Dies ist, wie dargestellt (s.o. Rn. 139 ff.), bestimmend sowohl für den planerischen Entscheidungsvorgang, d.h. den Abwägungsvorgang, als auch für die Beurteilung des Ergebnisses, d.h. das Abwägungsergebnis.[161]
Im Rahmen des § 1 Abs. 7 BauGB ist eine Abwägung in dreifacher Weiseerforderlich:
• |
die öffentlichen Belangeunter- und gegeneinander |
• |
die privaten Belangeunter- und gegeneinander |
• |
die öffentlichen und privaten Belangeunter- und gegeneinander. |
Hinweis
Es besteht kein Vorrang der öffentlichen vor den privaten Belangen.[162] Es existiert der Grundsatz der Gleichgewichtigkeit aller Belange.[163]
200
Ein Vorrang der öffentlichen Belange vor den privaten Belangen würde nämlich sowohl den Gewichtungsmaßstab des § 1 Abs. 7 BauGB, wie auch die Planungsleitsätze, die den öffentlichen Belangen nicht von vornherein einen Vorrang vor kollidierenden privaten Belangen einräumen, verkennen. Sollten Belange miteinander kollidieren, so ist zu prüfen, ob sachgerechte, d. h. an den Planungsleitsätzen orientierte und hinreichend gewichtete Gründe es rechtfertigen, den einen Belang hinter den anderen zurücktreten zu lassen. Private Belangeergeben sich aus den Interessen der von der Planung Betroffenen. Derartige Interessen können z.B. aus der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG, oder aus sonstigen verfassungsrechtlichen Positionen, wie z.B. der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG oder dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG folgen.[164] Zu den öffentlichen Belangenzählen die in § 1 Abs. 5, 6 und 1a BauGB genannten Interessen und diejenigen Interessen der Nachbargemeinden, § 2 Abs. 2 BauGB.
201
Wegen der Notwendigkeit einer Abwägungmüssen bestimmte Belange vorgezogenund andere zurückgestelltwerden, denn nicht alle Belange können bei der Abwägung in gleicher Weise vorgezogen werden.[165] Die von der Planung berührten Belange müssen in einer Art und Weise vorgenommen werden, die dem objektiven Gewicht der Belangeentspricht.[166] Die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit sind nur dann überschritten, wenn einer der beteiligten Belange in geradezu unvertretbarer Weise zu kurz kommt. Dies ist der Fall, wenn der Belang und dessen Bedeutung in geradezu unvertretbarer Weise verkannt worden ist oder wenn das Verhältnis zwischen dem Belang und dem Planinhalt auch bei Berücksichtigung der planerischen Gestaltungsfreiheit und aller sonstiger Gegebenheiten nicht mehr stimmig ist.[167]
Hinweis
Da in § 1 Abs. 7 BauGB der Ausdruck der Belangeund nichtder der privaten Rechten verwendet wird, müssen auch Interessen in die Abwägung eingestellt werden, die kein subjektives Recht darstellen.[168]
202
Bei dieser Abwägungsentscheidung wird die Bedeutung der durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten Planungshoheit und Planungsfreiheit der Gemeinde erkennbar. Die Planung verpflichtet zwar zur Erreichung eines bestimmten Zwecks, jedoch wird dem Rechtsanwender frei gelassen, wie dieser Zweck erreicht wird. Es handelt sich daher um eine final ausgerichtete Planungsentscheidung(s. Rn. 147).[169]
JURIQ-Klausurtipp
An dieser Stelle muss in einer Klausur ein Verweis auf die Ausführungen zur Verfahrensgrundnorm, § 2 Abs. 3 BauGB, erfolgen. Anschließend ist zu prüfen, ob ein materieller Abwägungsfehler in Form der Abwägungsdisproportionalität gegeben ist (zum Ganzen s.o. Rn. 153).
bb) Weitere Planungsgrundsätze im Rahmen der Abwägung
203

Rechtsprechung und Literatur haben zur Konkretisierung dieser allgemeinen Grundanforderungen weitere Maßstäbe für eine ordnungsgemäße Abwägung entwickelt ( Abwägungsmaßstäbe i.w.S. oder Planungsgrundsätze).[170] Insbesondere sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:[171]
204
(a)Das Gebot der planerischen Konfliktbewältigungverlangt von jeder Planung, dass sie die ihr zuzurechnenden Konflikte, d.h. die vorgefundenen wie auch die durch die Planung neu aufgeworfenen Konflikte, bewältigt.[172] Erfasst werden jedoch nur städtebaulich relevante und mit den Mitteln der Bauleitplanung auflösbare Konflikte.
Die Planung wird dem Grundsatz der planerischen Konfliktbewältigunggrundsätzlich dann gerecht, wenn sie zu einer Milderung des Konflikts beiträgt, sie also eine Konfliktsituation verringert oder beseitigt.[173]
Die Gemeinde darf die Konfliktbewältigung nicht erst auf die einzelnen Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung verschieben. Eine Ausnahme von diesem Gebot ist bei kleinräumigen Konflikten gegeben, die nur die Nutzung von einzelnen Grundstücken betreffen. In diesem Fall darf die Gemeinde eine planerische Zurückhaltungdahingehend ausüben, dass sie die Bewältigung des Konflikts auf die einzelnen Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung verschiebt und dort den Konflikt unter Rückgriff auf § 15 Abs. 1 BauNVO auflöst.[174]
205
(b)Eng damit verbunden ist das Gebot der Rücksichtnahme[175](Zu den Einzelheiten s.u. Rn. 655 ff.). Inhaltlich bedeutet dies, dass jedes Bauvorhaben auf seine Umgebung Rücksicht nehmen und Auswirkungen vermeiden muss, die zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung anderer führen.[176] In seiner planungsrechtlichen Dimensionist es auf die Schutzwürdigkeit von Individualinteressen bezogen. Der Rechtsprechung zufolge handelt es sich dabei nicht um ein eigenständiges ungeschriebenes Gebot, sondern vielmehr um ein einfachgesetzliches Gebot, das durch gesetzliche Vorschriften konkretisiert wird.
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Das Gebot der Rücksichtnahme lässt sich in einzelne Untergeboteausdifferenzieren:
• |
Grundsatz ausreichender Trennung unverträglicher Nutzungen |
• |
Grundsatz der planerischen Vorbeugung |
• |
Grundsatz des Vorrangs der Konfliktvermeidung |
• |
Grundsatz der Berücksichtigung von Bestandsschutz- und Verbraucherinteressen |
• |
Grundsatz der Beherrschbarkeit von Immissionen und Emissionen |
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Dem Grundsatz ausreichender Trennung unverträglicher Nutzungenzufolge sollen unverträgliche Nutzungen grundsätzlich nicht nebeneinander geplant werden.[177] Es handelt sich um einen allgemeinen, in § 50 BImSchG zum Ausdruck kommenden, Grundgedanken.[178] Der Grundsatz der planerischen Vorbeugungzielt vorrangig auf einen planerisch vorsorgenden Umweltschutz.
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Der Grundsatz des Vorrangs der Konfliktvermeidungbesagt, dass die Bauleitplanung als milderes Mittel vor der Konfliktbewältigung diese Konflikte bereits im Vorfeld durch den Einsatz ihres spezifischen Instrumentariums zu vermeiden hat.[179]
Hinweis
Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle möglicherweise auftretenden Konflikte bei der Bauleitplanung aufgelöst werden müssen (s.o. Rn. 204).
209
Die Planung hat der Rechtsprechung zufolge in besonderem Maße auf Bestandsschutz- und VerbraucherinteressenRücksicht zu nehmen. Der Grundsatz der Beherrschbarkeit von Immissionen und Emissionengeht davon aus, dass eine sachgerechte Abwägung nur erfolgt ist, wenn die tatsächliche und rechtliche Beherrschbarkeit von Immissionen und Emissionen gewährleistet ist, so dass eine verträgliche Nachbarschaftsnutzung gegeben sein kann.
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