2. Formelle Rechtmäßigkeitsanforderungen
843
In formeller Hinsicht ist zunächst nach allgemeinen Grundsätzen die Zuständigkeitsordnungzu wahren. Zuständig für den Erlass von Rechtsverordnungen aufgrund eines Bundesgesetzes können nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG nur die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen sein. Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG ermächtigt unter bestimmten Voraussetzungen zur Weiterdelegation an andere Stellen[8]. Die möglichen Adressaten von Verordnungsermächtigungen aufgrund eines Landesgesetzes ergeben sich aus den jeweiligen Landesverfassungen[9].
844
Das Verfahrenzum Erlass von Rechtsverordnungen richtet sich nicht nach dem VwVfG. Denn § 9 begrenzt den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes auf VAe und örVe (s.o. Rn 171). Die Anforderungen ergeben sich hier zunächst aus Art. 80 Abs. 2 GG[10] und den vergleichbaren Regelungen auf Landesebene[11]. Rechtsstaatlich fundiert ist darüber hinaus das Erfordernis einer Verkündung, das etwa in Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG geregelt ist. In formeller Hinsicht bedeutsam ist zudem das Zitiergebot. Es ist in Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG sowie den vergleichbaren Bestimmungen der Landesverfassungen geregelt und besagt, dass die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage in der Rechtsverordnung angegeben wird. Es dient der Selbstkontrolle der Verwaltung, der externen Richtigkeitskontrolle sowie der Normenklarheit[12].
3. Materielle Rechtmäßigkeitsanforderungen
845
In materieller Hinsicht muss die Rechtsverordnung nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die Anforderungen der Ermächtigungsgrundlageeinhalten und darf insbes. den dort vorgegebenen Rahmen nicht überschreiten. So muss etwa zum Erlass einer Gefahrenabwehrverordnung eine abstrakte Gefahr für die polizeilichen Schutzgüter vorliegen[13]
. Im Übrigen kommt dem Verordnungsgeber eine Gestaltungsfreiheitzu. Dabei müssen nach allgemeinen Grundsätzen die höherrangigen Vorgaben beachtet werden, insbes. der Bestimmtheitsgrundsatz sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das beim Erlass von Rechtsverordnungen bestehende normative Ermessen ist jedoch weiter gefasst als bei der Ermessenausübung im Einzelfall und wird von der Rechtsprechung oftmals lediglich daraufhin überprüft, ob schlechterdings unvertretbare Ergebnisse erzielt werden (s.o. Rn 221)[14].
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 20 Rechtsverordnungen› IV. Fehlerfolgen
846
Werden die zuvor genannten rechtlichen Anforderungen nicht eingehalten, so führt dies zunächst zur Rechtswidrigkeit der Rechtsverordnung. Anders als beim VA (s.o. Rn 542) gilt jedoch bei Rechtsverordnungen grundsätzlich das Nichtigkeitsdogma. Danach führt die Rechtswidrigkeit zugleich zur Unwirksamkeit der Rechtsverordnung[15]. Dies gilt auch für einen Verstoß gegen das Zitiergebot[16]. Etwas anderesgilt dann, wenn der Gesetzgeber die Beachtlichkeit eines Verstoßes explizit eingrenzt. So kann er geringfügige Verstöße für von vornherein unbeachtlich erklären oder für unbeachtlich nach Fristablauf. Dies ist bei Rechtsverordnungen aber nur ausnahmsweise der Fall. Ein Beispiel bilden etwa Bebauungspläne in den (echten) Stadtstaaten, die dort anstelle von Satzungen erlassen werden und nach Maßgabe der §§ 214 f BauGB unbeachtlich sein können[17]. Darüber hinaus sollen nach der Rechtsprechung des BVerfG Verfahrensfehler grundsätzlich nur bei Evidenz zur Nichtigkeit führen[18].
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 20 Rechtsverordnungen› V. Rechtsschutz
847
Die VwGO sieht in § 47 VwGO eine Normenkontrolle gegen materielle Gesetze vor[19]. Da sich der Rechtsschutz hier gegen die Norm als solche richtet, wird die Normenkontrolle nach § 47 VwGO auch als prinzipale Normenkontrollebezeichnet. Kraft Bundesrechts besteht die Möglichkeit einer solchen prinzipalen Normenkontrolle aber gemäß § 47 Abs. 1 Nr 1 VwGO nur bei Satzungen nach dem BauGB oder den diesen nach § 246 Abs. 2 BauGB gleichgestellten Rechtsverordnungen. Dies ist etwa in Berlin der Fall, wo Bauleitpläne in der Rechtsform einer Rechtsverordnung erlassen werden[20]. Im Übrigen – und damit bei den meisten Rechtsverordnungen – ist eine prinzipale Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr 2 VwGOnur dann möglich, wenn Landesrechtdies bestimmt. Die Bundesländer haben von dieser Möglichkeit sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht[21].
848
Insbes. – aber nicht nur – dann, wenn keine Möglichkeit einer prinzipalen Normenkontrolle besteht, kommt eine inzidente Normenkontrollein Betracht. Bei dieser wird nicht die Norm als solche angegriffen. Der Rechtsbehelf richtet sich vielmehr gegen einen Vollzugsakt, der aufgrund der Rechtsverordnung erlassen wurde, etwa einen VA. Im Rahmen eines solchen Klageverfahrens – etwa einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO – wird dann inzident überprüft, ob die zugrunde liegende Rechtsverordnung rechtswirksam ist[22].
Ausbildungsliteratur:
von Danwitz , Rechtsverordnungen, JURA 2002, 93; Meßerschmidt , Rechtsverordnungen: Rechtmäßigkeit und Rechtsschutz, JURA 2016, 747; Voßkuhle/Wischmeyer , Die Rechtsverordnung, JuS 2015, 311.
[1]
Vert. Hill/Martini , in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des VwR, Band II, 2. Aufl. 2012, § 34 Rn 18 ff.
[2]
Anschaulich Guckelberger , in: Gröpl/Guckelberger/Wohlfahrt, Landesrecht Saarland, 3. Aufl. 2017, § 4 Rn 160 (am Beispiel einer Gefahrenabwehrverordnung).
[3]
Zur Funktionsweise Siegel , in: ders./Waldhoff, § 4 Rn 89 f.
[4]
Hierzu etwa Schenke , POR, Rn 605 ff.
[5]
Übersicht bei Schenke , POR, Rn 607.
[6]
Übersicht bei Detterbeck , Rn 828.
[7]
Gröpl , Rn 1203.
[8]
Hierzu Gröpl , Rn 1197.
[9]
So etwa am Beispiel Berlins zu Art. 64 VvB Waldhoff , in: Siegel/Waldhoff, § 1 Rn 137.
[10]
Hierzu Gröpl , Rn 1208 ff.
[11]
Am Beispiel des Art. 64 VvB Siegel , in: ders./Waldhoff, § 3 Rn 277.
[12]
Gröpl , Rn 1212.
[13]
Hierzu am Beispiel von Alkoholverboten im öffentlichen Raum VGH Mannheim, NVwZ-RR 2010, 55 ff; hierzu Siegel , in: ders./Waldhoff, § 3 Rn 280. Weiteres Beispiel bei BVerwG, NJW 2018, 325 ff(Genehmigungspflicht für Fluglaternen).
[14]
BVerwG, NVwZ 2007, 958 f.
[15]
Erbguth/Guckelberger , § 25 Rn 9.
[16]
BVerfGE 101, 1, 41 ff.
[17]
Hierzu Siegel , in: ders./Waldhoff, § 4 Rn 91 ff.
[18]
BVerfGE 91, 148, 175 f. Krit. hierzu Maurer/Waldhoff , § 13 Rn 17.
[19]
Hierzu Hufen , VwProzR, § 19; Schenke , VwProzR, Rn 873.
[20]
Hierzu Siegel , in: ders./Waldhoff, § 4 Rn 31.
[21]
Übersicht bei Hufen , VwProzR, § 19 Rn 16.
[22]
Maurer/Waldhoff , § 13 Rn 19.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 21 Satzungen
Inhaltsverzeichnis
I. Wesen
II. Vorkommen
III. Anforderungen an die Rechtmäßigkeit
IV. Fehlerfolgen
V. Rechtsschutz
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 21 Satzungen› I. Wesen
Читать дальше