1. Das förmliche Verfahren (§§ 63 ff VwVfG)
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Das förmliche Verwaltungsverfahren ist in §§ 63 ff geregelt. Es verdankt seinem Namen der im Vergleich zum Verfahren nach §§ 10 ff der vergleichsweise starken Formalisierungdurch die Anordnung bestimmter Verfahrensgebote. So sieht etwa § 68 einen Erörterungstermin vor, der im nicht-förmlichen Verfahren nicht durchzuführen ist. Das förmliche Verfahren kommt gemäß § 63 Abs. 1 aber nur zu Anwendung, wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet ist. Da der Gesetzgeber aber nur selten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist auch die praktische Bedeutungdes förmlichen Verfahrens gering[11].
2. Planfeststellungsverfahren (§§ 72 ff VwVfG)
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Weitaus bedeutsamer ist demgegenüber das in §§ 72 ff geregelte Planfeststellungsverfahren. Es knüpft in vielerlei Hinsicht an das förmliche Verwaltungsverfahren an, geht jedoch im Grad der Formalisierungüber dieses hinaus[12]. So enthält etwa § 73 eine (sehr) ausführliche Bestimmung zum Anhörungsverfahren. Es muss gemäß § 72 Abs. 1 zwar ebenfalls vom Gesetzgeber angeordnet werden. Im Gegensatz zum förmlichen Verfahren hat der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit aber sehr häufig Gebrauch gemacht. Insbes. unterliegen viele Infrastrukturvorhaben, wie etwa der Bau von Bundesfernstraßen, der Planfeststellungspflicht (vgl. etwa § 17 Abs. 1 S. 1 FStrG). Da die Bestimmungen des VwVfG zum Planfeststellungsverfahren aber durch viele Sonderregelungen ergänzt oder überlagert werden, ist die Rechtslage sogar für Fachrechtler oftmals nur noch schwer überschaubar[13].
3. Verfahren über eine einheitliche Stelle (§§ 71a ff VwVfG)
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Im VwVfG zwischen dem förmlichen Verfahren und dem Planfeststellungsverfahren angesiedelt ist das Verfahren über eine einheitliche Stelle nach §§ 71a ff. Es verdankt diesen Standort allerdings nicht einer inhaltlichen Nähe zu den beiden es umschließenden Verfahrensarten, sondern dem Zufall, dass die zuvor in §§ 71a ff VwVfG a.F. enthaltenen Vorschriften zur Genehmigungsverfahrensbeschleunigung 2009 aufgehoben worden sind[14]. Die Einführung des Verfahrens über eine einheitliche Stelle beruht auf den Vorgaben der europäischen Dienstleistungsrichtlinie. Die einheitliche Stelle hat die Funktion eines Verfahrenskoordinators für Dienstleister. Bereits der Zusatz „über“ verdeutlicht, dass die Zuständigkeit der für die jeweiligen Verfahren verantwortlichen Behörden unberührt bleibt[15]. Das Verfahren über die einheitliche Stelle muss gemäß § 71a ebenfalls spezialgesetzlich angeordnet werden[16]. Ein entsprechender Anwendungsbefehl findet sich etwa in § 6b GewO[17].
4. Rechtsbehelfsverfahren (§§ 79 f VwVfG)
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Ausdrücklich geregelt sind schließlich die Rechtsbehelfsverfahren gegen Verwaltungsakte in §§ 79 f VwVfG. Allerdings verweist § 79, 1. Hs. VwVfG für diese Verfahren grundsätzlich auf die VwGOweiter und erklärt das VwVfG lediglich im Übrigen für anwendbar. Darin kommt zugleich die Doppelfunktionder Rechtsbehelfsverfahren zum Ausdruck: Sie sind einerseits Verwaltungsverfahren i.S.d. VwVfG, andererseits aber auch Sachentscheidungsvoraussetzung für eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung. Es muss daher bis zur Entscheidung des Gerichts durchgeführt worden sein[18]. Wegen des letztlich verwaltungsprozessualen Schwerpunkts der Rechtsbehelfsverfahren werden sie deshalb üblicherweise in den Lehrbüchern zum Verwaltungsprozessrecht behandelt[19].
Ausbildungsliteratur:
Leist/Tams , Einführung in das Planfeststellungsrecht, JuS 2007, 1093; Pünder , Grundlagen des Verwaltungsverfahrensrechts, JuS 2011, 289.
[1]
Diesen Aspekt nach wie vor betonend Maurer/Waldhoff , § 19 Rn 15.
[2]
Hierzu Hufen/Siegel , Rn 31–34. Rechtsvergleichend Schoenmaker , VerwArch 2019, 36 ff.
[3]
Zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 Ziekow , NVwZ 2013, 754 ff.
[4]
Hierzu sowie zu weiteren Funktionen des Verwaltungsverfahrens Siegel , ZUR 2017, 451. Zur Akzeptanz im Besonderen Zeccola , DÖV 2019, 100 ff.
[5]
Zu den drei Grundarten des Verwaltungsverfahrens Hufen/Siegel , Rn 47.
[6]
Zsf. Pünder , JuS 2011, 289 ff.
[7]
Länderübergreifende Übersicht bei Schubert , in: Erbguth/Mann/Schubert, Rn 1294 ff; Finkelnburg/Ortloff/Otto , Öffentliches Baurecht, Band II, 7. Aufl. 2018, § 7 Rn 91 ff.
[8]
Zur insoweit bis zum 31.12.2016 abweichenden Rechtslage in Berlin Siegel , in: ders./Waldhoff, § 4 Rn 204 ff.
[9]
Übersicht bei Hufen/Siegel , Rn 604–607.
[10]
Vert. Hufen/Siegel , Rn 503 ff.
[11]
Übersicht bei Hufen/Siegel , Rn 568–576.
[12]
Übersicht – allerdings bereits aus dem Jahre 2007 – bei Leist/Tams , JuS 2007, 1093 ff. Vert. Hufen/Siegel , Rn 608 ff.
[13]
Beispiel bei Hufen/Siegel , Rn 641a f.
[14]
Zu §§ 71a ff VwVfG a.F. Maurer/Waldhoff , § 19 Rn 7.
[15]
Zu dieser Abgrenzung zwischen der einheitlichen Stelle im sog. „Front office“ und den sachlich zuständig bleibenden Behörden im sog. „Back office“ Pünder , in: Ehlers/Pünder, § 15 Rn 51.
[16]
Übersicht über das Verfahren bei Schmitz/Prell , NVwZ 2009, 1 ff.
[17]
Hierzu Ehlers , in: ders./Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, 4. Aufl. 2019, § 18 Rn 43.
[18]
Zu dieser Doppelnatur der Rechtsbehelfsverfahren Schenke , VwProzR, Rn 642.
[19]
Hierzu insbes. Schenke , VwProzR, Rn 642 ff, sowie Hufen , VwProzR, § 8.
Teil II Grundbausteine des Verwaltungsrechts› § 7 Handlungsmaßstäbe der Verwaltung
§ 7 Handlungsmaßstäbe der Verwaltung
Inhaltsverzeichnis
I. Bedeutung
II. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
III. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
IV. Allgemeiner Gleichheitssatz
V. Vertrauensschutz
Teil II Grundbausteine des Verwaltungsrechts› § 7 Handlungsmaßstäbe der Verwaltung› I. Bedeutung
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Bei ihrer Tätigkeit muss die öffentliche Verwaltung bestimmte Handlungsmaßstäbe einhalten. Diese sind typischerweise verfassungsrechtlich verankert. Da sie deshalb bereits in den Vorlesungen zum Verfassungsrecht behandelt worden sind, ist die nachfolgende Darstellung auf eine Zusammenfassung der zentralen Inhalte dieser Maßstäbe beschränkt. Einen besonders wichtigen Handlungsmaßstab bildet der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung: Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden. Diese Aussage der Verfassung lässt sich in zwei für die Verwaltung relevante Aussagen ausdifferenzieren, zum einen in die Aussage vom Vorrangdes Gesetzes, zum anderen in die Aussage vom Vorbehaltdes Gesetzes (dazu u. II.). Darüber hinaus ist die öffentliche Verwaltung gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechtegebunden (zur Frage einer etwaigen Lockerung dieser Bindung bei privatrechtlichem Handeln der Verwaltung s.u. Rn 877f). Eine spezifische Folge dieser Grundrechtsbindung ist die Pflicht zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (dazu u. III.). Weitere besonders bedeutsame Handlungsmaßstäbe bilden der allgemeine Gleichheitssatznach Art. 3 Abs. 1 GG (dazu u. IV.) sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes(dazu u. V.).
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