Beispiel:
Die Behörde macht einen Zahlungsanspruch aus einem örV geltend. Der Anspruch besteht dann, wenn er sich aus dem Vertrag ergibt und der Vertrag wirksam ist. Die Unwirksamkeit tritt nur dann ein, wenn ein Nichtigkeitsgrund nach § 59 vorliegt.
784
Eine Ausnahme vom zuvor Gesagten gilt, wenn nach § 58die Zustimmung eines Dritten oder einer Behörde erforderlich ist und diese noch nicht vorliegt. Wird die Zustimmung erteilt, so ist der Vertrag mit ex-tunc-Wirkung wirksam. Wird sie umgekehrt verweigert, so ist der Vertrag (endgültig) unwirksam. In der Zwischenphase, also vor Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung, ist der örV jedoch schwebend unwirksam[110].
2. Nichtigkeit nach § 59 VwVfG
785
§ 59 enthält in Abs. 1 eine Generalklausel, in Abs. 2 spezielle Nichtigkeitsgründe für den subordinationsrechtlichen Vertrag (s.o. Rn 741). Abs. 2 ist lex specialis gegenüber Abs. 1. „Greift“ Abs. 2 nicht, ist immer noch Abs. 1 zu prüfen[111]. Daher sollte in Prüfungsarbeitenbei einem subordinationsrechtlichen Vertrag zunächst Abs. 2 geprüft werden. Demgegenüber kommt bei einem koordinationsrechtlichen Vertrag zumindest grundsätzlich nur eine Nichtigkeit nach Abs. 1 in Betracht.
b) Die besonderen Nichtigkeitsgründe des § 59 Abs. 2 VwVfG
786
§ 59 Abs. 2 enthält einen Katalog spezieller Nichtigkeitsgründe für den sog. subordinationsrechtlichenVertrag. Neben den speziellen Nichtigkeitsgründen kommen die allgemeinen Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 1 – wie schon erwähnt – zur Anwendung. Der sog. subordinationsrechtliche Vertrag unterliegt deshalb strengeren Rechtmäßigkeitsbindungen als der sog. koordinationsrechtliche Vertrag. Freilich ist auf diesen eine analoge Anwendung der Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 2 möglich. Wegen der vom Gesetzgeber vorgenommenen Differenzierung in Abs. 1 und 2 ist bei einer solchen Analogie aber Zurückhaltung geboten[112].
aa) Nichtigkeit nach § 59 Abs. 2 Nr 1
787
Ist ein VA nach § 44 Abs. 1 nichtig, so gilt das Gleiche für einen Vertrag, der an Stelle des Erlasses eines VA abgeschlossen wird. Auf die Ausführungen zu § 44 Abs. 1 ist zu verweisen (s.o. Rn 560 ff).
Beispiele:
Die Nichtigkeit eines örV wegen eines offenkundigen schweren Inhalts- oder Formfehlers wird angenommen bei absoluter und offensichtlicher örtlicher und sachlicher Unzuständigkeit der vertragsschließenden Behörde; bei einem offensichtlich rechtswidrigen Inhalt; bei einem Vertrag, den ein ausgeschlossener und befangener Amtswalter offensichtlich zu seinem Vorteil mit sich selbst schließt.
788
Nach § 59 Abs. 2 Nr 1 iVm § 44 Abs. 2 ist ein Vertrag zudem in den sechs enumerierten Fällen des § 44 Abs. 2 nichtig, wenn ein entsprechender VA nichtig wäre. Insoweit ist auf die Ausführungen zu § 44 Abs. 2 zu verweisen (s.o. Rn 548 ff). Für § 44 Abs. 2 Nr 6, den Verstoß gegen die guten Sitten, ist hervorzuheben, dass es sittenwidrig sein kann, wenn ein Vertrag unter Missbrauch der Überlegenheit des einen oder des anderen Vertragspartners zustande gekommen ist[113]
. Ebenso ist es sittenwidrig, wenn die Behörde überhöhte Forderungen durchsetzen möchte[114].
bb) Positive Kenntnis der Rechtswidrigkeit bei den Vertragschließenden
789
Nach § 59 Abs. 2 Nr 2 ist ein örV nichtig, wenn ein VA mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers i.S.d. § 46 rechtswidrig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war. Die Norm bevorzugt den Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelnsgegenüber dem Grundsatz der Vertragsverbindlichkeit dann, wenn die Vertragschließenden bei positiver Kenntnis einen rechtswidrigen Erfolg herbeiführen wollten. Dieser Erfolg muss ein Erfolg in der Sache sein; eine Umgehung von Verfahrens- und Formvorschriften reicht nicht. Die Kenntnis der Vertragsparteien muss sich auf die Rechtswidrigkeit des Vertragsinhaltsbeziehen, und sie muss bei allen Vertragsparteien vorhanden sein. Für die Kenntnis ist auf den Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags abzustellen. Die Rechtswidrigkeit des Vertragsinhalts ist den Vertragsparteien dann bekannt, wenn sie über die Rechtswidrigkeit informiert sind; dolus eventualis reicht. Die hier relevante Kenntnis ist beim Bürger zu unterstellen, wenn eine Parallelwertung in der Laiensphäre ergibt, dass der Vertragsinhalt rechtswidrig ist. Auf Seiten der Behörde reicht evidente Ignoranz der geltenden Rechtslage[115].
cc) Fehlende Voraussetzung beim Vergleichsvertrag
790
Nach § 59 Abs. 2 Nr 3 ist ein Vergleichsvertrag nichtig, wenn die Voraussetzungenzu seinem Abschluss nach § 55nicht vorlagen (s.o. Rn 768 ff) und ein VA mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers i.S.d. § 46 rechtswidrig wäre. Die Vorschrift soll verhindern, dass der Abschluss eines Vergleichsvertrags dazu dient, einen an sich rechtlich missbilligten Erfolg herbeizuführen. Nicht entscheidend ist, dass den Beteiligten bewusst ist, einen rechtswidrigen Vergleichsvertrag abzuschließen. Ein ermessensfehlerhaft abgeschlossener Vergleichsvertrag, bspw. eine willkürliche Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte, führt zur Nichtigkeit des Vertrags[116]. Eine unschwer zu beseitigende Ungewissheit kann ein Ermessensfehler sein und zur Nichtigkeit des Vergleichs führen[117].
dd) Unzulässige Gegenleistung beim Austauschvertrag
791
Nach § 59 Abs. 2 Nr 4 ist ein örV nichtig, wenn sich die Behörde eine nach § 56 unzulässige Gegenleistungversprechen lässt. Diese Norm enthält eine Schutzbestimmung zugunsten des Bürgers; sie soll einen Missbrauch der Behörde der Art verhindern, sich unzulässige Gegenleistungen versprechen zu lassen (s.o. Rn 774 ff). Unzulässig ist insbes. eine überhöhte Forderung der Behörde[118].
c) Die allgemeinen Nichtigkeitsgründe des § 59 Abs. 1 VwVfG
792
Nach § 59 Abs. 1 ist ein örV nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des BGB ergibt. Einschlägig sind somit nur die Nichtigkeitsvorschriften des BGB, nicht aber die der ZPO sowie anderer zivilrechtlicher Regelungen. § 59 Abs. 1 gilt – wie schon hervorgehoben – für alle Arten von örVen. – Hinzuweisen ist darauf, dass nach Möglichkeit ein örV so auszulegen ist, dass seine Nichtigkeit vermieden wird[119].
aa) Nichtigkeit nach §§ 105, 116, 117 Abs. 1, 118 und 125 BGB
793
Nach § 105 BGB ist die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen sowie die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegebene Willenserklärung nichtig. Die unter einem geheimen Vorbehalt nach § 116 S. 2 BGB abgegebene Willenserklärung ist nichtig. Nichtig sind Scheingeschäfte nach § 117 Abs. 1 BGB. Nichtig ist ferner die bei einem Mangel der Ernstlichkeit abgegebene Willenserklärung nach § 118 BGB. Nichtig ist schließlich ein Vertrag, der der vorgeschriebenen Schriftform entbehrt, § 125 S. 1 BGB[120].
bb) Verstoß gegen § 134 BGB
794
Nach § 134 BGB ist ein Vertrag nichtig, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, es sei denn, aus dem Gesetz ergibt sich ein anderes. § 134 BGB gilt auch für den örV. Freilich erfüllt nicht jede Rechtswidrigkeit beim Vertragshandeln die Voraussetzungen des § 134 BGB, sondern nur ein qualifizierter Rechtsverstoß. Denn im Unterschied zur privatrechtlichen Vertragsfreiheit ist die öffentliche Verwaltung in weitem Umfange gesetzesdirigiert. In der Wertung des § 59 kommt jedoch zum Ausdruck, dass nicht jeder Fehler zur Unwirksamkeit führen soll. Ein qualifizierter Rechtsverstoß kann nur bei einem Verstoß gegen eine zwingende Rechtsnorm vorliegen. In Betracht kommen als Rechtsnorm die Verfassung, das Gesetz, die Rechtsverordnung, auch das EU-Recht[121]. Im Rahmen seiner Kompetenz kann auch der Satzungsgeber Verbote formulieren. Für die Annahme eines Verbots sind nicht hinreichend Verstöße gegen Soll- oder Kann-Regelungen; nicht ausreichend ist ebenfalls ein Verstoß gegen allgemeine Grundsätze wie den der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, das Rechtsstaatsprinzip sowie Verwaltungsvorschriften.
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