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Auch bei öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnissen bemessen sich die Rechte und Pflichten der Beteiligten primär nach öffentlichem Recht. Häufig ergeben sie sich aus einer Satzung als Benutzungsordnung. Kommt es jedoch zu Schädigungen oder anderen Leistungsstörungen, so bedarf es regelmäßig eines Rückgriffs auf die Bestimmungen des BGB[31]. Besonders häufig haben sich die Gerichte hier mit Haftungsbeschränkungen auf grobes Verschulden in einer Satzung zu befassen. Bereits früh hat der BGH in seiner „Schlachthof-Entscheidung“ judiziert, dass solche Haftungsbeschränkungenam Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu bemessen sind[32]. Daraus folgt, dass eine Satzung keine wirksame Haftungsbeschränkung auf grobes Verschulden bewirken kann.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 18 Sonstige verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse› VI. Aufbauschema öffentlich-rechtliche GoA
VI. Aufbauschema öffentlich-rechtliche GoA
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Anspruch aus öffentlich-rechtlicher GoA
Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus §§ 677, 683, 670 BGB analog.
Die Anspruchsvoraussetzungensind:
1. |
Abgrenzung zur zivilrechtlichen GoA (bedeutend für den Rechtsweg) |
2. |
Keine spezialgesetzlichen Regelungen, zB § 25 SGB XII |
3. |
Fremdgeschäft (Abgrenzung zum Eigengeschäft) |
4. |
Fremdgeschäftsführungswille |
5. |
Kein Auftrag oder sonstige Berechtigung |
6. |
Handeln im (wirklichen oder mutmaßlichen) Interesse des Geschäftsherrn (Abgrenzung zur unberechtigten GoA) |
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Lösung Fall 23 ( Rn 814):
Der X-GmbH könnte ein Kostenerstattungsanspruch nach den Regeln der öffentlich-rechtlichen GoA zustehen.
1. Die GoA ist hier öffentlich-rechtlich, da X eine Aufgabe wahrnimmt, die nach § 7 Abs. 1 BWaStrG dem Staat obliegt.
2. Die analoge Anwendung der §§ 677 ff BGB im öffentlichen Recht ist zulässig, wenn abschließende Spezialvorschriften fehlen. Hier sind spezialgesetzliche Regelungen nicht ersichtlich.
3. Die X-GmbH muss eine Maßnahme ausführen, die keinen Einsatz spezifisch hoheitlicher Befugnisse erfordert. Es bestünde sonst die Gefahr, dass die staatliche Monopolstellung durch das Einschreiten des Privaten unterlaufen würde. Die Instandsetzung des Uferdeckwerks wäre im Falle des staatlichen Handelns als schlichtes Verwaltungshandeln zu beurteilen gewesen. Der Einsatz spezifischer Hoheitsmittel entfällt.
4. Die vom Privaten ausgeführte Maßnahme muss im öffentlichen Interesse liegen. Dies ist der Fall, wenn der Private in besonderen Notlagen Hilfe leistet, solange die Behörde dazu nicht in der Lage ist; der Private wird dann im Einklang mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der an sich zuständigen Behörde tätig, vgl § 678 BGB. Hier hätte die zuständige Behörde die Aufgabe wahrnehmen können; sie war dazu nicht bereit. Der entgegenstehende Wille des Geschäftsherrn ist nach § 679 BGB analog dann unbeachtlich, wenn ohne die Geschäftsführung eine im öffentlichen Interesse liegende Pflicht des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt werden würde. Ein „öffentliches Interesse“ an einer auftraglosen Geschäftsführung Privater für eine Behörde ist begründet, wenn der Schutz individueller Rechtsgüter sie erfordert. Auf Grund der Beschädigung der Uferbefestigung war zu befürchten, dass das Wasser über die Ufer treten würde. Es bestand eine konkrete Gefahr für das Eigentum der X-GmbH. Aus § 8 Abs. 4 BWaStrG folgt eine Pflicht der Behörde, die schadhafte Uferbefestigung instandzusetzen, um die Gefahr für das Ufergrundstück der X-GmbH abzuwenden. – Eine GoA gegen den Willen der Behörde entfällt, wenn die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen die Behörde bestanden hätte[33]. Die Möglichkeit entfällt in der konkreten Situation.
5. Bei einer öffentlich-rechtlichen GoA ist ferner die Wahrung eines der Behörde zustehenden Handlungsspielraums zu beachten. Hätte die Behörde bei eigener Wahrnehmung Ermessen besessen, dürfte der Bürger durch seine „Geschäftsführung“ die Behörde nicht vor vollendete Tatsachen stellen und deren Ermessensentscheidung unterlaufen[34]. Hier ist fraglich, ob der Verwaltung wegen der Dringlichkeit einer Maßnahme ein Handlungsspielraum zustand oder ob sich dieser „auf Null“ reduziert hatte mit der Pflicht der Behörde zum Einschreiten. Ferner hatte die Behörde ein Tätigwerden über Monate hinweg abgelehnt. Ob die Behörde noch Handlungsfreiheit hatte, möchte offen bleiben; denn eine Handlungsfreiheit, die die Behörde nicht beansprucht, erscheint kaum schutzwürdig. Deshalb ist eine auftragslose Geschäftsführung gegen den Willen der zuständigen Behörde hier zulässig.
6. Der X-GmbH steht der geltend gemachte Anspruch aus einer öffentlich-rechtlichen GoA zu.
Ausbildungsliteratur:
Ehlers , Rechtsprobleme der Nutzung kommunaler öffentlicher Einrichtungen, JURA 2012, 692 und 849; Glasmacher , Die Leiden einer Katze (Fallbearbeitung), JURA 2014, 526; Hebeler , Anwendbarkeit von § 680 BGB im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs bei unterlassenen Erste-Hilfe-Maßnahmen durch einen Lehrer, JA 2019, 638; Oechsler , Die öffentlich-rechtliche Geschäftsführung in den Tierfundfällen, JuS 2016, 215; Waldhoff , Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche GoA, JuS 2016, 1010; ders ., Anschluss- und Benutzungszwang durch bundesrechtliche Regelung, JuS 2017, 711.
[1]
Zur Einordnung Korte , in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Allg. VwR I, 13. Aufl. 2017, § 55 Rn 5. Zum Verwaltungsschuldrecht eingehend Barczak , VerwArch 2018, 363 ff.
[2]
Gurlit , in: Ehlers/Pünder, § 35 Rn 1; Korte , in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Allg. VwR I, 13. Aufl. 2017, § 55 Rn 2; BGH, ZfBR 2018, 43, 46 (dort verneint).
[3]
Beispiel bei BVerwG, NVwZ-RR 2017, 510: öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis zwischen einem Schulzweckverband und seinen Mitgliedsgemeinden.
[4]
So etwa Gurlit , in: Ehlers/Pünder, § 35 Rn 17 ff.
[5]
So auch Korte , in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Allg. VwR I, 13. Aufl. 2017, § 55 Rn 6; Maurer/Waldhoff , § 29 Rn 7.
[6]
Hierzu etwa Ehlers , JURA 2012, 692, 699; Ossenbühl/Cornils , S. 442. Teilweise enger unter Beschränkung auf „zwangsweise“ eingegangene Schuldverhältnisse Gurlit , in: Ehlers/Pünder, § 35 Rn 38.
[7]
Übersicht bei Schenke , POR, Rn 160. Am Beispiel Berlins Siegel , in: ders./Waldhoff, § 3 Rn 239.
[8]
BGH, NJW 1990, 1230; Gurlit , in: Ehlers/Pünder § 35 Rn 6.
[9]
BGH, NJW 2014, 2577, 2578.
[10]
Sodan , in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn 555 m.w.N.
[11]
BGH, NVwZ 2016, 870, 872; NVwZ 2017, 242, 244; BGH, NJW 2018, 2714, 2715. Hierzu auch Waldhoff , JuS 2016, 1050 f; krit. zur Abgrenzung nach der Rechtsnatur des Geschäfts Payandeh , JR 2017, 109 f.
[12]
OVG Münster, NVwZ-RR 2013, 759 ff.
[13]
Gurlit , in: Ehlers/Pünder, § 35 Rn 14 a.E.
[14]
Etwa nach § 38 Nr 2 ASOG Bln.
[15]
Hierzu am Beispiel Berlins Siegel , in: ders./Waldhoff, § 3 Rn 239.
[16]
OVG Münster, NJOZ 2014, 223 ff. Hierzu krit. A. Berger , DÖV 2014, 662 ff. S. auch BSG, NZS 2018, 275, 276: Aufwendungsersatzanspruch eines Krankenhauses gegen einen Sozialversicherungsträger.
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