Teil IV Recht der öffentlichen Ersatzleistungen› § 27 Der Amtshaftungsanspruch› IV. Tatbestandsmerkmale
IV. Tatbestandsmerkmale
1. Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes
a) Begriff des öffentlichen Amtes
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Art. 34 S. 1 GG verlangt zunächst, dass „jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes“ gehandelt hat. Die Abweichung des grundgesetzlichen Texts von § 839 BGB ist nicht nur sprachlicher, sondern auch inhaltlicher Natur. Während § 839 BGB bei der Eigenhaftung eines öffentlich Bediensteten (eine Eigenhaftung kommt bspw. bei fiskalischem Handeln in Betracht) nur eingreift, wenn der Handelnde Beamter im staatsrechtlichen Sinn ist, also nach den Beamtengesetzen wirksam zum Beamten ernannt worden ist (ansonsten kommen §§ 823 ff BGB zur Anwendung), erweitert Art. 34 S. 1 GG die mittelbare Staatshaftung gegenüber der Beamtenhaftung dahingehend, dass es allein darauf ankommt, ob jemand mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe betraut ist (auch als Beamter im haftungsrechtlichen Sinnbezeichnet). Danach kann „jemand“ ein Beamter, ein Angestellter oder Arbeiter im öffentlichen Dienst, eine Person, die in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht, sein[9].
Beispiele
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Minister[10] ; |
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Parlamentsabgeordnete[11]; |
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Mitglieder einer Gemeindevertretung[12] oder eines Kreistags[13]. |
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Hinzu kommen Privatpersonen, die hoheitlich tätig werden bzw. eine hoheitliche Funktion wahrnehmen. Zu diesen zählen sowohl Beliehene als auch Verwaltungshelfer (zur allerdings nicht unproblematischen weiteren Fallgruppe der sonstigen Erfüllungsgehilfen s.u. Rn 942).
Beispiele:
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für Beliehene:Luftfahrzeugführer (§ 12 Abs. 1 LuftSiG); Jagdaufseher (§ 25 Abs. 2 BJagdG); TÜV-Sachverständiger[14]; |
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für Verwaltungshelfer:Winterdienst für die Straßenräumung[15]; Notarzt im Rettungswesen[16]; sonstige Ersthelfer im Rahmen mobiler Ersthelfersysteme[17]; Schülerlotsen[18]; aufsichtführender Schüler[19]. |
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kein Verwaltungshelferist hingegen ein privates Bauunternehmen bei der behördlich genehmigten Aufstellung eines mobilen Halteverbotsschildes[20]. |
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Entscheidend für das Eingreifen eines Amtshaftungsanspruchs ist daher, dass ein öffentliches Amt ausgeübt wird, also der Handelnde hoheitlich tätigist oder sein Handeln einem Hoheitsträger als hoheitliches Handeln zugerechnet wird[21]. Damit wird die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Handeln des Staats auch im Staatshaftungsrecht zu einem zentralen Problem. Diese Abgrenzung erfolgt grundsätzlich nach den allgemeinen Theorien (s.o. Rn 31 ff)[22]. So ist bei Behandlungsfehlern im Rettungsdiensteinsatz darauf abzustellen, ob der Rettungsdienst nach dem jeweiligen Landesrecht der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen ist[23]. Handelt der Beamte im privatrechtlichen Funktionskreis der Verwaltung, greift Art. 34 GG nicht[24]. Der Beamte haftet dann aus § 839 BGB persönlich[25].
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Der Begriff des Amteshat zwar in erster Linie Ämter im Bereich der Exekutive im Blick. Er ist jedoch nicht von vornherein darauf beschränkt. Für Ämter im Bereich der Judikative ergibt sich dies indirekt aus dem Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB: Danach besteht bei Amtspflichtverletzungen in diesem Bereich nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Einstandspflicht (s.u. Rn 967f). Auch der Erlass einer Rechtsnorm ist ein „öffentliches Amt“. Allerdings dienen hier die einschlägigen Amtspflichten regelmäßig lediglich dem Allgemeininteresse. Sie sind damit nicht drittbezogen (s.u. Rn 954)[26]. Der genaue Anwendungsbereich des Amtshaftungsanspruchs ist jüngst erörtert worden anhand bewaffneter Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte[27]. Hier hat der BGH eine Erstreckung der Amtshaftung auf Soldaten abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass bei der Entstehung beider Normen Streitkräfte nicht im Blickpunkt des Gesetzgebers standen und dass weder aus dem Völkerrecht noch aus dem Grundgesetz ein Gebot abzuleiten sei, bei jeder Grundrechtsverletzung einen individuellen Schadensersatzanspruch zu schaffen[28]
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b) Problematische Fallgruppen
aa) Sonstige Erfüllungsgehilfen
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Problematisch sind zunächst Konstellationen, in denen der Schaden durch eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts verursacht wird, die wederin einem Amts- oder Dienstverhältniszu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts steht noch beliehenist. Grundsätzlich handeln derartige Private mangels Hoheitsgewalt privatrechtlich. Von diesem Grundsatz erkennt die Rechtsprechung zwei Ausnahmen an. Erste Ausnahme: Der Private ist sog. Verwaltungshelfer[29]
. Zweite Ausnahme: Der Private ist eng in die hoheitliche Tätigkeit der Behörde eingebunden. Er handelt gleichsam als „Werkzeug“ oder „Erfüllungsgehilfe“ der Behörde. Auf Grund seiner Stellung als selbstständiger privater Unternehmer und der Bedeutung seiner Tätigkeit ist er aber nicht als Verwaltungshelfer anzusehen. Trotz dieser Selbstständigkeit wird das Verhalten des sonstigen Erfüllungsgehilfen aber nach der Rechtsprechung zumindest im Bereich der Eingriffsverwaltung dem Staat zugerechnet[30].
Beispiel:
Der rote Lamborghini des P steht im absoluten Halteverbot. Polizist A beauftragt den Abschleppunternehmer Hurtig mit der Entfernung des Wagens. Dieser führt den Auftrag sofort aus. Dabei wird das Wappentier – ein Stier (wird heute nicht mehr montiert) – zerstört. Kann A einen Anspruch aus Amtshaftung gegen den Polizeiträger wegen eines eventuellen Fehlverhaltens Hurtigs haben? Ja. Das Abschleppen stellt rechtlich eine polizeiliche Vollstreckungsmaßnahme in Gestalt der Ersatzvornahme dar, deren hoheitlicher Charakter bei der Durchführung durch die Polizei selbst außer Zweifel stünde. Die Einschaltung eines Privaten auf privatrechtlicher Grundlage kann hieran nichts ändern. Hurtig wird als Erfüllungsgehilfe der Polizei tätig[31]. – Ist der Unternehmer weder Verwaltungshelfer noch Erfüllungsgehilfe, hilft die Rechtsprechung mit dem Hinweis auf Organisationsverschulden[32].
bb) Schlichtes Verwaltungshandeln
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Schwierigkeiten bereiten zudem Fälle, in denen der Schaden durch einen Hoheitsträger durch schlichtes Verwaltungshandeln verursacht wird. Hier ist für die Zuordnung zum öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Haftungssystem der Aufgaben- und Funktionszusammenhangdes Handelns maßgeblich.
Beispiel
(Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr): Ein in der Praxis relevanter Bereich betrifft die Teilnahme öffentlicher Bediensteter am allgemeinen Straßenverkehr. Hier differenziert die Rechtsprechung zunächst danach, ob die Fahrt einer hoheitlichen Zielsetzung diente oder zu privaten (auch fiskalischen) Zwecken unternommen wurde. Ist Ersteres zu bejahen, und ist ferner ein enger innerer und äußerer Zusammenhang zwischen der Fahrt und der hoheitlichen Zielsetzung gegeben, stellt sich die Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr als Ausübung eines öffentlichen Amts dar[33].
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