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Die Rechtswidrigkeit einer Amtshandlung impliziert in der Regel eine Amtspflichtverletzung und umgekehrt. Dieser Grundsatz gilt allerdings dann nicht, wenn die Pflicht des Amtswalters zu rechtmäßigem Handeln mit seiner Gehorsamspflicht/Weisungsgebundenheit (für Beamte folgt diese aus §§ 62, 63 Abs. 2 BBG, für andere öffentliche Bedienstete aus dem Arbeitsvertrag) kollidiert[65]. Hier geht die Gehorsamspflicht grundsätzlich vor mit der Folge, dass es bei rechtswidrigem, aber weisungsgemäßem Verhalten an einer Amtspflichtverletzung des handelnden Amtswalters fehlt[66]. Die Amtspflichtverletzung wird in solchen Fällen von demjenigen Amtswalter begangen, der die rechtswidrige Weisungerteilt hat. Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise dann, wenn die Rechtswidrigkeit der Weisung offensichtlich ist[67].
Beispiel:
Der Präsident der Bezirksregierung R weist als staatlich übergeordnete Behörde den Beamten B der Stadt A an, eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohnhauses seines Parteifreunds P im Außenbereich zu erteilen, obwohl das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 35 BauGB unzulässig ist. Nachdem die Remonstration des B erfolglos geblieben ist, erteilt B dem P die Baugenehmigung.
3. Drittbezogenheit der Amtspflicht
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Die verletzte Amtspflicht muss gegenüber dem geschädigten Dritten bestehen – Drittbezogenheit der Amtspflicht. Das bedeutet, dass der Amtswalter seine Pflicht nicht nur im Interesse der Allgemeinheit, sondern auch im Interesse des Dritten zu beachten hat[68]
. Ferner muss das verletzte Recht oder Rechtsgut vom Schutzzweck der Amtspflicht umfasst sein[69]
. Die Ähnlichkeitdieser Formulierungen mit solchen im Rahmen der Klagebefugnis zur Ermittlung des subjektiven Rechtsfällt auf[70]; ausdrücklich in diese Richtung tendiert auch der BGH[71]. Als Faustregel lässt sich festhalten, dass die Drittbezogenheit der Amtspflicht dann zu bejahen ist, wenn ein subjektives Recht des Geschädigten betroffen ist. Gegenüber anderen Verwaltungsträgern ist die Drittbezogenheit folgerichtig nur dann zu bejahen, wenn dieser dem Anspruchsgegner in einer dem Bürger vergleichbaren Weise gegenübersteht[72]. Im konkreten Einzelfall ist die Drittgerichtetheit der Amtspflicht durch Auslegung der sie begründenden Vorschriften und der Natur des Amtsgeschäfts zu ermitteln[73]
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Beispiele:
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Pflicht zur Beschaffung eines Kita-Betreuungsplatzes[74] ; |
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Erlass eines rechtswidrigen Bauvorbescheids[75]; |
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Amtsmissbrauch[76]; |
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Pflicht zur Abstempelung von Kennzeichen durch die Zulassungsstelle[77]; |
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Auskunftspflicht eines Bezirksschornsteinfegers[78]. |
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Schwierigkeiten bereitet die Drittbezogenheit der Amtspflichtverletzung beim Erlass abstrakt-genereller Regelungen. Bei Verwaltungsvorschriften fehlt es regelmäßig bereits an der Außenwirkung (s.o. Rn 866)[79]. Aber auch im Übrigen, also beim Erlass von formellen Gesetzen, Satzungen und Rechtsverordnungen lehnt die Rechtsprechung Amtshaftungsansprüche grundsätzlich ab (keine Haftung für legislatives Unrecht). Begründet wird dies damit, dass Rechtsvorschriften lediglich im Allgemeininteresse erlassen werden[80]. Als Ausnahme anerkannt ist der Erlass von Bebauungsplänen, weil der Adressatenkreis hier räumlich beschränkt ist und Bebauungspläne typischerweise sehr konkrete Festsetzungen enthalten (zur Haftung bei nicht ordnungsgemäß umgesetzten Unionsrecht s.u. Rn 983 ff)[81]. Bereits die anerkannte Ausnahme der Bebauungspläne belegt jedoch, dass das Problem eher quantitativer Natur ist: Je individualisierbarer der Adressatenkreiseiner Rechtsvorschrift ist, desto näher liegt die Annahme eines Drittbezogenheit[82]. Besonders evident wird dies bei Maßnahmen- und Einzelfallgesetzen[83].
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Der Amtswalter muss schuldhaft gehandelt haben. Die Amtshaftung ist keine objektive Staatshaftung, sondern eine Verschuldenshaftung. Zwar erwähnt Art. 34 S. 1 GG das Verschulden nicht, jedoch ist Art. 34 S. 1 GG lediglich eine Zurechnungsnorm, welche die Amtswalterhaftung auf den Staat überleitet – eine Amtswalterhaftung besteht nach § 839 BGBaber nur im Fall einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Amtspflichtverletzung. Allerdings verzichtete bereits das Reichsgericht im Interesse des Geschädigten auf die Individualisierung des konkret verantwortlichen Amtswalters[84].
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Ob Fahrlässigkeit gegeben ist, beurteilt sich nach objektiven Maßstäben. Es wird nicht auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des konkret handelnden Bediensteten, sondern auf diejenigen Kenntnisse und Fähigkeiten abgestellt, die im Durchschnitt für die Führung des jeweiligen Amts erforderlich sind (sog. „ pflichtgetreuer Durchschnittsbeamter“)[85]. Die Haftungsbegrenzung nach § 680 BGB auf grobes Verschulden ist weder unmittelbar noch analog anwendbar[86].
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Mangelhafte Rechtskenntnisist fahrlässig, da erwartet werden muss, dass der Amtswalter die für die Ausübung seines Amts einschlägigen Rechtsvorschriften kennt und anwenden kann[87]. Verschulden wegen fehlerhafter Rechtsanwendung soll ferner vorliegen, wenn der Amtswalter von einer höchstrichterlichen Entscheidung[88] oder von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung[89] abweicht. Diese Aussage bedarf jedoch der Einschränkung; sie gilt nur, wenn der Amtswalter sich mit dieser Rechtsprechung nicht ernsthaft auseinandersetzt und zu keiner rechtlich gut vertretbaren anderen Auffassung gelangt. Wird ein Amtshaftungsanspruch auf ein rechtswidriges Verwaltungshandeln gestützt, ist ferner zu beachten, dass die Rechtsprechung ein Verschulden des Bediensteten wegen unrichtiger Rechtsanwendung immer dann verneint, wenn ein Kollegialgerichtsein Verhalten als rechtmäßig beurteilt[90]; zu bedenken ist der reduzierte Prüfungsmaßstab des Kollegialgerichts gegenüber dem Prüfungsmaßstab der Beamten[91]. In neueren Entscheidungen zeigt sich aber die Tendenz, diesen Grundsatz einzuschränken[92].
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Eine Besonderheit stellt das sog. Organisationsverschuldendar. Mängel innerhalb der Verwaltung werden dem jeweiligen Vorgesetzten bzw. dem für die Mängel Verantwortlichen als Verschulden zugerechnet. Es ist ausreichend, wenn der Geschädigte die schuldhafte Amtspflichtverletzung damit begründet, das Gesamtverhalten der Verwaltung habe objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht entsprochen. Die Nennung des Namens des Verantwortlichen ist auch hier nicht erforderlich[93].
Beispiel:
Die personelle Unterbesetzung einer Behörde führt zu einer amtspflichtwidrigen Verzögerung der Bearbeitung von Anträgen. Die verzögerte Bearbeitung kann hier nicht als verschuldete Amtspflichtverletzung des zuständigen Bearbeiters angesehen werden, da dieser keinen Einfluss auf die personelle Besetzung der Behörde hat. Es liegt aber ein Organisationsverschulden vor, das derjenigen Person zugerechnet wird, die für eine ausreichende personelle Ausstattung hätte sorgen müssen.
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