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Aus Gründen der Rechtsklarheit können dingliche Rechte nur an einzelnen Sachenbestehen. Das Gesetz bringt diesen Grundsatz der Spezialität etwa in § 929 S. 1 zum Ausdruck, wonach es zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache der Einigung und der Übergabe bedarf; noch deutlicher ist die schon erwähnte Vorschrift des § 1085 S. 1 ( Rn. 7). Der Grundsatz der Spezialität begegnet freilich, soweit man ihn auf das Innehaben eines Rechts bezieht, auch außerhalb des Bereichs der Herrschaftsrechte; auch das Forderungsrecht steht als einzelnes Recht dem jeweiligen Gläubiger zu[4]. Von wesentlicher Bedeutung ist der Spezialitätsgrundsatz für den Bereich der Verfügungsgeschäfte: sie sind unmittelbar auf die Änderung der Rechtslage an einem Recht gerichtet und müssen sich deshalb, damit das Schicksal der subjektiven Rechte für jedermann klar ist, stets auf ein einzelnes Recht beziehen[5]. Auch der so verstandene Spezialitätsgrundsatz beansprucht freilich für sämtliche Verfügungsgeschäfte und damit auch für die Übertragung oder Belastung einer Forderung Geltung. Er ist also mitnichten ein Grundsatz allein des Sachenrechts, mag ihm auch insoweit angesichts der Publizitätserfordernisse ( Rn. 18, 23 ff.) besondere Bedeutung zukommen.
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Vom Spezialitätsgrundsatz wird bisweilen der Bestimmtheitsgrundsatzunterschieden[6]. Danach soll die Wirksamkeit einer Verfügung voraussetzen, dass der Gegenstand der Verfügung bestimmt oder doch bestimmbar bezeichnet ist. Indes wird genau dies durch den Spezialitätsgrundsatz erreicht. Muss sich nämlich das Verfügungsgeschäft auf ein einzelnes Recht beziehen, so ist damit zugleich gewährleistet, dass der Eintritt der Rechtsänderung für jedermann erkennbar ist. Der Spezialitätsgrundsatz zielt also auf die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit von Verfügungsgeschäften, weshalb er zwar auch als Bestimmtheitsgrundsatz bezeichnet werden kann, sich von diesem aber nicht unterscheidet.
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Mit Rücksicht auf den absoluten Charakter des dinglichen Rechts ist das Sachenrecht bestrebt, die dingliche Rechtslageund jede Änderungderselben nach außen sichtbarzu machen. Es ist dazu ohne weiteres in der Lage, handelt es doch von körperlichen und damit „greifbaren“ Gegenständen ( Rn. 5 ff.). Der Grundsatz der Publizität soll also sicherstellen, dass die Rechtsverhältnisse an Sachen, die wegen des absoluten Charakters der dinglichen Rechte von jedermann zu beachten sind, nach außen erkennbar sind[7]. Publizitätsmittel sind der Besitzund die Eintragung in das Grundbuch. Das Gesetz weist diesen Publizitätsmitteln drei Funktionenzu[8]:
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So ist die Publizität der Rechtsänderung grundsätzlich Teil des Verfügungstatbestands, so dass für die Offenkundigkeit einer jeden Änderung der dinglichen Rechtslage gesorgt ist ( Rn. 23 ff.). |
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Zudem stellen §§ 891, 1006, 1065, 1227 die Vermutung auf, dass derjenige, der in seiner Person den Publizitätstatbestand erfüllt und somit nach außen als Berechtigter erscheint, auch tatsächlich Inhaber des jeweiligen dinglichen Rechts ist. |
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Schließlich knüpft das Gesetz an die Verwirklichung des Publizitätstatbestands die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten ( Rn. 147 ff.). Bei Auseinanderfallen von materieller Rechtslage und Besitz oder Grundbuch besteht also die Gefahr des Rechtsverlusts; dadurch wird das Publizitätsprinzip immerhin mittelbar abgesichert[9]. |
[1]
Allg. zur Rolle der Dogmatik im Sachenrecht Westermann , Festschrift für Canaris, 2017, S. 617 ff.; eingehend zu den im Folgenden darzustellenden Sachenrechtsprinzipien und mit konsequenter Einordnung des Sachenrechts in das allgemeine Vermögensrecht Füller , Eigenständiges Sachenrecht?, 2006, S. 112 ff., 526 ff.; „Grundfragen europäischen Sachenrechtsverständnisses“ erörtert v. Bar JZ 2015, 845 ff.
[2]
Westermann/ H. P. Westermann § 2 III; Westermann/Staudinger Rn. 7 f.; Wilhelm Rn. 13 ff.; Brehm/Berger § 1 Rn. 37 f.; Füller (Fn. 1), S. 370 ff.
[3]
Näher Staudinger/ C. Heinze Einl. Sachenrecht Rn. 116.
[4]
Baur/Stürner § 4 Rn. 18.
[5]
Baur/Stürner § 4 Rn. 17, 19; Westermann/ H. P. Westermann § 2 II 1; aus der neueren Rechtsprechung etwa BGH NJW 2002, 3021: Sachenrechtliches Bestimmtheitsgebot schließt es nicht aus, dass die Beteiligten die Bestimmung des Ausübungsbereichs einer Dienstbarkeit der tatsächlichen Ausübung überlassen.
[6]
So Brehm/Berger § 1 Rn. 42 f.; für Identität dagegen Jauernig/ Berger vor § 854 Rn. 5; Westermann/ H. P. Westermann § 2 II 1; s. ferner dens. , Festschrift für Georgiades, 2006, S. 465 ff.
[7]
Näher zum Publizitätsgrundsatz Picker AcP 188 (1988), 511 ff.; Martinek AcP 188 (1988), 573 ff.; Einsele JZ 1990, 1005 ff.; Füller (Fn. 1), S. 244 ff.
[8]
Baur/Stürner § 4 Rn. 9 ff.
[9]
So zu Recht Westermann/ H. P. Westermann § 2 I 2.
Erster Teil Grundlagen› § 3 Das dingliche Rechtsgeschäft
§ 3 Das dingliche Rechtsgeschäft
Inhaltsverzeichnis
I. Systematik
II. Charakteristika des dinglichen Rechtsgeschäfts
III. Das Verhältnis des Sachenrechts zum Allgemeinen Teil und zum Schuldrecht
I. Systematik
1. Die Abtretung als Grundtypus des Verfügungsgeschäfts
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Aufgrund der das deutsche Zivilrecht prägenden Trennung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ( Rn. 27 ff.) bedarf es zur Änderung in der Rechtszuständigkeit eines gesonderten Rechtsgeschäfts. Für die Übertragung einer Forderung enthalten §§ 398 ff. Regeln, die nach § 413 grundsätzlich, d.h. vorbehaltlich besonderer Vorschriften, auch auf die Übertragung anderer Rechte Anwendung finden. Von §§ 398 ff., 413 abweichende Vorschriften enthält das Gesetz insbesondere für Verfügungen über Rechte an Sachen; Verfügungen über solche Rechte, sogenannte dingliche Rechtsgeschäfte, sollen grundsätzlich unter Wahrung des Publizitätsgrundsatzes ( Rn. 18, 23 ff.) erfolgen. Nach §§ 929 S. 1, 873 Abs. 1 setzt deshalb die Übertragung des Eigentums neben der Einigung – sie entspricht der Einigung im Sinne der §§ 398 S. 1, 413 – die Verlautbarung der Rechtsänderung durch Übertragung des Besitzes oder durch Eintragung in das Grundbuch voraus.
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Die besonderen Vorschriften über die Übertragung von Sachenrechten treten an die Stelle der §§ 398 ff. Letztere werden also nicht lediglich ergänzt, sondern völlig verdrängt. So tritt an die Stelle des § 399 die allgemeine Vorschrift des § 137 S. 1, wonach durch Rechtsgeschäft keine „res extra commercium“ geschaffen werden kann (Rn. 143). Ausnahmen von dem Grundsatz der Übertragbarkeit der Sachenrechte sind nur insoweit anzuerkennen, als das Gesetz, wie in §§ 1059, 1092 Abs. 1, § 12 WEG geschehen, dies ausdrücklich bestimmt, ferner in den Fällen, in denen ein Recht als subjektiv-dingliches(§§ 1018, 1110) oder akzessorisches( Rn. 62) Recht nicht selbständig übertragen werden kann. Für die schuldnerschützenden Vorschriften der §§ 404 ff. ist im Zusammenhang mit der Übertragung von Sachenrechten schon aufgrund des absoluten Charakters dieser Rechte kein Raum ( Rn. 14). „Drittschutz“ soll insoweit vielmehr durch den Publizitätsgrundsatz und die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs bei fehlender Publizität der Rechtsänderung verwirklicht werden ( Rn. 23 ff.).
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