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Die genaue Zuordnung zu den einzelnen Handlungsformen ist von erheblicher Bedeutung. Insbes. sind die Rechtmäßigkeitsanforderungenauf die einzelnen Handlungsformen zugeschnitten. Trotz struktureller Gemeinsamkeiten ist daher der Prüfungsaufbau unterschiedlich. Die Handlungsformen bilden auch eine wichtige Weichenstellung für den Rechtsschutzvor den Verwaltungsgerichten. Denn sie bestimmen regelmäßig auch die statthafte Klageart. Von besonderer Bedeutung in der Praxis, aber auch im Studium ist der Verwaltungsakt(dazu ausf. §§ 12-16). Er besitzt eine sog. Titulierungsfunktion. Dies bedeutet, dass unter bestimmten Voraussetzung aus ihm vollstreckt werden darf, ohne dass zuvor ein Gericht eingeschaltet worden ist (dazu ausf. § 16).
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 11 Übersicht über die Handlungsformen der Verwaltung› II. Unterteilungen
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Im Mittelpunkt der nachfolgenden Abschnitte stehen öffentlich-rechtliche Handlungsformen. Denn sie bilden zugleich die typischen Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung (§§ 12-22). Bereits dargestellt wurde, dass gleichwohl die öffentliche Verwaltung in bestimmten Konstellationen auch privatrechtlich handeln kann (s.o. Rn 61). Daher wird abschließend auch auf die privatrechtliche Betätigungder öffentlichen Verwaltung eingegangen (dazu ausf. § 23).
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Die öffentlich-rechtlichen Handlungsformen lassen sich ausdifferenzieren in Rechtshandlungen und Tathandlungen. Die Tathandlungen „firmieren“ unter dem Begriff des schlichten Verwaltungshandelns. Zu diesem gehören etwa Mitteilungen der Verwaltung, Berichte, Auskünfte, Warnungen, Auszahlungen von Geldbeträgen, der Abriss eines Hauses durch die städtische Bauverwaltung – sie sind nicht auf einen Rechtserfolg, sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet. Im Gegensatz zu ihnen sind die Rechtshandlungen auf einen Rechtserfolg orientiert.
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Die Rechtshandlungen lassen sich aufteilen in abstrakt-generelle und konkrete Handlungsformen. Abstrakt-generell sind die Satzung und die Rechtsverordnung; sie erfassen, wie es die Gesetze regelmäßig tun, eine Vielzahl von Sachverhalten für eine unbestimmte Zahl von Personen. Hinzu kommen die – allerdings grundsätzlich auf den staatlichen Binnenbereich beschränkten – Verwaltungsvorschriften. Konkretes – also einen speziellen Sachverhalt – regeln der Verwaltungsakt, eine sonstige Willenserklärung, wie zB die Aufrechnung, und der öffentlich-rechtliche Vertrag. Letzterer ist zweiseitig orientiert, die beiden ersten Handlungsformen erfassen einseitige Erklärungen.
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Unterschiedlich beurteilt wird, ob Pläneeine eigenständige Handlungsform bilden. Planungen sind zu verstehen als „vorausschauendes Setzen von Zielen und gedankliches Vorwegnehmen der zu ihrer Verwirklichung nötigen Verhaltensweisen“[1]. Teilweise werden Pläne durch den Gesetzgeber einer bestimmten Handlungsform zugeordnet. So ergehen die bereits angesprochenen Bebauungspläne gemäß § 10 BauGB als Satzung. Und Planfeststellungsbeschlüsse, die insbesondere größere Infrastrukturvorhaben wie Flughäfen oder Fernstraßen zum Gegenstand haben, weisen nach § 74 Abs. 1 S. 1 die Rechtsnatur eines VA auf[2]. Bereits diese Beispiele belegen, dass es keine einheitliche Zuordnung von Plänen zu einer bestimmten Handlungsform gibt[3]. Vielmehr handelt es sich letztlich um „eine offene Kategorie des Verwaltungsrechts mit je nach Typ unterschiedlicher Bedeutung und Bindungskraft“[4]. Im Hinblick auf die Bindungswirkung der Pläne kann wiederum danach unterschieden werden, ob Pläne lediglich Daten und Vorausberechnungen enthalten (indikative Pläne), verbindliche Festlegungen für den Adressaten (imperative Pläne) oder – dazwischen angesiedelt – ein bestimmtes Verhalten ohne Zwang veranlassen wollen (influenzierende Pläne)[5]. Für die juristische Ausbildung besonders relevant sind indessen die imperativenPläne.
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Die zuvor vorgestellten Handlungsformen sind die für die universitäre Ausbildung wichtigsten und werden daher in den nachfolgenden Paragrafen ausführlich behandelt. Ihre Aufzählung ist jedoch nicht abschließend. Vielmehr können sie fortentwickelt und ergänztwerden. In der Praxis wird insbes. die Handlungsform VA stetig weiterentwickelt. Die Rechtsprechung hat den „vorläufigen VA“ sowie den „vorsorglichen VA“ für die Lösung bestimmter Phänomene eingesetzt[6]. Schließlich hat im Jahre 2017 der vollautomatisierte VA in § 35a Einzug gehalten[7].
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Lösung Fall 6 ( Rn 261):
Die Definition des Verwaltungsakts nach § 35 S. 1 geht zwar von einer endgültigen Regelung aus. Es gibt allerdings keinen numerus clausus der Handlungsformen. Neue Handlungsformen sind zulässig, wenn das Gesetz nicht entgegensteht. Für die Handlungsformen gilt der Vorbehalt des Gesetzes nicht. Andere Normen, aus denen sich ein Verbot des vorläufigen VAs ergeben könnte, sind nicht ersichtlich. Der vorläufige VA ist deshalb zulässig. Vgl zum Ganzen Rn 378f.
Ausbildungsliteratur:
v. Mutius , Die Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung, JURA 1979, 55; Ossenbühl , Die Handlungsformen der Verwaltung, JuS 1979, 681; Siegel , Elektronisches Verwaltungshandeln, JURA 2020 (im Erscheinen); Zimmer , Handlungsformen und Handlungsbefugnisse der öffentlichen Verwaltung, JURA 1980, 242.
[1]
Korte , in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VwR I, 13. Aufl. 2017, § 56 Rn 2.
[2]
Neumann/Külpmann , in: S/B/S, § 74 Rn 17.
[3]
Maurer/Waldhoff , § 16 Rn 13.
[4]
Korte , in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VwR I, 13. Aufl. 2017, § 56 Rn 4.
[5]
So die anschauliche Unterteilung bei Maurer/Waldhoff , § 16 Rn 15-17.
[6]
Vert. Hoffmann-Riem , in: ders./Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des VwR, Band II, 2. Aufl. 2012, § 33.
[7]
Hierzu eingehend Schmitz/Prell , NVwZ 2016, 1273 ff. Zum elektronischen Verwaltungshandeln Siegel , JURA 2020 (im Erscheinen).
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 12 Der Verwaltungsakt: Wesensmerkmale und Vorkommen
§ 12 Der Verwaltungsakt: Wesensmerkmale und Vorkommen
Inhaltsverzeichnis
I. Die Bedeutung des Verwaltungsakts
II. Die Funktionen des Verwaltungsakts
III. Die Begriffsmerkmale des Verwaltungsakts
IV. Die Arten von Verwaltungsakten
V. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
VI. Die Bekanntgabe des Verwaltungsakts
VII. Die Wirksamkeit des Verwaltungsakts
271
Fall 7:
B betreibt einen Bäckerladen in Berlin-Kreuzberg. Die große Nachfrage zwingt ihn dazu, sonntags bis 18 Uhr Brot zu verkaufen. Ein Konkurrent weist das zuständige Gewerbeaufsichtsamt auf die Arbeitszeiten des B hin. Nach Überprüfung des Sachverhalts und schriftlicher Anhörung des B untersagt es mit Bescheid, außerhalb der durch das Berliner Ladenöffnungsgesetz erlaubten Zeiten seine Waren zu verkaufen. Zur Begründung verweist die Behörde auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes. Welche Rechtsnatur hat diese Maßnahme? Rn 340
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Fall 8:
Mit dem Begriff „Slot“ wird das Recht beschrieben, mit einem Flugzeug auf einem bestimmten Flughafen starten und landen zu dürfen. Nach deutschem Recht ist für die Vergabe der Slots zuständig der „Flugplankoordinator“ mit Sitz in Frankfurt. Er ist eine private Einrichtung und hat die Erfüllung dieser Aufgabe vom Bundesminister für Verkehr übertragen bekommen. Die neue Fluggesellschaft „Jefferson Airplane“ möchte jeden Morgen um 7 Uhr von Berlin-Tegel aus nach Fleetwood Mac fliegen. Tegel ist um diese Zeit bereits vollständig ausgelastet. Der Flugplankoordinator verweigert den Slot. Welche Rechtsnatur hat diese Verweigerung? Rn 341
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