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Rechtsverhältnisi.S.d. § 54 S. 1 ist die sich aus einem konkretenSachverhalt ergebende rechtliche Beziehung eines Rechtssubjekts zu einem anderen oder zu einer Sache[43]. Allgemeines und abstraktes Verwaltungshandeln erfüllt dieses Kriterium nicht; Vereinbarungen, die solches Verwaltungshandeln zum Gegenstand haben, sind daher keine örVe.
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Die Rechtsbeziehung bzw das Rechtsverhältnis muss kein gegenwärtiges sein; zukünftigeoder mögliche Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen sowie mit ihnen verbundene Berechtigungen oder Verpflichtungen können ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 54 S. 1 darstellen. Gefordert ist freilich ein „greifbarer Tatbestand“. Den Vertragsgegenstand können nicht Rechtsfragen oder reine Hypothesen bilden. Auch vergangeneRechtsverhältnisse können erfasst sein, sofern aus ihnen nach wie vor noch Rechte und Pflichten herrühren können[44].
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 17 Der öffentlich-rechtliche Vertrag› IV. Vertragsarten
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Die §§ 54 ff enthalten keinen abschließenden Katalogder möglichen Vertragsarten und -inhalte. Wegen § 62 S. 2 gilt freilich die Vertragstypologie des BGB auch im öffentlich-rechtlichen Vertragsrecht. Die §§ 55 ff enthalten einige Sonderregelungen. Die Übernahme privatrechtlicher Institute kommt nur nach einer Prüfung im Einzelfall in Betracht; es muss festgestellt werden, ob der Anwendung des BGB keine öffentlich-rechtlichen Grundsätze im Wege stehen.
1. Subordinationsrechtliche und koordinationsrechtliche Verträge
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Zu unterscheiden ist gemäß § 54 S. 1 und 2 insbes. zwischen subordinationsrechtlichen und koordinationsrechtlichen Verträgen. § 54 S. 2 umschreibt den subordinationsrechtlichen Vertrag als einen solchen, den eine Behörde abschließt, statt einen VA zu erlassen. Diese Unterscheidung ist zwar teilweise kritisiert worden[45]. Sie liegt jedoch den Bestimmungen der §§ 54 ff zugrunde und ist von erheblicher Bedeutung. Denn einige Regelungen kommen lediglich bei subordinationsrechtlichen Verträgen zur Anwendung, andere hingegen bei allen örVen. So ist etwa bei den Nichtigkeitsgründen nach § 59 zu differenzieren zwischen Abs. 1 und Abs. 2 (dazu ausf. Rn 785 ff). Die Nichtigkeitsgründe nach Abs. 1erfassen alle örVe, also subordinationsrechtliche und koordinationsrechtliche. Zum Ausdruck kommt dies in der Formulierung „ein öffentlich-rechtlicher Vertrag“ ohne einschränkenden Zusatz. Demgegenüber beschränken sich die Nichtigkeitsgründenach § 59 Abs. 2auf subordinationsrechtliche Verträge. Zum Ausdruck kommt dies in der Formulierung „ein Vertrag im Sinne des § 54 S. 2“. Aber auch bei den anderen Regelungen der §§ 54 ff ist genau darauf zu achten, ob alle örVe erfasst werden oder lediglich subordinationsrechtliche.
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Bei der Definition des subordinationsrechtlichen Vertragsist von der Bestimmung des § 54 S. 2 auszugehen. Danach werden jedenfalls solche örVe erfasst, die einen VA ersetzen. Wegen dieser „Nähe“ zu einem VA besteht zugleich eine erhöhte Schutzwürdigkeit des „Untergeordneten“. Diese äußert sich darin, dass der Gesetzgeber bei subordinationsrechtlichen Verträgen intensivere Schutzanforderungen errichtet hat. So gelten die in § 59 Abs. 2 aufgeführten Nichtigkeitsgründe nur für subordinationsrechtliche Verträge („ferner nichtig, wenn“). Da die erhöhte Schutzwürdigkeit nicht alleine mit der Handlungsform eines (ersetzten) VA verbunden ist, wird der Begriff des subordinationsrechtlichen Vertrags weiter ausgelegt. Erfasst werden alle Verträge, bei denen ein Über- und Unterordnungsverhältnisgegeben ist[46]. Dies ist bei einem Vertrag zwischen einem Verwaltungsträger und einem Bürger typischerweise, wenn auch nicht notwendigerweise anzunehmen. Dieses erweiterte Verständnis entspricht der bereits behandelten Subordinationstheorie (s.o. Rn 33).
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Im Gegensatz dazu erfasst der koordinationsrechtliche Vertragsolche örVe, bei denen kein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Erfasst werden im Umkehrschluss aus § 54 S. 2 typischerweise Verträge zwischen Verwaltungsträgern. Schwierigkeiten bei der Einordnung bereiten Konstellationen, in denen ein Verwaltungsträger Privatpersonen gegenübertritt, jedoch kein Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt. Zwar könnte versucht werden, solche Konstellationen in die vorhandene Zweiteilung „hineinzuzwängen“. Dann müsste aber entweder die Beschränkung der koordinationsrechtlichen Verträge auf solche zwischen Verwaltungsträgern aufgegeben werden[47], oder es müsste ein Subordinationsverhältnis gleichsam fingiert werden. Sachgerechter erschiene es deshalb de lege ferenda, eine eigenständige dritte Kategorieeinzuführen, die zugleich offen für eine differenzierende Maßstabsbildung ist[48].
2. Verpflichtungs- und Verfügungsverträge
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Die aus dem Privatrecht bekannte Differenzierung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsverträgen hat die Wirkungen eines Vertrags im Blick. In einem Verpflichtungsvertrag verpflichtetsich ein Partner zu einer noch zu erbringenden Leistung.
Beispiele:
Die Behörde kann sich zum Erlass eines VA, einer Geldzahlung oder einem sonstigen Verwaltungshandeln (Widerruf einer ehrenrührigen Erklärung) verpflichten. Der Bürger kann sich zur Erbringung jeder nach der Rechtsordnung möglichen Leistung verpflichten.
Verfügungsverträge sind einvernehmliche Rechtshandlungen, die unmittelbar die Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses herbeiführen. Sie dienen damit der Erfüllungder Vertragspflichten. Voraussetzung für einen Verfügungsvertrag ist in aller Regel ein wirksamer Verpflichtungsvertrag; indes können Verpflichtungsvertrag und Erfüllung zusammenfallen, wenn die Vertragsleistung nicht vollzugsbedürftig ist.
Beispiel:
Die Abgabe einer Willenserklärung.
3. Abstrakte und kausale Verträge
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Im Verwaltungsrecht ist ebenso wie im Privatrecht zwischen abstrakten und kausalen Verträgen zu unterscheiden. Der kausale Vertrag bildet auch im Verwaltungsrecht den Regelfall und beinhaltet den Rechtsgrund. Ist der Vertrag unwirksam, so fehlt es am Rechtsgrund für die Leistungserbringung, sodass diese rückgängig zu machen ist. Dieses geschieht mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (dazu Näheres in § 26). Auch abstrakte Verträge sind im öffentlichen Recht möglich, freilich wohl nur ausnahmsweise. Abstrakte Verträge verpflichten zur Leistung unabhängig von der Existenz eines kausalen Rechtsgeschäfts.
Beispiele
für abstrakte Verträge im öffentlichen Recht: Schuldversprechen und –anerkenntnis, §§ 780, 781 BGB; Rechtsfolgen bei Nichtbestehen einer Schuld[49]; Garantieversprechen und Risikoübernahme[50].
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§ 55 erwähnt speziell den Vergleichsvertrag. Es handelt sich um einen sog. „benannten“ Vertrag. Den Vergleichsvertrag kennzeichnet, dass eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird. Inhaltlich ist ein Vergleichsvertrag regelmäßig ein Verpflichtungsvertrag.
Beispiel:
A beantragt eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB. Es entsteht ein Streit über die rechtliche Zulässigkeit; ein Vergleichsvertrag kann den Inhalt haben, dass die Behörde sich verpflichtet, eine Baugenehmigung mit einem geringeren Umfang als beantragt zu erteilen, B verzichtet auf den weitergehenden Teil seines Antrags.
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