Das Kriterium eines engen inneren und äußeren Zusammenhangs ist nicht unproblematisch, die Rechtsprechung hierzu nicht immer überzeugend[34].
944
Näherer Betrachtung bedürfen schließlich diejenigen Fälle, in denen der Schaden durch Unterlassen verursacht wird. Das Unterlassen ist an sich rechtlich indifferent. Unterlassen wird einem positiven Tun gleichgestellt, wenn eine Pflicht zum Tätigwerdenbesteht[35]. Garantenpflichten können sich aus Gesetz, vorangegangenem gefahrerhöhendem Tun („besondere Verkehrssicherungspflichten“) und aus der Herrschaft über eine Sache („allgemeine Verkehrssicherungspflicht“) ergeben. Bei einer gesetzlichen Pflicht zum Tätigwerden entscheidet die Rechtsnatur der Rechtsnorm, bei vorangegangenem gefahrerhöhendem Tun die Rechtsnatur dieses Handelns.
Beispiele für relevantes Unterlassen:
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Schaffung eines Kita-Platzes[36] ; |
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unterlassene Anzeige einer Zustellung[37]; |
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unterlassener Hinweis auf Eintritt einer Genehmigungsfiktion[38]. |
945
Bei den Verkehrssicherungspflichtenist zu differenzieren. Besondere Verkehrssicherungspflichten bestehen etwa im Bereich des Straßenverkehrsrechts, welches sich auf die Straßennutzung bezieht (zur Abgrenzung zum Straßenwegerecht s.u. Rn 1101f). Wegen des spezifischen Zusammenhangs mit § 45 StVO sind sie dem öffentlichen Recht zuzuordnen[39].
Beispiele für besondere Verkehrssicherungspflichten:
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sachgemäße Anbringung von Verkehrsschildern[40]; |
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Programmierung von Ampelanlagen („feindliches Grün“)[41] . |
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Darüber hinaus sind auch im Bereich des Straßenwegerechts, welches sich auf die Bereitstellung und Instandhaltung öffentlicher Straßen bezieht, Verkehrssicherungspflichten anzutreffen (zur Abgrenzung zum Straßenverkehrsrecht s.u. Rn 1101f). Diese wurden von der Rechtsprechung lange Zeit dem Privatrecht zugeordnet[42], während sie von der Literatur als öffentlich-rechtlich eingestuft wurden[43]. Inzwischen hat sich dieser Meinungsstreit weitgehend erledigt; denn die Straßengesetze der Länder haben die insoweit bestehenden Verkehrssicherungspflichten inzwischen weitgehend durch öffentlich-rechtliche Vorschriftenausgestaltet[44]. Kommt es zur Schädigung eines PKW durch Astbruch, ist daher grundsätzlich der Amtshaftungsanspruch einschlägig[45]. Auch die Räumungs- und Streupflichten werden in den Gesetzen der Länder[46] geregelt und sind daher im Ausgangspunkt ebenfalls dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Werden sie jedoch – insbes. durch Satzungen der Gemeinden – auf die Anwohner abgewälzt, so verändert sich auch die Rechtsnatur der Verkehrssicherungspflicht in eine privatrechtliche[47]. Allerdings verbleibt auch bei einer Abwälzung auf die Anwohner eine öffentlich-rechtliche Kontroll- und Überwachungspflicht der Gemeinde, welche die Einhaltung der Räumungs- und Streupflichten zum Gegenstand hat[48].
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Nach wie vor umstritten ist die Zuordnung der Verkehrssicherungspflichten im Zusammenhang mit öffentlichen Einrichtungen, zu denen etwa Kinderspielplätze oder Schwimmbäder gehören (dazu in Rn 1093). Auch hier stuft die Rechtsprechung die Verkehrssicherungspflichten grundsätzlich als privatrechtlichein[49]. Soweit das Benutzungsverhältnis öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist (dazu Rn 826), erscheint es allerdings konsequent, auch die Verkehrssicherungspflichten dem öffentlichen Recht zuzuordnen[50]. In einer jüngeren Entscheidung hat der BGH diese Frage immerhin offen gelassen[51]
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c) Das Merkmal „in Ausübung“
948
Die Feststellung, dass derjenige, der den Schaden herbeigeführt hat, ein öffentliches Amt ausübt[52], reicht nicht aus. Hinzukommen muss, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der Amtsausübung und dem schädigenden Verhaltenbesteht. Ein Zusammenhang fehlt, wenn die schädigende Handlung nur bei Gelegenheit der Amtsausübung erfolgt[53].
Beispiel:
N ist Heavy-Metal-Fan und lässt daran seit Jahren die ganze Nachbarschaft, auch den Polizisten P, durch eine entsprechende Lautstärke seiner Stereoanlage teilhaben. Als Polizist P N eines Tages auf einem Streifengang in einer menschenleeren Straße trifft, beschließt er, sich an N für viele schlaflose Nächte zu rächen und schießt diesem mit seiner Dienstpistole ins Knie. Schädigung des N durch P in Ausübung eines öffentlichen Amtes? Der Streifengang des P ist zwar eine hoheitliche Tätigkeit, die Verletzung des N hat aber mit dieser Überwachungstätigkeit nichts zu tun, sondern basiert auf persönlichen Motiven des P. Sie geschieht deshalb nur „gelegentlich“ des Streifengangs[54].
2. Verletzung einer Amtspflicht
949
Art. 34 S. 1 GG i.V.m. § 839 BGB fordern ferner die Verletzung einer „Amtspflicht“. Entsprechend der Konstruktion der Amtshaftung sind Amtspflichten die den Amtswalter betreffenden persönlichen Dienstpflichten. Derartige Pflichten bestehen im Verhältnis zwischen Amtswalter und Dienstherrn, beanspruchen also eigentlich nur Geltung im Innenverhältnis. Diese Begrenzung überwindet die Rechtsprechung dadurch, dass sie bestimmten Dienstpflichten Außenwirkung zuerkennt und so auch der Bürger Pflichtbegünstigter wird. Die einem Amtswalter obliegenden Dienstpflichten können ihre Grundlage in allen denkbaren Rechtsquellen[55] haben; sie können sich auch aus der Art der wahrzunehmenden Aufgabe ergeben[56].
950
Die wichtigste von der Rechtsprechung anerkannte Amtspflicht ist die Pflicht zur rechtmäßigen Amtsausübung. Diese Amtspflicht ergibt sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG und für Beamte auch aus den Vorschriften der Beamtengesetze, § 63 Abs. 1 BBG. Andere öffentliche Bedienstete sind auf Grund des Arbeitsvertrags zur Wahrung der Gesetze verpflichtet. Wird der öffentlichen Verwaltung ein Entscheidungsspielraum zuerkannt (s.o. Rn 192 f), so liegt lediglich dann eine Amtspflichtverletzung vor, wenn die rechtlichen Grenzen dieses Entscheidungsspielraums überschritten werden[57].
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Die allgemeine Pflicht zur rechtmäßigen Amtsausübung hat diverse Ausprägungenerfahren. Im Folgenden werden beispielhaft die praktisch bedeutsamsten Konstellationen aufgeführt.
Beispiele:
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Pflicht zu zuständigkeitsgemäßem und verfahrensgemäßem Handeln[58] ; |
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Pflicht zur ordnungsgemäßen Zustellung[59]; |
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die Pflicht zur Erteilung von Auskünften und Belehrungen als solche[60]; |
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Pflicht zur Erteilung zutreffender Auskünfte[61]; |
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Pflicht zu ermessensfehlerfreiem, insbes. auch verhältnismäßigem Handeln[62]; |
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Pflicht, unerlaubte Handlungen zu unterlassen[63]; |
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Pflicht zu konsequentem Verhalten – Verbot des venire contra factum proprium[64] . |
c) Verhältnis zur Rechtswidrigkeit
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