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Lösung zu Fall 1 ( Rn 26):
Nach der Interessentheorie ist entscheidend, welchem Interesse die im Rechtssatz ausgesprochene Regelung dient. Das Verbot, Spraydosen zu verkaufen, dient sowohl dem Interesse privater Hauseigentümer am Schutz ihres Eigentums als auch dem öffentlichen Interesse am Schutz der im Eigentum der öffentlichen Hand befindlichen Sachen. Nach dieser Theorie ist eine Zuordnung nicht möglich. – Nach der Subordinationstheorie kommt es für die Annahme öffentlichen Rechts auf das Vorliegen eines Über-Unterordnungsverhältnisses an. Nach dem Verkaufsgesetz ist es den Geschäften verboten, an „Normalbürger“ Spraydosen zu verkaufen. Dieses Gesetz vollzieht die Gewerbeaufsicht. Zwischen dem einzelnen Verkäufer und der Gewerbeaufsicht besteht ein Über-Unterordnungsverhältnis, weil die Gewerbeaufsicht die Einhaltung des Verkaufsverbots überwacht und Verstöße gegen das Gesetz unterbinden darf. Nach der Subordinationstheorie liegt öffentliches Recht vor. – Nach der modifizierten Subjektstheorie ist entscheidend, ob die Norm einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen berechtigt oder verpflichtet. Das Verkaufsgesetz berechtigt und verpflichtet die Gewerbeaufsicht als solche; sie muss die Einhaltung des Gesetzes überwachen und Verstöße gegen es unterbinden. Auch nach der modifizierten Subjektstheorie ist das Verkaufsgesetz öffentliches Recht.
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Lösung zu Fall 2 ( Rn 27):
Das Problem, ob das durch einen Behördenleiter ausgesprochene Hausverbot gegen einen störenden Besucher seines Verwaltungsgebäudes öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich zu qualifizieren ist, ist seit langem in Streit. Nach lange überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung ist auf den Zweck des Besuchs abzustellen. Ist der Zweck öffentlich-rechtlich zu qualifizieren (zB Verlängerung des Personalausweises), dann folgt das Hausverbot dieser Rechtsnatur.Nach inzwischen überwiegender Ansicht ist demgegenüber der Zweck des Hausverbots maßgebend. Es ist öffentlich-rechtlich, wenn und weil es dazu dient, die Erfüllung öffentlicher Zwecke im Hause zu sichern (s.o. Rn 43). In Fall 2kämen beide Ansichten zu einer Zuordnung zum öffentlichen Recht. Denn sowohl der Zweck des Besuchs (die Korrektur des Personalausweises), als auch der Zweck des Hausverbots (die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs) sind dem öffentlichen Recht zuzuordnen.
Teil I Grundlagen› § 3 Verortung des Verwaltungsrechts in der Rechtsordnung› III. Verhältnis des Verwaltungsrechts zu den anderen Ebenen des öffentlichen Rechts
III. Verhältnis des Verwaltungsrechts zu den anderen Ebenen des öffentlichen Rechts
1. Verhältnis zum Verfassungsrecht
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Ein zentrales Problem der Darstellung des Verwaltungsrechts liegt darin, dass – anders als im Privatrecht – oftmals praktische Berührungspunkte der Studierenden fehlen. Zudem erweist es sich – anders als das Strafrecht – als oftmals weniger medienintensiv. Allerdings werden wichtige Elemente des Verwaltungsrechts bereits in der vorausgehenden Vorlesung zum Verfassungsrecht eingeführt.
a) Organisatorische und verfahrensbezogene Weichenstellungen
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So ergibt sich die Unterscheidung zwischen Bundes- und Landesverwaltungbereits aus Art. 30 und 83 ff GG. Das Gleiche gilt für die unterschiedlichen Arten des Vollzugs von Bundesgesetzen, die ebenfalls in Art. 83 ff GG geregelt sind[26]. Aus der grundgesetzlichen Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ist zudem ein grundsätzliches Verbot der Mischverwaltungabzuleiten (dazu Rn 156)[27].
b) Inhaltliche Entscheidungsmaßstäbe
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Neben den zuvor skizzierten primär verfahrensbezogenen Regelungen gibt das Grundgesetz aber auch viele inhaltliche Handlungsmaßstäbe für die Verwaltung vor: So statuiert Art. 1 Abs. 3 GG explizit die Grundrechtsbindungauch der öffentlichen Verwaltung. Diese muss daher den Grundrechten auch bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts Rechnung tragen. Darüber hinaus setzt der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatzim Bereich der Eingriffsverwaltung (s.o. Rn 20) Grenzen[28]. Zudem werden aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltungin Art. 20 Abs. 3 GG der Vorrang sowie der Vorbehalt des Gesetzes abgeleitet. Ersterer besagt, dass die Verwaltung nicht gegen vorhandene Gesetze handeln darf, Zweiterer, dass sie – zumindest in bestimmten Konstellationen – nicht ohne ein entsprechendes Gesetz handeln darf[29]. Da diese verfassungsrechtlichen Handlungsgrundsätze von ausgesprochen großer Bedeutung für die Tätigkeit der Verwaltung sind, werden sie an späterer Stelle ausführlich behandelt (s.u. § 7). Die Grundsätze verdeutlichen jedoch in ihrer Gesamtheit, dass das Verwaltungsrecht eng mit dem höherrangigen Verfassungsrecht verwoben ist. Zu Recht wird daher das Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht bezeichnet[30].
2. Verhältnis zum Europarecht
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Komplizierter gestaltet sich das Verhältnis des Verwaltungsrechts zum Europarecht. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass im Studienablauf die Vorlesung zum Europarecht oftmals nach oder allenfalls zeitgleich mit derjenigen zum Allgemeinen Verwaltungsrecht angeboten wird. Da das Europarecht zunehmend das Verwaltungsrecht beeinflusst (Stichwort: „Europäisierung des Verwaltungsrechts“), sind gewisse Grundkenntnisse für das Verständnis des Allgemeinen Verwaltungsrechts aber zumindest förderlich.
a) Begriff des Europarechts
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Dies gilt jedenfalls für das Recht der Europäischen Union, das auch als Europarecht im engeren Sinnebezeichnet wird. Hingegen versteht man unter dem Europarecht im weiteren Sinne das Recht aller europäischen internationalen Organisationen[31]. Im Folgenden sollen daher zum besseren Verständnis der europarechtlichen Beeinflussung des Verwaltungsrechts die Grundbegriffe des Europarechts im engeren Sinne kurz skizziert werden.
b) Wesen der Europäischen Union
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Die Besonderheit des Europarechts im engeren Sinne liegt darin, dass es sich bei der Europäischen Union um eine supranationale Einrichtunghandelt. Sie kann daher im Unterschied zu sonstigen internationalen Einrichtungen im Rahmen der ihr durch die Gründungsverträge zugewiesenen Kompetenzen einseitig hoheitliche Maßnahmen mit Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten erlassen[32]. Dabei bilden die Gründungsverträge und die ihnen gleichgestellten Rechtsquellen das sog. Primärrecht. Zu ihnen zählen insbes. der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie die EU-Grundrechte-Charta. Das Primärrecht bildet die Summe derjenigen Rechtsquellen, durch welche die Union geschaffen wird. Im Gegensatz dazu versteht man unter Sekundärrechtdas von der Union nach Maßgabe des Primärrechts erlassene Recht[33]. Zum Sekundärrecht zählen gemäß Art. 288 AEUV insbes. Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union (dazu ausf. Rn 80 ff).
c) Kompetenzen der Europäischen Union und deren Grenzen
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Beim Erlass des Sekundärrechts ist die EU an das Primärecht, insbes. an die Schrankentrias des Art. 5 EUVgebunden. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV wird die Union nur im Rahmen der ihr übertragenen Kompetenzen tätig. Wird sie entsprechend ermächtigt, so muss sie den Subsidiaritätsgrundsatz und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Der in Art. 5 Abs. 3 EUV verankerte Subsidiaritätsgrundsatz bezieht sich auf das „Ob“ und besagt, dass die Union nur tätig werden darf, wenn die betreffende Maßnahme auf Unionsebene besser als auf Ebene der Mitgliedstaaten verwirklicht werden kann. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dem Subsidiaritätsgrundsatz nachgelagert und bezieht sich auf das „Wie“ einer Maßnahme. Er erfordert nach Art. 5 Abs. 4 EUV, dass die Maßnahme nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen darf[34].
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