5. Adäquat verursachter Schaden
959
Es muss ein Schaden gegeben sein, der durch die Amtspflichtverletzung verursacht wurde. Die Feststellung der Kausalität des Schadens erfolgt nach der im Schadenersatzrecht geltenden Theorie des adäquaten Kausalzusammenhangs. Nach dieser Theorie ist ein Tun oder Unterlassen dann ursächlich für den eingetretenen Schaden, wenn es nicht hinweggedacht bzw hinzugedacht werden kann, ohne dass der eingetretene Erfolg entfiele und es bei gewöhnlichem Geschehensablauf nach allgemeiner Lebenserfahrung zur Herbeiführung des Schadens geeignet war. Schäden, die auf Grund eines außergewöhnlichen Verlaufs der Dinge eintreten, bleiben damit außer Betracht.
960
In einigen Fällen führen die Feststellung eines adäquaten Zusammenhangs und damit die eventuelle Verpflichtung zum Schadensersatz zu nicht sachgerechten Ergebnissen. Dieser Mangel wird durch den Einwand des sog. rechtmäßigen Alternativverhaltensbehoben[94]. Letztlich handelt es sich nicht um eine Frage der Kausalität, sondern um ein Zurechnungskriterium. Danach wird die Zurechenbarkeit des Schadens dann verneint, wenn der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln der Verwaltung dennoch eingetreten wäre oder hätte eintreten können.
Beispiele:
Verfahrensfehlerhafte Entscheidungen, die bei ordnungsgemäßem Verfahren hätten gleich lautend ergehen müssen[95]; ermessensfehlerhafte Entscheidungen, die auch bei fehlerfreier Ermessensausübung hätten getroffen werden können[96]
, die Zurechenbarkeit ist hier nur zu bejahen, wenn sich das Ermessen auf Null reduziert hat.
961
Besteht die Pflichtverletzung in einem Unterlassen, kann die Kausalität nur hypothetisch ermittelt werden. Sie ist gegeben, wenn ein pflichtgemäßes Verhalten den Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden hätte[97]. Bei Ermessensentscheidungen ist dies nur zu bejahen, wenn auf Grund einer Ermessensreduzierung eine Pflicht zum Einschreiten bestand. Der Einwand „rechtmäßiges Alternativverhalten“ geht hier in der Kausalitätsformel auf[98].
Teil IV Recht der öffentlichen Ersatzleistungen› § 27 Der Amtshaftungsanspruch› V. Haftungsausschlüsse und Haftungsbeschränkungen
V. Haftungsausschlüsse und Haftungsbeschränkungen
1. Sondergesetze (Art. 34 S. 1 GG)
962
Nach Art. 34 S. 1 GG trifft die Verantwortlichkeit für eine Amtspflichtverletzung (nur) grundsätzlich den Staat. Ein Ausschluss der Staatshaftung ist deshalb ausnahmsweise möglich[99]. Der Ausschluss erfordert, da es sich um eine wesentliche Angelegenheit handelt, eine gesetzliche Grundlage[100]
.
Beispiele:
§ 19 Abs. 1 S. 4 BNotO; § 46 Abs. 2 BeamtVG; §§ 5, 7 RBHG; § 12a SchfHwG[101].
2. Subsidiaritätsklausel (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB)
963
Nach der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB besteht bei einfacher Fahrlässigkeit dann kein Amtshaftungsanspruch, wenn der Geschädigte einen Ersatzanspruch gegen einen Dritten hat und die Durchsetzung dieses Ersatzanspruchs dem Geschädigten möglich und zumutbar ist[102]. Liegen die Voraussetzungen des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB vor[103]
, ist eine Haftung des Beamten und damit eine auf den Staat übergeleitete Haftung ausgeschlossen[104]. Der Sinn dieser Vorschrift erschließt sich aus der dargestellten historischen Entwicklungdes Amtshaftungsrechts. Bei Inkrafttreten des § 839 BGB gab es keine allgemeine Staatshaftung; der Beamte haftete nach § 839 BGB persönlich. Die Subsidiaritätsklausel sollte verhindern, dass der Beamte aus Angst vor Fehlern und der ihn dann treffenden Haftung nur zögerlich arbeitet oder überhaupt keine Entscheidung trifft.
964
Seit der Einführung der Staatshaftung hat der Verweis auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit nur in den Fällen seine Berechtigung, in denen eine Eigenhaftung des Beamten in Betracht kommt (bspw. bei sondergesetzlichem Ausschluss der Staatshaftung oder bei fiskalischem Handeln des Beamten). Dennoch lässt die Rechtsprechung dieses Haftungsprivileg auch dem Staat als Schuldner zugutekommen. Allerdings hat der BGH den Anwendungsbereich der Subsidiaritätsklausel durch restriktive Auslegungerheblich eingeschränkt.
b) Ausnahmen von der Subsidiaritätsklausel
965
Daher haben sich bestimmte Fallgruppenherausgebildet, in denen die Subsidiaritätsklausel nicht eingreift. So besteht eine „anderweitige Ersatzmöglichkeit“ i.S.d. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB nur dann, wenn der Zweck des anderen Ersatzanspruchs darin besteht, Schäden endgültig auszugleichen, die durch unerlaubte Handlungen Dritter entstanden sind. Keine „anderweitige Ersatzmöglichkeit“ stellen danach insbes. Lohnfortzahlungsansprücheund Versicherungsansprüchedes Geschädigten dar, sofern Letztere auf eigenen Leistungen des Versicherten beruhen[105]
. Ein anderweitiger Ersatzanspruch ist ebenfalls zu verneinen, wenn sich dieser gegen einen Verwaltungsträger richtet[106]. Hier hat das Verweisungsprivileg keinen Sinn, da immer die öffentliche Hand für den Schaden einstehen muss. Bei der Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr(also nicht bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten nach § 35 StVO) und bei der Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht hat der Gedanke der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung Vorrang und verdrängt § 839 Abs. 1 S. 2 BGB[107]
.
c) Anforderungen an den anderweitigen Ersatzanspruch
966
Für den anderweitigen Ersatzanspruch gelten zwei Besonderheiten: Er muss zunächst in angemessener Zeit realisierbarsein[108]. Daran fehlt es bspw., wenn der Anspruchsgegner vermögenslos ist. Ferner muss die Durchsetzung des Ersatzanspruchs dem Geschädigten auch zumutbarsein. Die Zumutbarkeit lässt sich nur im Einzelfall bestimmen[109]
.
3. Spruchrichterprivileg (§ 839 Abs. 2 S. 1 BGB)
967
Nach dem sog. Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB kommt eine Haftung bei judikativem Unrecht nur dann in Betracht, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftatbesteht. Wegen der Ausrichtung dieses Lehrbuchs auf die öffentliche Verwaltung (s.o. § 2) ist die Haftung für judikatives Unrechthier zwar nur begrenzt relevant, soll jedoch zur Ergänzung kurz dargestellt werden. Das Spruchrichterprivileg bezweckt den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG sowie der Rechtskraft. Aus diesem Grund ist es auf „Urteile in einer Rechtssache“ beschränkt.
b) Reichweite der Ausnahme
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Entscheidungen, die nicht in Rechtskraft erwachsenkönnen, wie zB Haftbefehle oder weite Bereiche der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, scheiden daher aus. Das Gleiche gilt vor dem Hintergrund des Effektivitätsprinzips (s.o. Rn 53) in Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH[110] bei der fehlerhaften Anwendung von Unionsrecht[111]. Die für „Spruchrichter“ i.S.d. § 839 Abs. 2 S. 1 BGB in Betracht kommenden Straftatbeständekonzentrieren sich auf die Richterbestechlichkeitnach § 332 Abs. 2 StGB sowie auf die Rechtsbeugungnach § 339 StGB. Nach § 839 Abs. 2 S. 2 BGB kommt zwar ein Amtshaftungsanspruch wegen pflichtwidriger Verfahrensverzögerung nicht zur Anwendung; in Reaktion auf die Rechtsprechung[112] ist in solchen Fällen jedoch inzwischen in §§ 198 ff GVG eine Entschädigungspflicht vorgesehen[113]. Über die dargestellten Privilegierungen hinaus wird – gestützt auf die richterliche Unabhängigkeit des Art. 97 Abs. 1 GG – die Haftung oftmals begrenzt auf grobes Verschuldenunter Ausblendung der einfachen Fahrlässigkeit[114].
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