Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 18 Sonstige verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse› IV. Geschäftsführung ohne Auftrag
IV. Geschäftsführung ohne Auftrag
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Die Figur der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) ist bereits aus dem Privatrecht bekannt und dort in §§ 677 ff BGB geregelt. Auch im öffentlichen Recht kann es zu Situationen kommen, in denen insbes. die öffentliche Verwaltung ohne vertragliche Vereinbarung im Interesse des Bürgers Handlungen vornimmt. In Abgrenzung zur privatrechtlichen GoA muss das Geschäftallerdings dem öffentlichen Recht zuzuordnensein (zur Abgrenzung s.o. Rn 31 ff)[11]
. Auf die öffentlich-rechtliche GoA sind die Bestimmungen der §§ 677 ff BGB analog anwendbar[12].
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Die klassische Konstellation der öffentlich-rechtlichen GoA liegt im Handeln eines Verwaltungsträgers für eine Privatperson(insbes. bei den Abschleppfällen). Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die öffentliche Verwaltung oftmals über öffentlich-rechtlich gesteuerte Handlungsmöglichkeiten verfügt, die zugleich Reichweite und mögliche Folgeansprüche regeln. Damit ist sie „in sonstiger Weise berechtigt“i.S.d. § 677 BGB[13]. Diese spezifischen Wertungen dürfen nicht durch einen vorschnellen Rückgriff auf die Regelungen zur GoA nivelliert werden. So können nach den Polizeigesetzen der Länder Sachen im Interesse des Eigentümers sichergestellt werden[14]. Die Rechtsfolgen richten sich hier nach den Bestimmungen des öffentlichen Rechts[15].
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Nach der Rechtsprechung kann die Figur der GoA auch zwischen verschiedenen Verwaltungsträgernzur Anwendung kommen[16]. Die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe obliegt nach der gesetzlichen Kompetenzordnung allerdings grundsätzlich der jeweils zuständigen Behörde des betreffenden Verwaltungsträgers. Daher hat etwa eine Kommune gegen den Straßenbaulastträger einen Zahlungsanspruch wegen Mitnutzung einer kommunalen Entwässerungseinrichtung, wenn sie von Gesetzes wegen keine Benutzungsgebühren erheben kann[17]. Lediglich wenn und soweit die öffentliche Aufgabe nicht oder trotz evidenter Dringlichkeit nicht hinreichend wahrgenommen wird, kommt unter den Voraussetzungen der §§ 677 ff BGB ein Handeln in fremdem Interesse als fremdes Geschäft in Betracht. Das wird unter Umständen in Fällen einer Gefahr im Verzugoder bei einer sonst dringlichen Notzuständigkeit zu bejahen sein[18].
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Ebenfalls Zurückhaltung ist geboten, wenn ein Bürger für die öffentliche Verwaltunghandeln möchte. Denn zum einen darf sich der Bürger jenseits der Beleihung (s.o. Rn 151 ff) keine Hoheitsgewalt anmaßen[19]. Zum anderen dürfen die Anforderungen des Rechtsschutzes – unter Einbeziehung des Eilrechtsschutzes – nicht nivelliert werden[20]. Eine GoA kommt daher auch in dieser Konstellation nur in besonderen Notsituationen in Betracht[21].
3. Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag
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Als erste Voraussetzung für eine berechtigte GoA muss es sich um ein „fremdes Geschäft“handeln. Dazu muss es unmittelbar in einen fremden Rechts- oder Interessenkreis fallen[22]. Um keinfremdes Geschäft handelt es sich, wenn dieses primär in den eigenen Rechtskreis fällt. Deshalb handelt es sich etwa um kein fremdes Geschäft, wenn Eltern vom zuständigen Verwaltungsträger Aufwendungsersatz für einen fehlenden Betreuungsplatz in einer Kita verlangen[23]
. Allerdings schadet es nach der Rechtsprechung nicht, wenn bei der Ausübung des fremden Geschäfts auch eigene Interessen verfolgt werden. Deshalb genügt ein „ auchfremdes Geschäft“[24]
. –
Weiterhin muss der Geschäftsführer mit Fremdgeschäftsführungswillengehandelt haben, also im Bewusstsein und der Absicht, für den anderen tätig zu werden. Darüber hinaus darf weder ein Auftrag noch eine sonstige Berechtigungvorliegen. An diesem Merkmal scheitern Ansprüche aus GoA oftmals (s.o. Rn 820). Schließlich muss die Geschäftsführung gemäß §§ 683 S. 1, 679 BGB auch dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrnentsprochen haben. Dies ist nicht der Fall, wenn der Geschäftsherr in vertretbarer Weise andere Vorkehrungen zur Wahrnehmung des Geschäfts getroffen hat[25]. Liegt das zuletzt genannte Merkmal nicht vor, handelt es sich um eine unberechtigte GoA.
4. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag
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Im Falle einer berechtigtenGoA kommt insbes. ein Aufwendungsersatzanspruch des Geschäftsführers nach § 683 BGB analog in Betracht. Umgekehrt hat er dem Geschäftsherrn das bei der Geschäftsführung Erlangte nach §§ 681 S. 2, 670 BGB analog herauszugeben. Der Geschäftsführer kann allerdings auch schadensersatzpflichtig sein; professionelle Nothelfer, zu denen etwa die Feuerwehr gehört, können sich allerdings nicht auf die Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit nach § 680 BGB berufen[26]. Das Gleiche gilt für Erste-Hilfe-Maßnahmen eines Sportlehrers bei einem Unglücksfall während des Sportunterrichts[27]. – Bei einer unberechtigtenGoA kommt insbes. ein Schadensersatzanspruch analog § 678 BGB in Betracht.
Beim Rechtswegist erneut zu differenzieren: Für Ansprüche eines Verwaltungsträgers, auch gegen einen anderen, ist gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, für Ansprüche des Bürgers hingegen gemäß § 40 Abs. 2, 3. Var. VwGO der ordentliche Rechtsweg.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 18 Sonstige verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse› V. Öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnisse
V. Öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnisse
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Insbes. auf kommunaler Ebene dienen viele Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Zu ihnen gehören etwa Schwimmbäder, Theater oder Bibliotheken[28]. Die Schaffung und Unterhaltung solcher Einrichtungen gehören dem Sachzusammenhang nach zum Recht der öffentlichen Sachen und werden daher auch dort behandelt (s.u. §§ 29, 30). Werden diese vom Bürger genutzt, so entsteht wegen der damit verbundenen Nähebeziehung ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis. Im Regelfall möchte der Bürger die Einrichtung nutzen und geht daher freiwillig ein solches Benutzungsverhältnis ein. In bestimmten Situationen hat der Gesetzgeber aber aus Gemeinwohlgründen einen Benutzungszwangangeordnet, dem oftmals ein Zwang zum Anschluss an diese Einrichtung vorausgeht. Dies ist etwa im Bereich der Abfallentsorgung der Fall[29]. Da der Benutzungszwang einen Grundrechtseingriff darstellt, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage[30].
2. Zuordnung zum öffentlichen Recht
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Das Benutzungsverhältnis bei solchen Einrichtungen der Daseinsvorsorge kann entweder privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich ausgestaltet sein. In weiten Bereichen hat hier die öffentliche Verwaltung ein Wahlrecht. Ein zentrales Kriterium für die Zuordnung zum öffentlichen Recht ist die Ausgestaltung der Benutzungsordnung: Wird sie durch Satzunggeregelt, handelt es sich um ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis; die Regelung durch allgemeine Geschäftsbedingungensind hingegen spezifisches Merkmal einer Zuordnung zum Privatrecht. Auch die Erhebung von Gebühren belegt die Zuordnung zum öffentlichen Recht (dazu bereits Rn 42).
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