795
Eine für ein Verbot relevante Rechtsnorm enthält genau dann ein Verbot, wenn es das erkennbare Ziel des Gesetzesist, den mit dem örV angestrebten Erfolg strikt zu untersagen. Auf die Kenntnis der Vertragsparteien kommt es nicht an. Ferner ist es unbedeutend, ob der Wortlaut einer Norm einen bestimmten Erfolg ausdrücklichausschließt, zB durch die Formulierung „ist unzulässig“; Sinn, Zweck und Systematik einer Norm können ebenfalls ein gesetzliches Verbot nahelegen.
Beispiele:
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§ 1 Abs. 3 S. 2 BauGB enthält das inhaltliche Verbot, die Pflicht zur Aufstellung von Bauleitplänen zum Gegenstand eines örV zu machen. Bildet die Bauleitplanungspflicht allerdings den zentralen Vertragsgegenstand, so verdichtet sich das Inhaltsverbot zu einem Handlungsformverbot (s.o. Rn 750)[122]. Das Verbot ist zugleich qualifiziert, da die Gemeindevertretung in ihrer Entscheidung über die Bauleitplanung nicht mehr frei wäre. |
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§ 127 Abs. 1 i.V.m. § 132 BauGB ist das Verbot entnommen worden, die Erschließungskosten durch einen örV anstelle einer Satzung auf die Anlieger abzuwälzen[123]. |
cc) Verstoß gegen § 138 BGB
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Nach § 138 BGB sind sittenwidrige oder wucherische Rechtsgeschäfte nichtig. Der Tatbestand ist erfüllt bei einem deutlichen Missbrauch einer Überlegenheit oder der Ausnutzung einer Zwangs- oder Notsituation[124]. Kein Verstoß gegen die guten Sitten liegt vor, wenn ein Vertrag abgeschlossen wird, in dem sich Bürger verpflichten, ihren Widerspruch gegen eine Kraftwerksgenehmigung gegen Entgelt zurückzunehmen[125].
dd) Nachträgliche Unmöglichkeit
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Nach § 275 Abs. 1 BGB ist ein Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Dies gilt im Ausgangspunkt sowohl für die anfängliche als auch für die nachträgliche Unmöglichkeit. Im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit wird in § 311a Abs. 1 BGB jedoch nunmehr ausdrücklich die Wirksamkeit des Vertrags angeordnet (anders noch § 306 BGB aF)[126].
d) Die Teilnichtigkeit nach § 59 Abs. 3 VwVfG
798
§ 59 Abs. 3 enthält eine Regelung zur Teilnichtigkeit, welche § 139 BGB entspricht. Im Zweifel ist die volle Nichtigkeit des Vertrags anzunehmen. Voraussetzung für die Anwendung von § 59 Abs. 3 ist die Teilbarkeit der einzelnen Vertragsbestimmungen. Sind diese derart miteinander verwoben, dass die einzelnen Vereinbarungen miteinander „stehen und fallen“, so führt die Nichtigkeit eines wesentlichen Vertragsteils zur vollständigen Nichtigkeit des Vertrags.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 17 Der öffentlich-rechtliche Vertrag› VII. Die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Vertrags
VII. Die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Vertrags
1. Die Durchsetzung der vertraglichen Ansprüche
799
Kommen die Parteien ihren Pflichten aus dem örV nicht nach, so muss der jeweilige Anspruchsinhaber Klage auf Erfüllung des Vertrags vor den Verwaltungsgerichtenerheben. Umstritten ist, ob dies auch für Ansprüche aus culpa in contrahendogilt, die auch beim örV bestehen können. Die Rechtsprechung erachtet bei einem Sachzusammenhang mit einem Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB (dazu ausf. § 27) den Zivilrechtsweg als eröffnet[127]. Demgegenüber hält das Schrifttum überwiegend den Verwaltungsrechtsweg für einschlägig. Zu Recht wird dies damit begründet, dass der Sachzusammenhang mit vertraglichen Ansprüchen größer ist als derjenige mit Amtshaftungsansprüchen[128].
800
Die Klageart ist abhängig von dem Gegenstand des Vertrags[129]. Hat sich die Behörde zum Erlass eines VA verpflichtet, so muss der Bürger Verpflichtungsklagenach § 42 Abs. 1 VwGO erheben. Hat sich der Bürger zu einer Geldleistung verpflichtet und unterlässt er die Zahlung, so muss die Behörde gegen ihn eine allgemeine Leistungsklageerheben (s.o. Rn 469)[130]. Es ist der Behörde nicht möglich, ihre Ansprüche aus dem Vertrag mit Hilfe eines VA festzusetzen[131]. Denn durch den Vertragsschluss hat sich die Behörde auf die Ebene der Gleichordnung begeben, die sie nicht wieder verlassen darf durch den Erlass einer einseitig-hoheitlichen Maßnahme.
c) Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung
801
Nach § 61 Abs. 1 S. 1 kann sich allerdings jeder Vertragspartner eines subordinationsrechtlichen Vertrags der sofortigen Vollstreckung unterwerfen[132]. Die Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung ist für die Behörde nur wirksam, wenn sie von bestimmten Personen vertreten wird, § 61 Abs. 1 S. 2. Die Vollstreckung selbst richtet sich nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz bzw. nach § 170 Abs. 1–3 VwGO[133].
2. Anpassung und Kündigung in besonderen Fällen
802
§ 60 erlaubt die Anpassung und Kündigung des örV in besonderen Fällen. Es handelt sich um eine Ausnahme von der Bindung an den einmal geschlossenen Vertrag (pacta sunt servanda).
a) Störung der Geschäftsgrundlage nach § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG
aa) Voraussetzungen
803
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 müssen sich die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblich gewesenen rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse seit Abschluss des Vertrags wesentlich geänderthaben. Maßgebliche Verhältnisse sind die grundlegenden Umstände, die zwar nicht Vertragsinhalt geworden, andererseits aber auch nicht bloßer Beweggrund geblieben, sondern von den Vertragspartnern zur gemeinsamen Grundlage des Vertrags gemacht worden sind. Die Grundlage eines Vertrags ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln.
804
§ 60 Abs. 1 S. 1 kommt bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nachVertragsabschluss zur Anwendung. Haben die tatsächlichen Verhältnisse, die zum Vertragsabschluss geführt haben, von Anfang an gefehlt, spricht man von einem Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage; auch dieser Fall unterfällt der Regelung des S. 1. Ebenso wie im Zivilrecht wird also der Fall des Fehlens der Geschäftsgrundlage mit ihrem nachträglichen Wegfall gleichbehandelt[134].
805
Mit Blick auf die Änderung der rechtlichen Verhältnisseist zu unterscheiden: Wenn sich die Rechtslage rückwirkend ändert und das Gesetz unmittelbar in abgeschlossene Verträge eingreift, so bewirkt die neue Rechtslage bereits die Anpassung; § 60 greift nicht ein. Wird durch eine spätere Gesetzesänderung allein die Anspruchsgrundlage verändert, so kann ein Vertrag gegenstandslos werden. In diesem Fall besteht, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 60 vorliegen, ein Anspruch auf Kündigung. Bildet die Basis eines Vertrags ein Gesetz, welches nachträglich für verfassungswidrig erklärt wird, so handelt es sich um einen Wegfall der Geschäftsgrundlage[135]. Ein gemeinsamer Rechtsirrtum über die Rechtslage oder über eine bestimmte Rechtsprechung ist als Fall des Fehlens der subjektiven Geschäftsgrundlage zu betrachten[136].
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Von einer wesentlichen Änderungder Verhältnisse ist zu sprechen, wenn die Änderung so erheblich ist, dass der Vertrag bei Bekanntsein der Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses aus der Sicht eines verständigen Betrachters nicht mit demselben Inhalt zustande gekommen wäre[137]. Ferner liegt das Tatbestandsmerkmal „wesentliche Änderung der Verhältnisse“ vor, wenn nach Vertragsabschluss tatsächliche Umstände oder wesentliche Bedingungen weggefallen sind, deren Bestand die Vertragspartner als gemeinsame Grundlage des Vertrags angenommen und deren Fortbestand sie fraglos vorausgesetzt haben[138]
. Unwesentliche Änderungen sind irrelevant. Ohne Bedeutung sind auch Einwirkungen, die beide Parteien oder die Allgemeinheit in gleicher Weise betreffen. Unzumutbarist ein weiteres Festhalten am Vertrag, wenn die Ausgleichsfunktion der beiderseits geschuldeten Leistungen so stark gestört ist, dass es dem betroffenen Vertragspartner nach Treu und Glauben unmöglich wird, in der bisherigen vertraglichen Regelung seine Interessen auch nur annähernd noch gewahrt zu sehen[139]
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