746
Die Norm greift freilich nur dann, wenn die Vertragsform überhaupt zulässig ist; das ist regelmäßig nicht der Fall bei Prüfungs-, Besoldungs-, Versorgungs- sowie Wahlprüfungsangelegenheiten[51]. § 55 erlaubt insbes. Vergleiche im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens. Vergleiche vor dem Verwaltungsgericht sind nach § 106 VwGO zulässig[52]
. Der Vergleich vor einem Verwaltungsgerichthat Doppelnatur: er ist zum einen Prozesshandlung, zum anderen ein materiell-rechtlicher öffentlich-rechtlicher Vertrag[53]
.
747
§ 56 erwähnt als zweiten sog. „benannten“ Vertrag den Austauschvertrag. Abs. 1 S. 1 der Vorschrift definiert ihn als einen Vertrag, in dem sich der Vertragspartner der Behörde zu einer Gegenleistung verpflichtet. Kennzeichnendfür den Austauschvertrag ist, dass zumindest ein Vertragspartner eine Leistung öffentlich-rechtlichen Inhalts erbringt, um von dem anderen Vertragspartner eine bestimmte Gegenleistung zu erhalten, an der ein irgendwie geartetes Verwaltungsinteresse besteht[54]. Inhaltlich ist deshalb der Austauschvertrag ein Verpflichtungsvertrag. Im Verhältnis zu § 55 können Überschneidungen bestehen, denn Vergleichsverträge können ebenfalls auf den Austausch von Leistungen gerichtet sein[55].
Beispiel:
Die Behörde verpflichtet sich zur Erteilung einer Baugenehmigung; der Adressat der Baugenehmigung verpflichtet sich, als Ausgleich für das Fällen von Bäumen Anpflanzungen auf seinem Grundstück vorzunehmen.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 17 Der öffentlich-rechtliche Vertrag› V. Rechtmäßigkeitsanforderungen
V. Rechtmäßigkeitsanforderungen
1. Die Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags
a) Grundsätzliche Zulässigkeit
748
§ 54 S. 1 spricht von „kann“: Darin gelangt eine doppelte gesetzliche Entscheidung zum Ausdruck: zum einen die gesetzliche Ermächtigungzur Nutzung dieses Instruments (i.S. einer Zulässigkeitserklärung) im Verwaltungsverfahren, ohne dass es weiterer spezialgesetzlicher Ermächtigungen bedürfte; zum anderen eine Ermessensregelung, die erlaubt, nach sachgerechter Abwägung im Einzelfall den örV als Handlungsinstrument zu wählen. Mit Blick auf dieses Ermessen ist festzuhalten: Die Verwaltung hat ein Auswahl- und Entschließungsermessen; das Ermessen ist nicht begrenzt darauf, den örV als Surrogat eines VA zu wählen[56].
b) Ermittlung von Handlungsformverboten
749
Bei der Zulässigkeit der Handlungsform geht es um die Frage, ob überhaupt ein Vertrag geschlossen werden darf. § 54 S. 1 enthält hierzu eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Im Zweifel bedeutet das Schweigen des Gesetzes daher eine Vertragsformerlaubnis. Vertragsformverbote gibt es nur ausnahmsweise. Die Unzulässigkeit des Abschlusses eines örV als Handlungsform ergibt sich nicht nur bei einem ausdrücklichen Verbot, sondern kann auch aus Sinn, Zweck oder Systematik eines Gesetzes folgen[57]. Dabei ist stets auf die genaue Reichweite des Vertragsformverbots zu achten. Oftmals beschränkt es sich auf den jeweiligen Kernbereich eines Rechtsgebiets, während jenseits dieses Kernbereichs örVe zulässig sind.
c) Bedeutsame Handlungsformverbote
750
Bei den zum Pflichtstoff gehörenden Materien wird das Handlungsformverbot im Bereich der Bauleitplanung relevant. Bauleitplanungsverpflichtungsverträge, also Vereinbarungen über den Erlass, die Änderung, die Beibehaltung oder Aufhebung von vorbereitenden oder verbindlichen Bauleitplänen, sind unzulässig, wie in § 1 Abs. 3 S. 2, 2. HS BauGB klargestellt ist[58]. Diese Regelung ist zwar im Ausgangspunkt als ein gesetzliches Inhaltsverbot i.S.d. § 134 BGB iVm § 59 Abs. 1 VwVfG einzuordnen[59]. Bildet die Bauleitplanungsverpflichtung jedoch den alleinigen oder zumindest zentralen Gegenstand eines Vertrags, so rechtfertigt dies die Einordnung als ein Handlungsformverbot i.S.d. § 54 S. 1[60].
751
Grundsätzlich unzulässig sind örV darüber hinaus im öffentlichen Dienstrecht. Denn Beamtenernennungen und vergleichbare Rechtsakte dürfen nur in Form von Urkunden ergehen (§ 8 Abs. 2 S. 1 BeamtStG). Je weiter jedoch vom Kernbereich des Beamtenrechts abgerückt wird, umso eher verbleibt Raum für auch vertragliche Lösungen. Zulässig ist etwa vor Begründung eines Beamtenverhältnisses ein Studienförderungsvertrag, in dem sich ein Studierender zum späteren Eintritt in den öffentlichen Dienst verpflichtet[61].
752
Die Handlungsform „örV“ ist darüber hinaus grundsätzlich unzulässig bei Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen, soweit es den Prüfungsinhalt und das Prüfungsergebnis anbelangt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 2 Abs. 3 Nr 2 für Prüfungsleistungen nicht auf §§ 54 ff Bezug nimmt (zu den Ausnahmen vom Anwendungsbereich s.o. Rn 106). Die Unzulässigkeit beschränkt sich allerdings auf das Verwaltungshandeln unmittelbar „bei“ Prüfungen, so dass nur Prüfungsverfahren, -inhalt und -ergebnis nicht vertraglich ausgehandelt werden dürfen (sog. innere Prüfungsangelegenheiten). Das gilt nicht bei den sog. äußeren Angelegenheiten ohne spezifischen Bezug zur Leistungsbewertung[62].
753
Im Abgabenrechtleitet die Rechtsprechung aus Art. 20 Abs. 3 GG ein grundsätzliches Formverbot ab[63]. Die Literatur steht der Annahme eines grundsätzlichen Handlungsformverbots zu Recht skeptisch gegenüber: Denn die Steuer als solche mag zwar nicht „verhandelbar“ sein, wohl aber die Art und Weise der Steuerzahlung[64]. Verboten sind danach lediglich bestimmte Inhalte, nicht jedoch die Form[65].
2. Formelle Anforderungen
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Wie schon mehrfach erwähnt, handelt es sich bei der Erklärung der Behörde, die einen Vertragsabschluss wirksam herbeiführt, um eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Bei deren Abgabe muss zugleich die Zuständigkeitsordnung gewahrt werden. Zur Abgabe dieser Erklärung muss die Behörde daher sachlich, instanziell und örtlichzuständig sein. Insoweit kann grundsätzlich auf die Ausführungen zum VA verwiesen werden (s.o. Rn 470 ff)[66].
b) Formerfordernisse
aa) Grundsatz: Schriftformerfordernis
755
Nach § 57 bedarf der örV der Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Gegenüber dem VA stellt das Gesetz somit ein strenges Formerfordernis auf, vgl § 37 Abs. 2 (s.o. Rn 509). Mit dem Schriftformerfordernis werden ähnliche Zweckeverfolgt wie im Privatrecht: Insbes. soll sie vor Übereilung schützen und Klarheit über den Inhalt eines örV schaffen[67].
756
Zur Wahrung des gesetzlichen Schriftform müssen gewisse Mindestanforderungenerfüllt sein: Erforderlich ist zunächst die Herstellung einer Urkunde[68], also die Unterzeichnung einer schriftlich verkörperten, daher nachlesbaren Willenserklärung. Die Schriftform bezieht sich nach ihrem Umfang auf alle Vertragserklärungen aller Vertragspartner. Die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform verlangt, dass die Urkunde grundsätzlich von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen unterzeichnet wird (§ 62 S. 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 BGB).
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