufen der Automatisierung
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Der stetig zunehmende technische Fortschritt erfasst auch das allgemeine Verwaltungsrecht[203]. Die damit verbundene Automatisierung hat mehrere Stufen durchlaufen: Im Jahre 2002/03 wurde die Übermittlungelektronischer Dokumente in § 3a und in § 37 Abs. 2 S. 1 die elektronische Form anerkannt. Ein subjektives Recht auf elektronische Verfahrensabwicklung hat erstmals im Jahre 2008 in § 71e Einzug in das VwVfG gehalten, war allerdings begrenzt auf das Verfahren vor der einheitlichen Stelle nach §§ 71a ff (s.o. Rn 178). Einen besonders bedeutsamen Schritt der Elektronisierung des Verwaltungsfahrens markierte im Jahre 2013 das E-Government-Gesetz des Bundes. Neben Verpflichtungen zur elektronischen Zugangseröffnung und zur elektronischen Aktenführung wurden dabei auch die Möglichkeiten zur Ersetzung der Schriftform nach § 3a erweitert. Denn die bis dahin erforderliche qualifizierte elektronische Signatur hatte bei Privatpersonen nur geringe Verbreitung gefunden[204]. Den vorläufigen Höhepunkt in dieser Entwicklung bildet die Anerkennung des vollautomatisierten VA im Jahre 2017[205].
b) Der teilautomatisierte Verwaltungsakt
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Bereits heute ist der teilautomatisierte VA Verwaltungswirklichkeit. Er zeichnet sich dadurch aus, dass einzelne Verfahrensschritte automatisiert sind. Beim teilautomatisierten werden die allgemeinen Verfahrensgebote des VwVfG teilweise modifiziert: So kann nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 von einer Abhörung abgesehen werden (zur Anhörung ausf. Rn 491 ff); und gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 5 kann eine Begründung des VA unterbleiben (zur Begründung ausf. Rn 513 ff). Da diese Verfahrensgebote aber jeweils ein rechtsstaatliches Fundament aufweisen, sind die Ausnahmen von ihnen jeweils restriktiv auszulegen, zumal die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel ohnehin bereits mit erheblichen Verfahrenserleichterungen verbunden ist[206].
c) Der vollautomatisierte Verwaltungsakt
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Der vollautomatisierte VA wurde im Jahre 2017 in erster Linie im Hinblick auf Besteuerungsverfahren entwickelt (vgl. § 155 Abs. 4 AO). Er unterscheidet sich vom bereits verbreiteten teilautomatisierten VA dadurch, dass er vollständig durch automatisierte Einrichtungen erlassen wird[207]. Dies mag im Besteuerungsverfahren seine Berechtigung haben; denn dabei handelt es sich in vielen Bereichen um standardisierte Massenverfahren. Im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist der vollautomatisierte VA jedoch auch in § 35aaufgenommen worden (hierzu bereits Rn 293 und Rn 296 bei den VA-Merkmalen). Er kann allerdings nur unter zwei Einschränkungen zur Anwendung kommen: Zum einen muss er durch Rechtsvorschrift zugelassen sein (§ 35a alleine bildet also keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage); zum anderen darf weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum eröffnet sein (zu diesen Handlungsspielräumen s.o. Rn 189 ff). Unabhängig davon eignen sich auch im Geltungsbereich des VwVfG lediglich standardisierte Verfahren als geeignete Anwendungsfelder. Vor diesem Hintergrund müssen geeignete Anwendungsfelder hier zunächst noch ermittelt werden. Insbes. bildet das Baugenehmigungsverfahren kein geeignetes Anwendungsfeld[208].
Ausbildungsliteratur zu IV.:
Barczak, Typologie des Verwaltungsakts, JuS 2018, 238; Beaucamp , Zur Notwendigkeit vorläufiger Verwaltungsakte, JA 2010, 247; Bickenbach , Charakteristik, Unterarten und Unarten des Verwaltungsaktsbegriffs, JA 2015, 481; Eifert , Die Genehmigung im Verwaltungsrecht, JURA 2014, 1127; Nolte/Niestedt , Grundfälle zur Rechtsnachfolge im Öffentlichen Recht, JuS 2000, 1071 und 1172; Peine , Sonderformen des Verwaltungsakts, JA 2004, 417; Schröder , Der vorläufige Verwaltungsakts, JURA 2010, 255; Siegel , Elektronisches Verwaltungshandeln, JURA 2020 (im Erscheinen); Zacharias , Die Rechtsnachfolge im Öffentlichen Recht, JA 2001, 720 (s.a. die Ausbildungsliteratur zu § 12 I.-III.).
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 12 Der Verwaltungsakt: Wesensmerkmale und Vorkommen› V. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
V. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
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Fall 10:
Die Sizilianer Andrea Rossi und Gabriele Di Napoli erhalten auf ihre Anträge hin die deutsche Staatsbürgerschaft. In den Einbürgerungsurkunden sind folgende Aussagen enthalten: 1. Sie werden verpflichtet, Ihren ersten Wohnsitz in Berlin zu nehmen. 2. Sie sind verpflichtet, zu beantragen, Ihren nach deutschem Sprachgebrauch weiblichen Vornamen in einen nach deutschem Sprachgebrauch männlichen ändern zu lassen. Sind diese Aussagen zulässig? Rn 433
414
Fall 11:
Die Ausländerin A erhält eine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik. In der Erlaubnis wird ihr untersagt, als selbstständige Gewerbetreibende tätig zu sein. Welche Rechtsnatur besitzt diese Bestimmung? Rn 434
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Zentrales Merkmal des VA ist die Regelung. Diese bildet die Hauptaussage, nämlich das primär von der Behörde Gewollte. Das Gewollte kann in bestimmter Weise begrenzt sein. Diese Begrenzung erfolgt durch eine Nebenaussage. Solche Nebenaussagennennt das VwVfG in § 36 „Nebenbestimmungen“. § 36 Abs. 2 kennt fünf Nebenbestimmungen: die Befristung, die Bedingung, den Widerrufsvorbehalt, die Auflage und den Auflagenvorbehalt.
Beispiele:
Der Student S bekommt BAföG bewilligt, aber nur für einen bestimmten Zeitraum; A erhält eine Baugenehmigung, aber nur unter der Voraussetzung, dass er eine naturschutzrechtliche Ersatzabgabe zahlt.
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In der verwaltungsbehördlichen Praxisspielen Nebenbestimmungen eine wesentliche Rolle. Sie dienen dem Ausräumen von Gründen, die einem Bescheid zugunsten eines Antragstellers entgegenstehen.
Beispiel:
A beantragt den Bau eines viergeschossigen Hauses, der Bebauungsplan sieht lediglich zweigeschossige Bauweise vor. Die Behörde erteilt die Genehmigung für einen zweigeschossigen Bau.
Im Beispielfall hätte die Behörde die Genehmigung unter Hinweis auf die Festsetzungen des Bebauungsplans ablehnen können, weil ein Versagungsgrund vorlag. Sie gibt dem Gesuch aber statt und räumt den Versagungsgrund durch eine Nebenbestimmung aus.
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Die zentrale Rechtsgrundlagefür die Beifügung von Nebenbestimmungen bildet § 36. Diese Vorschrift greift die zuvor bei den Arten von VAen getroffene Unterscheidung von gebundenen und Ermessensakten (s.o. Rn 395) auf. Absatz 1 behandelt die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen bei gebundenen VAen, Absatz 2 bei Ermessensentscheidungen. – Diese Regelungen greifen nur dann, wenn keine Spezialregelungenvorliegen. So enthält etwa § 35 Abs. 5 S. 2 i.V.m. S. 3 BauGB eine besondere Rechtsgrundlage zur Sicherstellung der baurechtlichen Anforderungen einer Anlage im Außenbereich[209]. Sonderregelungen zu Nebenbestimmungen sind häufig auch im Umweltrecht (zB: § 12 BImSchG[210]) oder im öffentlichen Wirtschaftsrecht (zB § 5 GastG[211]) anzutreffen.
3. Die einzelnen Nebenbestimmungen
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§ 36 Abs. 2 Nr 1 definiert die Befristung als eine „Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt“. Die Rechtswirkungen des VA hängen von einem zukünftigen gewissen Ereignisab, nämlich von einem Anfangstermin – aufschiebendeBefristung – oder von einem Endtermin – auflösendeBefristung[212]. Ein ungewisser Termin ist keine Befristung, sondern eine Bedingung (dazu unter Rn 419). Ein Zeitpunkt ist auch dann bestimmt, wenn er bestimmbar ist, zB der Beginn der Sommerferien in einem bestimmten Bundesland. Das Merkmal „bestimmter Zeitraum“ ist im Normalfall bedeutungslos. Ausnahmsweise kann es Relevanz besitzen, wenn die Zeiträume der Befristung nicht zusammenhängen. Eine kraft Gesetzes bestehende Befristung braucht nicht in den VA aufgenommen zu werden.
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