a) Vollzug durch die Länder als eigene Angelegenheit
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Art. 83 GG legt einen ersten Typ fest, den Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder als deren eigene Angelegenheit. Art. 84 GGnormiert für diesen Fall zunächst, dass die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, also das der Entscheidungsfindung dienende Verfahren, regeln, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrats anderes bestimmen. Die Einrichtung der Behörden legen die Länder häufig durch Landesorganisationsgesetze fest. Das Verwaltungsverfahren ist in den VwVfGen der Länder enthalten[50]. Bundesgesetze mit verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die nach der Aussage des Art. 84 GG also die VwVfGe der Länder verdrängen, gibt es häufig. Es ist in dieser Situation das Problem zu lösen, welches Verfahrensrecht im Einzelfall gilt[51].
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Die Bundesregierung kann hier mit Zustimmung des Bundesrats Allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen[52]. Beim Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheit übt die Bundesregierung die Rechtsaufsichtaus. Sie besitzt also das Recht, das Verwaltungshandeln unter dem Gesichtspunkt der richtigen Rechtsanwendung zu prüfen. Für die Feststellung von Mängeln und ihre Beseitigung stehen ihr spezifische Mittel zur Verfügung: Art. 84 Abs. 3–5 GG.
b) Bundesauftragsverwaltung
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Einen zweiten Typ des Vollzugs von Bundesgesetzen durch die Länder normiert Art. 85 GG: die Landesexekutive im Bundesauftrag, die sog. Auftragsverwaltung. Diesen Typ kennzeichnet, dass die Einrichtung von Behörden Länderangelegenheit ist, Art. 85 Abs. 1 GG. Ferner darf die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats Allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Die Bundesaufsicht erstreckt sich neben der Gesetzmäßigkeit auch auf die Zweckmäßigkeit. Dies hat zur Folge, dass der Bund den Ländern auch dort Vorgaben machen darf, wo sie über einen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum verfügen (dazu ausf. § 8)[53]. Für die Feststellung von Mängeln und ihre Beseitigung stehen dem Bund wiederum spezifische Mittel zur Verfügung. Insbes. unterstehen die Landesbehörden nach Art. 85 Abs. 3 S. 1 GG den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden.
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Da der Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheiten den rechtlichen Regelfall bildet (s.o. Rn 158), muss sich die Zuordnung zur Bundesauftragsverwaltung explizit aus dem GG ergeben. Gegenstände der Bundesauftragsverwaltungsind insbes.[54] der Vollzug des Atomrechts, Art. 87c GG sowie der Vollzug bestimmter steuerrechtlicher Normen, Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG[55]. Die Verwaltung von Bundesfernstraßenwar lange Zeit ebenfalls ausschließlich der Bundesauftragsverwaltung zuzuordnen. Bis zum 31.12.2020 ist jedoch die Verwaltung von Bundesautobahnen zwingend in die bundeseigene Verwaltung zu überführen, Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Art. 143e GG[56]. Im Übrigen, also bei sonstigen Bundesfernstraßen, wird es nach Art. 90 Abs. 3 GG auch darüber hinaus bei der Bundesauftragsverwaltung verbleiben.
c) Bundeseigene Verwaltung
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Ein dritter Typ ist die bundeseigene Verwaltung, Art. 86 GG. In diesem Fall erlässt der Bund wiederum die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Die Einrichtung der Behördenregelt er selbst. Auch hier muss sich die Zuordnung wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses (s.o. Rn 158) aus dem GG ergeben. Allerdings ermöglicht Art. 87 Abs. 3 GG die fakultative Bundesverwaltung für (sonstige) Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung[57]. Obligatorisch der bundeseigenen Verwaltung zugeordnet sind etwa[58] die Bundeswehr und die Bundeswehrverwaltung (Art. 87a und 87b GG), die Luftverkehrsverwaltung (Art. 87d GG) die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Bundeseisenbahnen (Art. 87e Abs. 1 GG) sowie die Verwaltung der Bundeswasserstraßen (Art. 89 Abs. 2 GG). Hinzu kommen wird bis zum 31.12.2020 gemäß Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Art. 143 Abs. 1 GG die Verwaltung von Bundesautobahnen (s.o. Rn 162).
3. Nicht-gesetzesakzessorische Verwaltung
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Die durch das GG bestimmte Kompetenzordnung gilt nicht nur für die gesetzesakzessorische, sondern auch für die „gesetzesfreie“ bzw. nicht gesetzesakzessorische Verwaltung (zum Begriff s.o. Rn 24). Da Art. 83 ff GG lediglich den Vollzug von Bundesgesetzen regeln[59], ist bei der „gesetzesfreien“ Verwaltung auf die Grundsatzregelung des Art. 30 GG zur Kompetenzverteilung im Bundesstaat zurückzugreifen. Auch insoweit sind also grundsätzlich die Länder zuständig[60].
4. Vollzug von Unionsrecht
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Von zunehmender Bedeutung ist der Vollzug unmittelbar geltenden oder umgesetzten Unionsrechts. Dabei gelten Verordnungengemäß Art. 288 UAbs. 2 S. 2 AEUV unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Im Gegensatz dazu müssen Richtliniengemäß Art. 288 UAbs. 3 AEUV grundsätzlich zunächst in innerstaatliches Recht umgesetzt werden (s.o. Rn 82). Im Regelfall wird das Unionsrecht ebenso wie das innerstaatliche Recht durch die Mitgliedstaaten vollzogen. Dieser indirekte Vollzugist nicht nur der praktische Regelfall, sondern wegen der Grundsätze des Art. 5 EUV (s.o. Rn 52) auch rechtlich vorrangig gegenüber dem Direktvollzug durch die Stellen der Europäischen Union[61]. Aufgrund der innerstaatlichen Kompetenzverteilung (s.o. Rn 157) führt dies im Regelfall zur Zuständigkeit der Länder. Beim indirekten Vollzug des Unionsrechts haben die Stellen der Mitgliedstaaten den Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber innerstaatlichem Recht, das Äquivalenzgebot und das Effektivitätsgebot sowie das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung des innerstaatlichen Rechts zu beachten (s.o. Rn 53)[62].
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Demgegenüber bildet der Direktvollzugdurch die Stellen der Europäischen Union den praktischen und rechtlichen Ausnahmefall. Organe dieses Direktvollzugs sind neben der Kommission und den rechtlich ihr zugeordneten Stellen insbes. die Agenturen (s.o. Rn 155). In einigen Materien des Besonderen Verwaltungsrechts ist die Entscheidungsfindung derart komplex, dass am Vollzug sowohl Stellen der EU als auch innerstaatliche Stellen beteiligt sind. Der funktionell geeinte Vollzug des Unionsrechts durch mitgliedstaatliche und unionale Stellen wird auch als Europäischer Verwaltungsverbundbezeichnet[63]. Dabei geht es – anders als beim grundsätzlichen Verbot der Mischverwaltung (s.o. Rn 156) – aber typischerweise um gestufte Verwaltungsentscheidungen. Anzutreffen sind solche Konstellationen regelmäßig noch nicht in den Standardvorlesungen des Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrechts, sondern erst in den späteren Schwerpunktbereichen insbes. des Umweltrechts und des öffentlichen Wirtschaftsrechts. Daher soll an dieser Stelle auf eine eingehendere Behandlung verzichtet werden.
Teil II Grundbausteine des Verwaltungsrechts› § 5 Verwaltungsorganisation› IV. Bestimmung der Zuständigkeit
IV. Bestimmung der Zuständigkeit
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Eine klausurrelevante Frage, die zugleich eng mit der Verwaltungsorganisation verwoben ist, bildet die Bestimmung der Zuständigkeit der handelnden Behörde. Hier ist zu unterscheiden zwischen der sachlichen, der instanziellen und der örtlichen Zuständigkeit. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach den einschlägigen Sachmaterien: Hier ist zunächst die Vorfrage der Verbandskompetenzzu klären, also die Frage, welcher Verwaltungsträger für die betreffende Sachaufgabe zuständig ist: der Bund, das jeweilige Land, ein Träger mittelbarer Staatsverwaltung oder die Europäische Union (s.o. Rn 156ff). Die sachliche Zuständigkeitweist darüber hinaus innerhalb des zuständigen Verwaltungsträgers die Sachaufgabe bestimmten Behörden oder anderen Organen zu: So sind die Polizeibehörden zuständig für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht oder die Bauaufsichtsbehörden für das Bauordnungsrecht.
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