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Satzungen sind Rechtsnormen(also abstrakt-generelle Rechtssätze), die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten erlassen werden. Zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zählen insbes. Gemeinden, die im Rahmen der Vorlesung zum Kommunalrecht behandelt werden (zum Begriff ausf. Rn 139ff). Die Gemeinsamkeit mit Rechtsverordnungen liegt darin, dass auch Satzungen nicht vom parlamentarischen Gesetzgeber erlassen werden und dass es sich damit nicht im Gesetze im formellen Sinne handelt. Der zentrale Unterschied zu Rechtsverordnungenist darin zu sehen, dass bei Satzungen die Rechtsetzungsbefugnis nicht gesondert delegiert wird, sondern bereits in der Berechtigung zur Selbstverwaltung enthalten ist. So haben etwa im Bereich des Kommunalrechts die Gemeinden das Recht, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln[9]. Regelmäßig handelt es sich bei Satzungen um Gesetze im materiellen Sinne. Denn sie legen Rechte und Pflichten zwischen dem Satzungsgeber und den Satzungsunterworfenen fest, wie etwa eine kommunale Satzung zur Nutzung des gemeindlichen Schwimmbads. Eine Ausnahme davon bildet die Haushaltssatzung. Denn sie erzeugt keine Außenwirkung und ist daher auch kein Gesetz im materiellen Sinne[10]. Satzungen gehören einerseits zu den Rechtsquellen des Verwaltungsrechts; andererseits bilden sie auch eine bedeutsame Handlungsform der öffentlichen Verwaltung(dazu ausf. § 21).
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Das Recht zum Erlass von Satzungengestattet den juristischen Personen des öffentlichen Rechts teilweise bereits das Verfassungsrecht: So beinhaltet die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auch das Recht der Gemeinden, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln[11]. Zumeist wird die Satzungsautonomie aber durch einfaches Gesetz eingeräumt. So erlaubt § 55 Abs. 1 der Handwerksordnung (HwO), dass die Handwerksinnungen ihre Verwaltung und die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder durch Satzung regeln[12]. Die Einschränkung des Art. 80 Abs. 1 GG (von ihm war eben mit Blick auf die Rechtsverordnungen die Rede) gilt für Satzungen nicht.
5. Verwaltungsvorschriften
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Verwaltungsvorschriften sind Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete ergehen[13]. Sie dienen dazu, Organisation und Handeln der Verwaltung näher festzulegen. Sie unterscheiden sich jedoch von den bislang vorgestellten Rechtsquellen in wesentlicher Hinsicht: Sie regeln nicht das Verhältnis des Bürgers zum Staat, sondern ihre Wirkung ist auf den Innenbereich der Verwaltung beschränkt. Verwaltungsvorschriften sind freilich mehr als „Nicht-Recht“. Sie spielen eine bedeutsame Rolle im Rahmen des Problems der Selbstbindung der Verwaltung: Diese darf nicht grundlos von einer durch die Beachtung von Verwaltungsvorschriften erzeugten Übung abweichen (zu dieser sog. mittelbaren Außenwirkung s.u. Rn 867). Verwaltungsvorschriften können jedoch aus sachlichen Gründen jederzeit geändert werden[14].
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Verwaltungsvorschriften werden manchmal als solche bezeichnet; teilweise heißen sie auch Erlass, Verfügung, Dienstanweisung, Richtlinie, Anordnung, Anleitung. Auch Verwaltungsvorschriften gehören nicht nur zu den Rechtsquellen, sondern zugleich zu den Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung(dazu ausf. in § 22).
Beispiele:
Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung (VV-BHO)[15]; Erste allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz – Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft)[16].
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Die Existenz von Gewohnheitsrecht und seine Akzeptanz als Rechtsquelle stehen außer Zweifel. Voraussetzungenfür die Anerkennung von Gewohnheitsrecht sind:
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eine lang andauernde und allgemeine Übung (objektives Element); |
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die Überzeugung der Beteiligten von der Rechtmäßigkeit der Übung (subjektives Element); |
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die Formulierbarkeit der Übung als Rechtssatz (formales Element). |
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Das Entstehen von Gewohnheitsrecht setzt fehlendes geschriebenes Recht voraus. Da das Verwaltungsrecht zunehmend kodifiziertwird, schrumpft der Bereich für Gewohnheitsrecht. Es ist indes für das Verwaltungsrecht nicht bedeutungslos: Insbes. das Staatshaftungsrecht besteht zu einem großen Teil aus ungeschriebenen, dem Gewohnheitsrecht zuzurechnenden Regeln; ferner wird das behördliche Hausrecht dem Gewohnheitsrecht zugeordnet. Sich auf Gewohnheitsrecht berufende Entscheidungen sind freilich selten[17].
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Da jede Rechtsordnung lückenhaft ist und weil ferner die Richter jeden Rechtsstreit entscheiden müssen (Verbot der Rechtsverweigerung), sind sie insoweit gezwungen, die Rechtsgrundlage für die Streitentscheidung selbst zu erzeugen, wenn es dem geschriebenen Recht an einer Lösungsgrundlage mangelt. Dadurch entsteht Richterrecht. Keine Rechtsordnung kann auf es verzichten. Seine Existenz und seine Legitimität sind deshalb akzeptiert. Problematisch sind Maß und Grenzen[18].
8. Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts
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Unter dem Begriff „allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts“ werden diejenigen Aussagen zusammengefasst, die prinzipiell für alle Gebiete des Verwaltungsrechts gelten und deren Anwendung nicht auf Sondermaterien beschränkt ist. Diesen allgemeinen Grundsätzen werden folgende Regeln zugeordnet: die Grundsätze über Bestand, Widerruf und Rücknahme von VAen; die Grundsätze über die Nichtigkeit von VAen; die Grundsätze über die Verwirkung im öffentlichen Recht; die Grundsätze über die Selbstbindung der Verwaltung; die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit; die Grundsätze über das Verwaltungsverfahren (rechtliches Gehör, Verbot der Entscheidung in eigener Sache, Interessenkollision, Befangenheit); die Grundsätze über die öffentlich-rechtliche Entschädigung; die Grundsätze über den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch und den Folgenbeseitigungsanspruch; der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Diese Grundsätze werden nach ständiger Rechtsprechung wie geschriebene Normen angewendet[19].
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Heute ist jedoch der Rückgriff auf diese allgemeinen Grundsätze grundsätzlich nicht mehr notwendig, da sie in Gesetzen normiertsind. Insbes. im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sind viele allgemeine Grundsätze aufgenommen worden (zum VwVfG ausf. Rn 98 ff). Soweit es an einer gesetzlichen Normierung fehlt, gelten die allgemeinen Grundsätze entweder als Gewohnheitsrecht oder als Richterrecht. Diese Grundsätze stellen sich zum großen Teil als Konkretisierungen fundamentaler Verfassungsprinzipien dar (Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht).
9. Recht der Europäischen Union
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Das Recht der Europäischen Union, das sog. Europarecht i.e.S.(s.o. Rn 50), bildet eine zunehmend bedeutsame Rechtsquelle des Verwaltungsrechts. Viele Bereiche des Besonderen Verwaltungsrechts werden bereits heute von den unionsrechtlichen Vorgaben geprägt. Besonders weit vorangeschritten ist diese Entwicklung etwa im Umweltrecht[20]. In den zum klassischen Pflichtstoff des Verwaltungsrechts gehörenden Materien ist die Europäisierung zwar weniger stark ausgeprägt. Gleichwohl ist auch hier eine zunehmende Beeinflussung durch das Unionsrecht zu beobachten. Dies gilt etwa für das Polizei- und Ordnungsrecht[21] oder das öffentliche Baurecht[22]. Aber auch in einigen Bereichen des Allgemeinen Verwaltungsrechts ist eine zunehmende Europäisierungzu beobachten: So sind die Vorschriften zur Unbeachtlichkeit von Verfahrensverstößen im Lichte des Unionsrechts eng auszulegen (dazu ausf. Rn 582). Auch bei der Aufhebung von Verwaltungsakten ist das bereits angesprochene Effektivitätsprinzip (s.o. Rn 53) zu beachten (dazu ausf. Rn 649ff).
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