Beispiel:
Die Firma X stellt eine Vielzahl von Hygieneartikeln her. Die Bundesregierung warnt die Verbraucher, das Produkt A der Firma X zu kaufen, weil es möglicherweise umweltschädigend sei. Tatsächliche Folge dieser Warnung kann sein, dass die Verbraucher auch andere Produkte der Firma X, die in jeder Hinsicht unbedenklich sind, nicht mehr erstehen. Der Imageschaden für die Firma X und die finanziellen Folgen für sie sind ungleich größer, als wenn die zuständige Behörde der Firma verboten hätte, das Produkt A weiter zu vermarkten.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 19 Schlichtes Verwaltungshandeln› III. Fehlerfolgen
837
Beachtet ein Realakt die zuvor aufgezeigten rechtlichen Grenzen nicht, so ist er rechtswidrig. Die für den rechtswidrigen VA relevante Frage, ob er nichtig oder wirksam ist, besitzt beim Realakt keine Bedeutung.
Beispiel:
Die Müllabfuhr der Stadt B beschädigt den dem X gehörenden Mülleimer bei seiner Leerung; das Eigentum des X ist verletzt.
838
Die Folgen der Rechtswidrigkeiteines Realakts werden in Teil IV des Buchs (§§ 24-28) behandelt. In Betracht kommt insbes. ein auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes gerichteter Folgenbeseitigungsanspruch (s.u. § 25). Statthafte Klageart ist insoweit die allgemeine Leistungsklage[22].
839
Lösung Fall 24 ( Rn 830):
Der Abriss des Zauns ist ein Realakt. Auch Realakte unterliegen Rechtmäßigkeitsanforderungen. Diese bestehen vorliegend darin, dass der Träger der Straßenbaulast rechtmäßig den Besitz an dem Grundstücksstreifen ergreifen durfte. Die vorzeitige Besitzeinweisung ist nach § 18f BFStrG erlaubt. Es werde unterstellt, dass die vorzeitige Besitzeinweisung rechtmäßig erfolgte. Dann darf mit den Bauarbeiten begonnen werden. Der Abriss des Zauns ist rechtmäßig.
Ausbildungsliteratur:
Di Fabio , Information als hoheitliches Gestaltungsmittel, JuS 1997, 1; Remmert , Schlichtes Verwaltungshandeln, JURA 2007, 736.
[1]
So etwa Remmert , in: Ehlers/Pünder, § 36 Rn 1; Maurer/Waldhoff , § 15. Ausf. Hermes , Schlichtes Verwaltungshandeln, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 39.
[2]
So etwa Erbguth/Guckelberger , § 23 Rn 2. Ebenso die 11. Aufl. dieses Lehrbuchs, Rn 882.
[3]
BVerwGE 141, 329, 332.
[4]
BVerwG, NVwZ 2017, 489, 490.
[5]
Beispiel bei BVerwG, NVwZ 2018, 590, 591 (behördliche Auskunft).
[6]
Hierzu Schlacke , Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 5 Rn 108 f.
[7]
BVerwGE 87, 37sowie BVerfGE 105, 252.
[8]
OLG Stuttgart, NJW 1990, 2690; LG Stuttgart, NJW 1989, 2257.
[9]
BVerwGE 82, 76; BVerfG, NJW 1989, 3269; VGH Mannheim, NVwZ 1989, 279 und 878; OVG Münster, NVwZ 1991, 176.
[10]
LG Göttingen, NVwZ 1992, 98 ff.
[11]
BVerwGE 71, 183 ff.
[12]
Hierzu auch Remmert , in: Ehlers/Pünder, § 37 Rn 6 f.
[13]
Vert. Appel , in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 2. Aufl. 2012, § 32 Rn 102 ff.
[14]
So etwa Siegel , DVBl 2012, 1003 m.w.N.
[15]
Pünder , in: Ehlers/Pünder, § 16 Rn 17; Siegel , DVBl 2012, 1003, 1006 f.
[16]
Pünder , in: Ehlers/Pünder, § 16 Rn 16.
[17]
Hierzu etwa Guckelberger , NVwZ 2011, 390 ff; Pitschas , DÖV 2011, 333 ff; Pünder , in: Ehlers/Pünder, § 16. Zur sog. gerichtsnahen Mediation Ortloff , NVwZ 2012, 1057 ff.
[18]
BVerwG, NVwZ-RR 2015, 425, 426 ff.
[19]
BVerwGE 82, 80 f; 87, 37, 47.
[20]
Remmert , in: Ehlers/Pünder, § 37 Rn 7.
[21]
Zum Vorbehalt des Gesetzes BVerwG, NVwZ-RR 2015, 425, 426.
[22]
Hufen , VwProzR, § 17 Rn 2 (mit Prüfungsschema in § 17 Rn 12).
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 20 Rechtsverordnungen
Inhaltsverzeichnis
I. Wesen
II. Vorkommen
III. Anforderungen an die Rechtmäßigkeit
IV. Fehlerfolgen
V. Rechtsschutz
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 20 Rechtsverordnungen› I. Wesen
840
Rechtsverordnungen gehören einerseits zu den Rechtsquellen des Verwaltungsrechts (s.o. Rn 68 ff), andererseits aber auch zu den Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung[1]. Bei Rechtsverordnungen handelt es sich um abstrakt-generelle Regelungen, die von der Exekutive im Wege delegierter Rechtsetzung erlassen werden. Da sie abstrakt-generelle Regelungen treffen, sind sie als Gesetze im materiellen Sinneeinzuordnen. Zugleich wird bei ihnen – in Abgrenzung zu Satzungen (dazu § 21) – die Rechtsetzungsbefugnisvon der Legislative auf die Exekutive delegiert. Wegen dieses „Rollenwechsels“ bedarf es einer Ermächtigungsgrundlage, die zugleich bestimmten Anforderungen genügen muss. Der tiefere Grund für die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen liegt darin, dass fachlich spezifische Detailfragen von der Exekutive oftmals besser eingeschätzt werden können und umgekehrt der Gesetzgeber mit der Normierung von Detailfragen überlastet würde. Sie sind zugleich abzugrenzen von Allgemeinverfügungen i.S.d. § 35 S. 2 (s.o. Rn 346 ff). Allgemeinverfügungen zeichnen sich im Vergleich zu Rechtsverordnungen typischerweise durch einen räumlich-zeitlich umgrenzten Geltungsbereich aus[2].
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 20 Rechtsverordnungen› II. Vorkommen
841
Der Erlass von Rechtsverordnungen ist in vielen Materien des Besonderen Verwaltungsrechtsvorgesehen. Die wohl bekannteste Rechtsverordnung ist die Straßenverkehrsordnung(StVO), welche aufgrund einer Ermächtigung im Straßenverkehrsgesetz (StVG) erlassen worden ist. Die StVO bestätigt zugleich, dass eine Rechtsverordnung einen sehr großen räumlichen und personellen Wirkungsbereich aufweisen kann. Dies gilt auch für die Baunutzungsverordnung(BauNVO), welche die Zulässigkeit der Art und des Maßes von Bauvorhaben in bestimmten Gebieten regelt. Sie wird im Rahmen der Vorlesung zum öffentlichen Baurecht behandelt[3]. Von Bedeutung für Prüfungsarbeiten sind schließlich Gefahrenabwehrverordnungen. Sie werden aufgrund spezifischer Ermächtigungen in den Polizeigesetzen erlassen und im Rahmen der Vorlesungen zum Polizei- und Ordnungsrecht ausführlicher behandelt[4]. Da die Einzelheiten regelmäßig den fachrechtlichen Sonderregelungen vorbehalten bleiben, beschränkt sich die nachfolgende Darstellung auf die allgemeinen Grundzüge beim Erlass von Rechtsverordnungen.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 20 Rechtsverordnungen› III. Anforderungen an die Rechtmäßigkeit
III. Anforderungen an die Rechtmäßigkeit
1. Ermächtigungsgrundlage
842
Da es sich bei der Rechtsverordnung in funktionaler Hinsicht um delegierte Rechtsetzung handelt (s.o. Rn 840), bedarf es zunächst einer Ermächtigungsgrundlage. So ist etwa die zuvor angesprochene BauNVO aufgrund der Ermächtigung in § 9a BauGB erlassen worden. Und die Gefahrenabwehrverordnungen nach dem Polizei- und Ordnungsrecht werden auf spezifische Ermächtigungen in den Polizeigesetzen der Länder gestützt[5]. Zudem müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigungim Gesetz bestimmt sein. Dies ergibt sich für Rechtsverordnungen nach Bundesrecht aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. Die Landesverfassungen enthalten jedoch typischerweise inhaltlich identische Bestimmungen[6]. Damit sollen Pauschal- und Globalermächtigungen der Exekutive verhindert werden[7].
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