4. Mitverschulden (§§ 839 Abs. 3, 254 BGB)
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Ein Mitverschulden kann insbes. in einer Rechtsmittelversäumung(§ 839 Abs. 3 BGB) liegen. Unterlässt der Geschädigte schuldhaft die Einlegung eines Rechtsmittels und ist dieses Versäumnis kausal für den Schadenseintritt, ist ein Schadenersatzanspruch nach § 839 Abs. 1 BGB und damit auch eine Staatshaftung ausgeschlossen. Der Begriff des Rechtsmittels ist weit zu verstehen. Er umfasst neben den förmlichen auch die formlosen Rechtsbehelfe. Der ursprüngliche Grund des § 839 Abs. 3 BGB – Schutz des finanziell leistungsschwachen Beamten – ist zwar durch die staatliche Haftungsübernahme entfallen. Dennoch kommt dem Haftungsausschluss auch heute noch eine Berechtigung zu. Man kann in ihm eine besondere Ausprägung des § 254 BGB (Schadensminderungspflicht) und/oder die Betonung des Vorrangs des Primärrechtsschutzes sehen.
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Zu den RechtsmittelniSd § 839 Abs. 3 BGB zählen daher insbes. der Widerspruch, die Klagen nach der VwGO, Anträge im Eilverfahren (förmliche Rechtsbehelfe) sowie daneben auch Petitionen, Gegenvorstellungen und Dienstaufsichtsbeschwerden (formlose Rechtsbehelfe). Die Verfassungsbeschwerde stellt dagegen kein Rechtsmittel nach § 839 Abs. 3 BGB dar[115]. Auch bei den in Betracht kommenden Rechtsmitteln genügt nicht die theoretische Möglichkeit einer Erhebung. Diese muss vielmehr auch zumutbarsein. Nicht zumutbar ist die Erhebung einer aussichtslosen Klage[116]. In den „Mobbing"-Fällen richtet sich die Zumutbarkeit nach den Umständen des Einzelfalls[117].
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Jenseits einer Rechtsmittelversäumnis bleibt § 254 BGB neben § 839 Abs. 3 BGB anwendbar[118]
. Im Gegensatz zu § 839 Abs. 3 BGB führt eine sonstige schuldhafte Mitverursachung des Schadensdurch den Geschädigten regelmäßig nicht zu einem Haftungsausschluss, sondern nur zu einer Minderung der Schadenersatzpflicht[119]. Besonderheiten bestehen im Amtshaftungsrecht bei der Anwendung des § 254 BGB nicht, sodass auf das Privatrecht verwiesen werden kann.
Teil IV Recht der öffentlichen Ersatzleistungen› § 27 Der Amtshaftungsanspruch› VI. Umfang des Anspruchs
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Der Inhalt des Anspruchs beurteilt sich nach den allgemeinen Vorschriften des BGB über die Schadenersatzverpflichtung bei unerlaubten Handlungen, §§ 249–255, 842–847 BGB. Ein Unterschied, der oben bereits Erwähnung fand und aus der Anknüpfung der Amtshaftung an die persönliche Haftung des Amtswalters resultiert, besteht insofern, als eine Naturalrestitutiondann ausscheidet, wenn diese in einer Amtshandlung bestünde[120]. Der Anspruch kann nur auf das gerichtet sein, was der Amtswalter als persönlicher Schuldner erbringen kann[121]. Er geht daher regelmäßig auf Geldersatz.
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Die Höhe des Schadenersatzes ergibt sich aus einem rechnerischen Vergleich der durch das schädigende Ereignis eingetretenen Vermögenslage mit der vorher bestehenden, sog. Differenzmethode. Korrigiert wird dieses rein rechnerische Ergebnis durch wertende Überlegungen zum Schutzzweck der Amtspflicht und der Ausgleichsfunktion des Schadenersatzes[122].
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So werden nur Schäden ersetzt, von denen die verletzte Amtspflicht den Bürger freihalten will. Bei der Ermittlung des ersatzfähigen Schadens wird daher der bereits bei der Drittbezogenheit der Amtspflicht herangezogene Schutzzweck ein zweites Mal relevant[123]. Ersatzfähig sind auch Verteidigerkosten, welche dem Geschädigten durch die Amtspflichtverletzung entstanden sind[124]. Der Gedanke der Vorteilsausgleichungkann ebenfalls zu einer Minderung des Haftungsumfangs führen[125]. Er besagt, dass vorteilhafte Umstände, die mit dem schädigenden Ereignis in einem qualifizierten Zusammenhang stehen, anzurechnen sind, soweit die Anrechnung dem Sinn und Zweck des Schadenersatzes entspricht und weder den Geschädigten unzumutbar belastet noch den Schädiger unbillig entlastet.
Teil IV Recht der öffentlichen Ersatzleistungen› § 27 Der Amtshaftungsanspruch› VII. Anspruchskonkurrenzen
VII. Anspruchskonkurrenzen
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Bei Bestehen eines Amtshaftungsanspruchs ist eine Inanspruchnahme des Bediensteten nach §§ 823, 826 BGB ausgeschlossen, da dessen Haftung auf den Staat übergeleitet wurde. Dementsprechend scheidet auch ein Anspruch aus § 831 BGB gegen den Staat aus[126]. – Sonstige Entschädigungs- und Schadenersatzansprüche können neben Art. 34 S. 1 GG iVm § 839 BGB geltend gemacht werden, zB ein Anspruch aus cic, pVV, die gesetzlich geregelt sind; ferner wegen enteignungsgleichen Eingriffs und rechtswidriger Aufopferung[127].
Teil IV Recht der öffentlichen Ersatzleistungen› § 27 Der Amtshaftungsanspruch› VIII. Durchsetzung des Anspruchs
VIII. Durchsetzung des Anspruchs
1. Richtiger Anspruchsgegner (Passivlegitimation)
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Haftungssubjekt ist nach Art. 34 S. 1 GG die Körperschaft, in deren Dienst der Amtswalter steht. Schwierigkeiten bei der Bestimmung dieser Körperschaft und damit des Anspruchsgegners treten auf, wenn ein Amtswalter Aufgaben eines anderen Verwaltungsträgers wahrnimmt, da der Wortlaut des Art. 34 S. 1 GG nicht eindeutig ist. Zur Ermittlung der haftenden Körperschaft werden drei Theorien vertreten. Nach der Funktionstheorie ist darauf abzustellen, wessen Aufgaben der Amtswalter konkret wahrgenommen hat; die Anstellungstheorie fragt danach, wer den Amtswalter angestellt hat, und die vermittelnde Anvertrauenstheoriehält es für entscheidend, welche Körperschaft dem Amtsträger das Amt anvertraut hat, bei dessen Ausübung er amtspflichtwidrig gehandelt hat. Letztere Theorie wird vom BGH in ständiger Rechtsprechung vertreten. Praktisch haftet also regelmäßig die Anstellungskörperschaft, da diese dem Amtswalter das Amt übertragen hat[128]. Nur bei echter Doppelstellung des Amtswalters (mehrere Dienstherren; Beispiel: Landrat in Brandenburg) ist zu fragen, wessen Aufgaben bei der Verletzungshandlung wahrgenommen wurden[129]. Zudem haftet im Falle einer rechtswidrigen Weisung grundsätzlich der Verwaltungsträgerder anweisenden Stelle[130]. Bei Amtswaltern ohne Anstellungskörperschaft (Beispiel: Beliehene) ist entscheidend, wer ihnen die zu erfüllende Aufgabe übertragen hat[131]
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Der Amtshaftungsanspruch ist vor den ordentlichen Gerichtengeltend zu machen, Art. 34 S. 3 GG, § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO. Erstinstanzlich zuständig sind gemäß § 72 Abs. 2 Nr 2 GVG die Landgerichte. Diese Zuweisung an die Zivilgerichte ist wieder historisch damit zu erklären, dass es sich bei der Amtshaftung um eine lediglich übergeleitete private Beamtenhaftung handelt. Da diese Zuweisung zu einer Doppelspurigkeit des Rechtswegs führen kann (Primärrechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten, Sekundärrechtsschutz teils vor den Zivilgerichten, teils vor den Verwaltungsgerichten), ist sie rechtspolitisch fragwürdig.
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Hinsichtlich des Prüfungsumfangs stellt sich die Frage, inwieweit die Zivilgerichte an vorherige Entscheidungen der Verwaltung und der Verwaltungs- und Sozialgerichte gebunden sind. Unstreitig besteht eine Bindung der Zivilgerichtean rechtskräftige Urteile der Verwaltungsgerichtsbarkeit[132] und der Sozialgerichtsbarkeit[133]. Stellt ein derartiges Urteil daher die Rechtmäßigkeit eines VA fest, so ist ein folgender Amtshaftungsprozess, in dem die Rechtswidrigkeit des VA als Amtspflichtverletzung geltend gemacht wird, aussichtslos. Unterschiedliche Auffassungen bestehen, wenn es um die Bindungswirkung eines gerichtlich nicht überprüften, aber in Bestandskraft erwachsenen VA geht. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung steht die Bestandskraft einer Prüfung der Rechtmäßigkeit des VA durch die Zivilgerichte entgegen. Der BGH verneint dagegen eine Bindungswirkung. Begründet wird dies zum einen mit der Unterschiedlichkeit des Regelungsgegenstands des VA und des Streitgegenstands im Amtshaftungsprozess, zum anderen mit § 839 Abs. 3 BGB, der leer liefe, wenn man eine derartige Bindungswirkung annähme[134]
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