Hier hat die Gemeinde A zwar einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden privaten Interessen vorgenommen. Dabei hat sie jedoch die Interessen der Wohnbevölkerung unangemessen weit berücksichtigt und die Interessen der Gewerbetreibenden, insbesondere von nicht störenden Betrieben, unangemessen zurückgestellt.
Die Abwägungsdisproportionalität betrifft den Ausgleich der Belange untereinander und somit das Ergebnis der Abwägung. Daher handelt sich um einen Verstoß gegen das Gebot der gerechten Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB und somit um einen materiellen Fehler.
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Die Einführung des § 2 Abs. 3 BauGB als Verfahrensgrundnorm hat – wenn Sie der hier vertretenen und herrschenden Auffassung folgen (s.u. Rn. 221) – Konsequenzen für den Prüfungsaufbau, die daraus resultieren, dass die bisherigen materiell-rechtlichen Pflichten des Ermittelns und Bewertens der abwägungsrelevanten Belange, wie dargestellt (s. zum EAG Bau s. Rn. 140, 192, 338, 448 ff., 467 ff.), nun die formelle Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplanes betreffen. Die Abwägungsdisproportionalität stellt jedoch weiterhin einen materiell-rechtlichen Fehler dar. Es bietet sich folgender Aufbau an:
I. Bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeitgehen Sie wie folgt vor:
1. |
Stellen Sie zunächst die Bedeutung des § 2 Abs. 3 BauGBdar, gehen Sie dann auf die Änderungen der Rechtslageein und erörterndanach, ob es durch die Einführung des § 2 Abs. 3 BauGB zu einem Paradigmenwechselgekommen ist (s. die Darstellung des Streitstandes bei Rn. 221). |
2. |
Anschließend erfolgt eine Darstellung der Fehlerfolgenlehre. und eine Einstufung aller vier Abwägungsfehler als formell-rechtliche oder materiell-rechtliche Fehler. |
3. |
Die Konsequenzfür den Prüfungsaufbau ist: a) Bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeitsind • der Abwägungsausfall• das Abwägungsdefizitund • die Abwägungsfehleinschätzungzu prüfen. b) Im Rahmen der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeitverweisen Sie dann beim Abwägungsgebot gemäß § 1 Abs. 7 BauGB auf Ihre vorherigen Ausführungen zu § 2 Abs. 3 BauGB. Dort prüfen Sie dann den einzigen materiellen Fehler, nämlich die Abwägungsdisproportionalität. |
f) Satzungsbeschluss, § 10 Abs. 1 BauGB (i.V.m. den §§ der GemO)
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Wiederholen Sie das kommunale Satzungsrecht und überprüfen Sie, ob Sie Ihr Schema zur Prüfung der Rechtmäßigkeit von Satzungen beherrschen.
Wenn das Auslegungsverfahren beendet ist, erfolgt der Satzungsbeschluss. Insoweit unterscheidet sich das Verfahren beim Bebauungsplan von dem beim Flächennutzungsplan, für den ein einfacher Gemeinderatsbeschluss genügt.
Im Satzungsbeschluss wird der endgültige Bebauungsplan beschlossen. Die Rechtmäßigkeit des Satzungsbeschlusses richtet sich nach den Vorschriften des Kommunalrechts, d.h. nach der GemO. Zuständig für den Satzungsbeschluss ist der Gemeinderat gemäß § 24 Abs. 1 S. 2 GemO. Eine Übertragung dieser Aufgabe an einen beschließenden Ausschuss (§ 39 Abs. 2 Nr. 3 GemO) oder an den Bürgermeister (§ 44 Abs. 2 GemO) ist unzulässig (s. Rn. 115).[73]
Wiederholen Sie die Befangenheitsregelung des § 18 GemO im Skript „Kommunalrecht Baden-Württemberg“.
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An dieser Stelle sind in Prüfungsarbeiten regelmäßig Probleme aus dem Kommunalrecht eingefügt. Ein sehr beliebtes Problem ist z.B. die Befangenheit eines Gemeinderatsmitgliedes gemäß § 18 GemO. Denken Sie an die Möglichkeit einer Heilung durch Zeitablauf gemäß § 18 Abs. 6 S. 2, 3 GemO. Von Bedeutung sind auch die Öffentlichkeitsvorschriften (§ 35 GemO), deren Verletzung stets zur Nichtigkeit führt.[74]
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Fehlerfolgen: Fehler bei der Beschlussfassung führen zur formellen Rechtswidrigkeit des Planes. Ein fehlender Satzungsbeschluss ist beachtlichgemäß § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BauGB. Es kann eine Heilungnach § 214 Abs. 4 BauGB erfolgen, da ein planergänzendes Verfahren auch bei Verstößen gegen die GemO durchgeführt werden kann.
Unterstreichen Sie in Ihrem Gesetz in § 214 Abs. 1 S. 1 BauGB die Wörter „dieses Gesetzesbuches“
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Die §§ 214 – mit Ausnahme des Abs. 4 –, 215 BauGBsind nicht anwendbar. Dies folgt daraus, dass § 214 Abs. 1 S. 1 die Klausel „dieses Gesetzbuches“ enthält. Die Anwendbarkeit ist also nur bei Verstößen gegen Vorschriften das BauGB und somit gerade nicht bei Verstößen gegen die GemO möglich.
Wurden Satzungen jedoch unter Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften der GemOerlassen, so müssen Sie an den allgemeinen Heilungstatbestanddes § 4 Abs. 4 GemOdenken. Nach dieser Bestimmung gelten – unter gewissen Voraussetzungen – Satzungen ein Jahr nach Bekanntmachung trotz der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften als von Anfang an gültig zustande gekommen.
Möglich ist bei der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften der GemO die Durchführung eines planergänzenden Verfahrensgemäß § 214 Abs. 4BauGB. Nach dieser Norm können alle Fehler geheilt werden. Dies folgt daraus, dass sich § 214 Abs. 4 BauGB im Gegenstand zu § 214 Abs. 1–3 BauGB, § 215 Abs. 1 BauGB nicht auf bestimmte formelle Fehler bezieht, sondern vielmehr generell die Behebung von Fehlern genannt ist.
g) Begründung des Bebauungsplans, § 9 Abs. 8 BauGB
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Dem Bebauungsplan ist gemäß § 9 Abs. 8 BauGB eine Begründung beizufügen, die die Angaben nach § 2a BauGB enthält.[75]
Fehlerfolgen: Die Rechtsfolge eines Verstoßesim Falle eines völligen Fehlenseiner Begründung besteht in der Beachtlichkeit, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB. Sollte die Begründung lediglich in wesentlichen Punkten unvollständigsein, so hat die Gemeinde auf Verlangen Auskunft zu erteilen, wenn ein berechtigtes Interesse dargelegt wird, § 214 Abs. 1 S. 2 BauGB. In beiden Fällen kann eine Heilungnach § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 214 Abs. 4 BauGB erfolgen.
h) (Soweit erforderlich) Genehmigung des Bebauungsplanes durch die höhere Verwaltungsbehörde, §§ 6 Abs. 2, 10 Abs. 2 BauGB
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Genehmigungspflichtige Bebauungsplänesind gemäß § 6 Abs. 2, 10 Abs. 2 BauGB durch die höhere Verwaltungsbehördezu genehmigen. Das Genehmigungsbedürfnis besteht jedoch nur für bestimmte Bebauungspläne.
Hinweis
Denken Sie daran, dass der höheren Verwaltungsbehörde auch die nicht berücksichtigten Anregungen und Stellungnahmen gemäß § 3 Abs. 2 S. 6 BauGB vorzulegen sind.
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Aufgaben der höheren Verwaltungsbehörde[76] werden gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 DVO BauGB bei Gemeinden, die der Rechtsaufsicht des Landratsamts unterstehen, dem Landratsamtals unterere Verwaltungsbehörde übertragen. Gemäß § 119 S. 1 Alt. 1 GemO ist das Landratsamt Rechtsaufsichtsbehörde. Wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 119 S. 1 2. Alt GemO ergibt, ist dies bei kreisangehörigen Gemeindender Fall. Dies gilt gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 DVO BauGB jedoch nicht, soweit anstelle der Gemeinde eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die der Rechtsaufsicht des Regierungspräsidiums untersteht, die Bebauungspläne aufstellt. Gemäß § 119 S. 1 GemO ist das Regierungspräsidium für Stadtkreise und Große Kreisstädte die Rechtsaufsichtsbehörde. Das Regierungspräsidiumhat bei Stadtkreisen, § 3 Abs. 1 GemO, und bei Großen Kreisstädten, § 3 Abs. 2 GemO, die Rechtsaufsicht.
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