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Dieses bedingt für die Lösung praktischer Fälle: Es kann normalerweise darauf verzichtet werden, für ihre Lösung die verschiedenen Abgrenzungstheorien heranzuziehen. Wenn in der Juristenzunft geklärt ist, ob die für die Lösung relevante Norm dem öffentlichen oder dem privaten Recht zugehört, ist es ausreichend, auf das bekannte Ergebnis zu verweisen. In solchen Konstellationen genügt grundsätzlich ein Hinweis auf die drei anerkannten Theorien und auf die letztlich herrschende Sonderrechtstheorie. Problematischsind deshalb nur folgende Konstellationen:
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es ist streitig, ob die einschlägige Norm dem öffentlichen oder dem privaten Recht zugehört; |
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es existiert keine den Streit entscheidende Norm; |
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es existieren für die Lösung eines Problems Normen des öffentlichen und des privaten Rechts; die Lösungen stimmen nicht überein. |
Im ersten Falle ist mit Hilfe der dargestellten Theorien zu klären, welchem Rechtsgebiet die Norm zugehört (da dieses streitig ist, wird eine Entscheidung verlangt); in den beiden anderen Fällen muss der Streitstoff einer Norm zugeordnet werden (auch in diesen Fällen wird eine eigene Entscheidung verlangt; indessen gibt es hier häufig Vorarbeiten durch die Rechtsprechung und die Literatur). Nachfolgend werden problematische und zugleich klausurrelevante Einzelfälle dargestellt. Hinzu kommen die Konstellationen der Zwei-Stufen-Theorie, die an späterer Stelle behandelt werden (s.u. § 23 II.).
5. Problematische Einzelfälle
a) Schlichtes Verwaltungshandeln
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Rein tatsächliche Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung, wie etwa Immissionen, können sowohl dem öffentlichen Recht als auch dem Privatrecht zuzuordnen sein. Hier ist auf den Gesamtzusammenhangund die Zielsetzung der Tätigkeit abzustellen[13]. So ist bei Immissionen, die von öffentlichen Anlagen ausgehen, danach zu differenzieren, ob die Anlage der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient. Dient sie der gemeinwohlorientierten Versorgung der Bevölkerung (sog. Daseinsvorsorge), so ist auch die Immission dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Außerhalb einer öffentlich-rechtlichen Zwecksetzung ist die Immission hingegen privatrechtlicher Natur[14]. Auch beim kirchlichen Glockengeläut ist danach zu unterscheiden, ob dieses liturgischen Charakter hat (dann ist es dem öffentlichen Recht zuzuordnen) oder lediglich der Zeitankündigung dient (dann ist es dem Privatrecht zuzuordnen)[15]. Schließlich ist auch bei Planungsarbeiten danach zu unterscheiden, ob sie im spezifischen Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt stehen oder nicht[16].
b) Unterlassungs- und Widerrufsansprüche
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Problematisch in ihrer rechtlichen Bewertung sind insbes. Unterlassungs- bzw Widerrufsansprüche wegen rufgefährdender Erklärungen von Behörden.
Beispiel:
Die kassenärztliche Bundesvereinigung erklärt ein Arzneimittel für wirkungslos; Ärzte können deshalb das Arzneimittel nicht mehr zulasten der Krankenkassen verschreiben. Der Hersteller des Arzneimittels wehrt sich gegen die Beurteilung[17].
Widerrufs- und Unterlassungsansprüche gibt es sowohl im Privatrecht als auch im öffentlichen Recht. Welcher Anspruch eingreift, ist abhängig von der rechtlichen Qualifikation der Erklärung des Beamten. Entscheidend ist, in welcher Funktion der Beamte die Erklärung abgab. Insoweit lassen sich drei Fälle unterscheiden: (1)Ein privatrechtlicher Widerrufsanspruch besteht, wenn der Beamte als Privatmann handelte. Das ist der Fall, wenn der Beamte die Äußerung bei beliebiger Gelegenheit, aber nicht in amtlicher Eigenschaft abgab. (2)Es besteht ferner ein privatrechtlicher Anspruch, wenn der Beamte die Äußerung zwar in seiner Eigenschaft als Beamter, aber bei Wahrnehmung privatrechtlicher Geschäfte machte. Davon ist zB regelmäßig bei der Verhandlung über die Vergabe von Aufträgen auszugehen. (3)Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch greift ein, wenn sich der Beamte bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben äußerte. Dieser Tatbestand liegt vor, wenn – wie in dem vom BVerwG[18] entschiedenen Fall – eine Kommission die ihr vom Gesetzgeber zugewiesenen Pflichten erfüllt[19].
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Problematisch kann die Zuordnung zum öffentlichen Recht oder zum Privatrecht zudem bei Verträgen sein. Denn Verträge bilden nicht nur die klassische Handlungsform des Privatrechts; vielmehr kommen sie in Form des öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß §§ 54 ff auch im Verwaltungsrecht zur Anwendung (dazu ausf. § 17). Hier kommt es zunächst auf den Gegenstand (und Zweck) eines Vertrags an (sog. Gegenstandstheorie). Wenn ein Vertrag mehrere Elemente enthält, die teilweise dem öffentlichen Recht, teilweise dem Privatrecht zuzuordnen sind, kommt es entscheidend darauf an, welche dieser Elemente dem Vertrag sein Gepräge gibt (sog. Schwerpunkttheorie)[20].
Beispiel:
In einem Stellplatzablösevertrag verpflichtet sich ein Grundstückseigentümer, anstelle der an sich nach Landesbauordnungsrecht zu errichtenden Stellplätze einen Betrag zum Ausbau des städtischen Parkhauses zu zahlen. Wegen der Verortung der Stellplatzpflichten in den Landesbauordnungen und der damit bezweckten Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ist dieser Vertrag dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Daran ändert nichts, dass die Zahlung einer eigentlich zuordnungsindifferenten Geldleistung ebenfalls Vertragsbestandteil ist.
d) Benutzung öffentlicher Anstalten und Einrichtungen
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Die Benutzung öffentlicher Anstalten und Einrichtungen (Verkehrs- und Versorgungsbetriebe, Kindergärten, Badeanstalten, Museen) kann öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet sein. Es ist nach der Zuordnung des gesamten Benutzungsverhältnisseszu fragen. Entscheidend ist der Wille des zuständigen Verwaltungsträgers. Er ergibt sich insbes. aus der Benutzungsordnung. Ihre Rechtsnatur (Satzung oder Allgemeine Geschäftsbedingungen), die gewählten Rechtsformen für den Beginn und die Beendigung der Benutzung (Auflösung des Benutzungsverhältnisses durch Widerruf oder Kündigung), die Art der Bezahlung (Gebühr oder Nutzungsentgelt) und ein möglicher Hinweis auf Rechtsmittel (Rechtsbehelfsbelehrung) sind entscheidende Indizien für die Rechtsnatur des Benutzungsverhältnisses. Bei öffentlich-rechtlicher Organisationsform der Einrichtung streitet jedoch eine – allerdings widerlegliche – Vermutung dafür, dass auch das Benutzungsverhältnis öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist[21]. Die Nutzung öffentlicher Einrichtungen bildet zugleich einen anerkannten Anwendungsfall für die bereits vorgestellte Zwei-Stufen-Theorie (s.o. Rn 36) und wird im Zusammenhang mit der privatrechtlichen Betätigung der öffentlichen Verwaltung ausf. behandelt (s.u. Rn 879 ff).
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Einen letzten klausurrelevanten Problembereich bilden Hausverbote. Sie dienen der Wahrung des Hausrechts und können sowohl auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts als auch auf dem Gebiet des Privatrechts ausgesprochen werden (vgl. §§ 859 f, 903, 1004 BGB). Die Rechtsprechung unterscheidet grds. nach dem Zweck des Besuchs. Ist der Zweck öffentlich-rechtlich zu qualifizieren (zB Verlängerung des Personalausweises), dann folgt das Hausverbot dieser Rechtsnatur[22]. Die überwiegende Literatur hingegen stellt auf den Zweck des Hausverbots ab. Es sei öffentlich-rechtlich, wenn und weil es dazu dient, die Erfüllung öffentlicher Zwecke im Hause zu sichern[23]. Die letztere Ansicht verdient den Vorzug, da die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs regelmäßig das zentrale Motiv eines Hausverbots bildet und subjektive Motive des Besuchers oftmals nicht überprüfbar sind. Auch in der Rechtsprechung häufen sich inzwischen Entscheidungen, die auf den Zweck der Erfüllung öffentlichen Aufgaben abstellen[24]
. Im praktischen Regelfall ist ein solches Hausverbot damit dem öffentlichen Recht zuzuordnen[25].
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