727
Auch die öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftragbegründet ebenso wie im Zivilrecht kein vertragliches, sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis. Die sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Ansprüche (Aufwendungsersatz, Erstattungsanspruch) sind deshalb gesetzlicher, nicht vertraglicher Natur (dazu Rn 819 ff)[21].
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Mit Blick auf die Vertragspartnersind folgende Varianten öffentlich-rechtlicher Verträge möglich:
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Verträge zwischen Verwaltungsträgern, |
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Verträge zwischen Verwaltungsträgern und Privatpersonen[22] sowie |
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Verträge zwischen Privatpersonen. |
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Die §§ 54 ff erfassen zunächst Verträge zwischenverschiedenen Verwaltungsträgern, wenn der Vertragsgegenstand öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit iSd § 1 Abs. 1 ist sowie ein Rechtsverhältnis zur Einzelfallregelung begründet, geändert oder aufgehoben werden soll. Alle in Rn 114 ffgenannten Verwaltungsträger können Rechtssubjekt eines solchen Vertrags sein. Auch teilrechtsfähige Rechtssubjekte desselben Rechtsträgers können Vertragspartner sein (sog. In-Sich-Verträge bzw Organverträge)[23]. Der Vertragsgegenstand ist unerheblich; er kann sich auf VAe oder VA-Surrogate sowie auf Realakte, Pläne oder sonstige Handlungen, Duldungen, Unterlassungen oder öffentlich-rechtliche Willenserklärungen beziehen.
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Aber auch Verträge zwischen einem Verwaltungsträger und einem Bürgersind von § 54 erfasst. In erster Linie kommen Verträge in Betracht, welche die für den Erlass eines VA örtlich und sachlich zuständige Behörde mit dem potenziellen Adressaten des VA schließt. Schließlich sind in bestimmten Konstellationen sogar Verträge zwischen Rechtssubjekten des Privatrechtsüber Gegenstände des öffentlichen Rechts denkbar. Voraussetzung für einen örV zwischen Privaten ist aber eine spezialgesetzliche Ermächtigung[24].
Beispiele:
Die Übernahme der Straßenreinigungs- und Sicherungslast; die Übernahme von Unterhaltspflichten an einem Gewässer, wenn eine Unterhaltspflicht von Privaten besteht, ein Privater übernimmt die einem anderen Privaten obliegende Unterhaltspflicht; ferner gibt es solche Privaten obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten im Bau-, Berg-, Jagd-, Polizei-, Sozial- und Kommunalrecht.
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Zulässig sind auch Verträge zugunsten Dritter. Ebenfalls ist ein örV mit Schutzwirkung für Drittedenkbar, wenn bestimmte Personen erkennbar in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen sind und dies nach den Erklärungen der Vertragsparteien oder ihrem objektiven Verhalten anzunehmen ist[25]. Grundsätzlich unzulässig ist ein örV zulasten Dritter[26]. Allerdings ist ein örV, der in die Rechte eines Dritten eingreift, gemäß § 58 Abs. 1 bis zur Zustimmung des Dritten lediglich schwebend unwirksam (s.u. Rn 784).
2. Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts
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Die §§ 54 ff gelten für Verträge „auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts“. Der Anwendungsbereich des VwVfG ist jedoch nach § 1 Abs. 1 auf die Verwaltungstätigkeit der Behörden begrenzt. Dies gilt auch für den örV. Die Verträge nach dem VwVfG werden deshalb auch als „Verwaltungsverträge“[27] oder „verwaltungsrechtliche Verträge“[28] bezeichnet. Da der Gesetzgeber aber den Begriff des örV gewählt hat, soll er auch im Folgenden beibehalten werden.
a) Begrenzung auf verwaltungsrechtliche Materien
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Wegen der Begrenzung auf verwaltungsrechtliche Materien sind folgende Verträge keine Verträge i.S.d. §§ 54 ff: völkerrechtliche und kirchenrechtlicheVerträge; staatsrechtliche Verträge, sie betreffen die Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen des Bundes und der Länder. Verwaltungsabkommen und Verwaltungsvereinbarungenzwischen mehreren Ländern oder zwischen Behörden mit verschiedenen Rechtsträgern fallen nur dann unter die §§ 54 ff, wenn sie sich auf öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit beziehen. Das Recht des örVs gelangt nicht zur Anwendung bei Verträgen, die Regierungstätigkeitoder ein konkretes Rechtsverhältnis mit Einzelfallwirkung zum Gegenstand haben. Verträge dieses Inhalts mögen zwar örVen ähnlich sein, werden aber wegen ihres Quasi-Normcharakters oder wegen ihrer fehlenden Verwaltungsverfahrensqualität nicht mehr von den §§ 54 ff erfasst. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG ist ein Akt der Normsetzung und gehört zur Gesetzgebung im materiellen Sinn[29]. Grenzänderungsverträge zwischen Gemeinden werden als abstrakte Vereinbarungen und Quellen objektiven Rechts angesehen[30].
b) Abgrenzung zum privatrechtlichen Vertrag
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Die Abgrenzung zum privatrechtlichen Vertrag erfolgt nach den Merkmalen, die zur Abgrenzung zwischen privatem und öffentlichem Recht entwickelt wurden. Entscheidend ist der Gegenstand des Vertrags[31]. Vertragsgegenstand in diesem Sinne ist der geregelte Sachverhalt. Entscheidend ist die gesetzliche Ordnung, die er im objektiven Recht gefunden hat[32]. Bei der Bestimmung des Gegenstands sind zudem die Rechtsfolgen und der Vertragszweck zu berücksichtigen.
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Denkbar ist, dass der Vertrag öffentlich-rechtlich erfasste Gegenstände sowie privatrechtlich erfasste Sachverhalte zum Gegenstand hat.
Beispiel:
Der Kauf eines Grundstücks (privatrechtlich), seine Erschließung durch die Gemeinde (öffentlich-rechtlich).
Solche Verträge nennt man gemischte Verträge. Für sie stellt sich die Frage, ob sie sowohl nach Privatrecht als auch nach öffentlichem Recht oder nur nach einer Rechtsordnung zu behandeln sind. Die Behandlung dieser Verträge nach beiden Rechtsordnungen lehnt die hM ab; der einheitliche Vertrag soll nicht inhaltlich aufgespalten werden, um das synallagmatische Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einheitlich beurteilen zu können. Deshalb gilt der Grundsatz der einheitlichen Betrachtungsweise: Bestimmt das öffentliche Recht den Gesamtcharakter bzw. den Schwerpunkt des Vertrags, so gehört er dem öffentlichen Recht an. Für die Ermittlung des Gesamtcharakters ist insbes. von Bedeutung, ob enge Verknüpfungen mit öffentlich-rechtlichen Berechtigungen und Verpflichtungen existieren[33].
Beispiele für örVe[34]:
Garagen- und Stellplatzverträge nach Landesbaurecht[35]; Erschließungsverträge nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr 1 BauGB[36]; Ablösungsverträge über Erschließungsbeiträge nach § 133 Abs. 3 S. 5 BauGB[37]; Folgelastenverträge bei Ausweisung neuer Baugebiete nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr 3 BauGB[38]
; Vertrag zwischen Dienstherrn und Beamten über Studienförderung[39]; Vertrag über die Verpflichtung zum späteren Eintritt in den Öffentlichen Dienst[40]; Vertrag zwischen Gemeinde und Bundesbahn über die Umbenennung eines Bahnhofs[41]; Vertrag über den Besuch einer städtischen Kindertagesstätte[42].
3. Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses
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Gegenstand eines örVs kann das erstmalige Zustandekommen, die inhaltliche Umgestaltungeines bestehenden sowie die Beseitigungeines Rechtsverhältnisses sein. Der Vertragsgegenstand kann materiell-rechtlicher, verfahrensrechtlicher und prozessrechtlicher Art sein. Der Vertrag kann konstitutive und deklaratorische Rechtsverhältnisse erfassen. Dass die Aufhebung eines Rechtsverhältnisses Gegenstand eines Vertrags sein kann, bedeutet zugleich, dass ein Vertrag nicht mehr durch einseitigen Akt aufgehoben werden kann.
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