Diese Argumentation birgt allerdings die große Gefahr, durch die Konstruktion eines abstrakten Ausnahmetatbestands die Formvorschrift letztlich doch zur Disposition der Parteien zu stellen. Mit einer Begründung über die Formzwecke sollte deswegen besonders vorsichtig umgegangen werden und auf die zuerst dargestellten Kriterien der Bestimmtheit, des schutzwürdigen Vertrauens und der Erforderlichkeit nicht verzichtet werden.
Im Ergebnis liegt es deshalb näher, einen wirksamen Vertrag und damit einen Erfüllungsanspruch aus § 433 I BGB zu verneinen.
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Ergänzender Hinweis:
Verwehrt man dagegen – ebenfalls vertretbar – L mit einer der aufgezeigten Argumentationslinien, sich auf die Formnichtigkeit zu berufen, gilt der Kaufvertrag als wirksam geschlossen. Zu überlegen ist dann, ob sich L von diesem Vertrag wieder lösen kann:
Es erscheint kaum vertretbar, dass L den Kaufvertrag durch Irrtumsanfechtung gem. § 119 BGB rückgängig machen kann. Zu dem Zeitpunkt, als er sein Ehrenwort gab, war für ihn ausschlaggebender Beweggrund für den Vertragsschluss seine angeschlagene finanzielle Situation. Diese hat sich durch den unvorhergesehenen Umstand des plötzlichen Vermächtnisses zum Positiven gewandelt, so dass er nicht mehr zum Verkauf seines Grundstücks gezwungen ist. Dabei handelt es sich aber um einen unbeachtlichen Motivirrtum.[16]
In Betracht zu ziehen ist ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB . Dazu müsste die gleichbleibend (schlechte) finanzielle Situation des L Teil der Geschäftsgrundlage geworden sein. Unter dem Begriff Geschäftsgrundlage werden objektive und subjektive Geschäftsgrundlage zusammengefasst. Zur subjektiven Geschäftsgrundlage gehören die bei Abschluss des Vertrags zutage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut. Zur objektiven Geschäftsgrundlage gehören diejenigen Umstände und allgemeinen Verhältnisse, deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich ist, damit der Vertrag im Sinn der Intentionen beider Vertragsparteien noch als eine sinnvolle Regelung bestehen kann.
Abzugrenzen sind die Umstände, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind, von den einseitigen Erwartungen einer Partei, die allein für deren Willensbildung maßgeblich waren. Diese gehören nur dann zur Geschäftsgrundlage, wenn sie in den dem Vertrag zugrunde liegenden gemeinschaftlichen Geschäftswillen beider Parteien aufgenommen wurden. Dazu genügt nicht, dass eine Partei der anderen ihre Erwartungen bei den Vertragsverhandlungen mitteilt. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verhalten der anderen Partei als bloße Kenntnisnahme oder als Einverständnis und Aufnahme der Erwartungen in die gemeinsame Grundlage des Geschäftswillens zu verstehen ist.[17]
L hat während des Gesprächs im Kaminzimmer zwar offengelegt, dass er wegen Geldmangels gezwungen sei, sein Anwesen zu verkaufen. Hierauf ist GF in seiner Antwort aber nicht eingegangen, sondern hat L lediglich zu beschwichtigen versucht. Welcher Beweggrund für den Verkauf des Ritterguts ausschlaggebend war, blieb für GF ohne Bedeutung. Damit hat er den Umstand der Geldknappheit des L lediglich zur Kenntnis genommen, ihn aber nicht in die gemeinsame Grundlage des Geschäftswillens übernommen.
Nimmt man einen formwirksamen Kaufvertrag an, muss L sich somit an diesem auch festhalten lassen. Die GmbH kann Erfüllung (Auflassung des Grundstücks und Eintragung im Grundbuch) verlangen. Die Prüfung ist damit beendet. Schadensersatzansprüche sollten gleichwohl hilfsgutachterlich geprüft werden, auch wenn die Aufgabenstellung dies nicht explizit verlangt. Der Sachverhalt ist auf die Erörterung auch des Anspruchsinhalts angelegt.
Vgl. zum Wegfall der Geschäftsgrundlage auch Fall 6 „Erkerzimmer“ und Fall 7 „Erbensucher“ .
II. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB
Verneint man einen wirksamen Vertragsschluss, könnte die GmbH zumindest einen Schadensersatzanspruch gegen L aus culpa in contrahendo haben.
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Hierfür bedarf es zunächst eines Schuldverhältnisses i. S. v. § 311 II BGB. Dieses entstand durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen im Kaminzimmer, § 311 II Nr. 1 BGB. Die Anbahnung eines Vertrags (§ 311 II Nr. 2 BGB) meint dagegen bereits den Zeitpunkt vor der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, wenn eine Partei der anderen zur Vorbereitung eines Schuldverhältnisses die Möglichkeit zur Einwirkung auf ihre Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihr diese anvertraut, und ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig.[18]
Beendet wird das vorvertragliche Schuldverhältnis zwar mit dem Abschluss des (unwirksamen) Vertrags. Grundlage für die Pflichten nach § 241 II BGB nach Vertragsschluss ist dann nicht mehr das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung, sondern der Vertrag selbst. Davon unberührt bleiben aber bereits entstandene Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo.[19] Deshalb darf an dieser Stelle nicht auf den (formnichtigen) Kaufvertrag abgestellt werden.
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L müsste eine Rücksichtnahmepflicht gegenüber der GmbH verletzt haben, deren Inhalt und Umfang davon abhängt, inwieweit durch den vorvertraglichen Kontakt ein Vertrauensverhältnis entstanden ist.
Das Pflichtenprogramm, das die Vertragsanbahnung begründet, wird durch die Vorschriften des BGB nicht konkretisiert. Durch die Bezugnahme von § 311 II BGB auf § 241 II BGB wird nur der allgemeine Pflichtenrahmen in Übereinstimmung mit dem früheren, gewohnheitsrechtlich geltenden Recht sehr allgemein umschrieben. Die Hauptfallgruppen[20] der culpa in contrahendo sind:
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Körper- und Eigentumsschäden |
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Abbruch von Vertragsverhandlungen |
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Verzögerungen der Vertragsverhandlungen |
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öffentliche Ausschreibungen |
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unwirksame Verträge oder Vertragsbedingungen sowie |
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wirksame, aber inhaltlich nachteilige Verträge. |
Hier kommen zwei Anknüpfungspunkte für eine Pflichtverletzung in Betracht:
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Zum einen hat L dem GF sein Ehrenwort gegeben und ihn dadurch von einer notariellen Beurkundung abgehalten. Die Vertragsverhandlungen führten zwar scheinbar zu einem Vertragsschluss, tatsächlich ist der Vertrag aber aufgrund des Verhaltens des L nicht wirksam zustande gekommen (Fallgruppe der Haftung bei unwirksamem Vertrag). Dieser könnte deshalb wegen Verursachung der Unwirksamkeit schadensersatzpflichtig sein.
Möglich erscheint es auch, die Pflichtverletzung des L darin zu erblicken, dass er es unterlassen hat, sein Ehrenwort einzulösen und den Vertrag zu erfüllen. Damit ein Unterlassen eine Pflichtverletzung darstellt, muss eine Rechtspflicht zum Handeln bestehen. Diese kann nur aus dem vorangegangenen Geben des Ehrenworts resultieren. Über den Umweg des Unterlassens sind deshalb im Kern die gleichen Überlegungen anzustellen.
Grundsätzlich fällt die Vertragsnichtigkeit aber in den Risikobereich beider Parteien. Durch die Gewährung des Vertrauensschadens würde ein indirekter Zwang zur Erfüllung des formnichtigen Geschäfts ausgeübt, der mit dem Schutzzweck der Formvorschrift in der Regel nicht zu vereinbaren ist. Bei der Annahme einer Haftung ist deshalb generell Zurückhaltung geboten.[21]
Außerdem besteht die Besonderheit des vorliegenden Falls darin, dass GF die Formbedürftigkeit bekannt war. Er vertraute gerade nicht auf die Gültigkeit des Vertrags, sondern lediglich darauf, dass L sein Versprechen freiwillig einlösen und das Grundstück übereignen würde. Ob dieses Vertrauen schutzwürdig ist, ist mit denselben Argumenten zu bejahen oder zu verneinen, die bereits zur Prüfung von § 242 BGB herangezogen wurden. Entscheidend ist, dass die Fallbearbeitung an dieser Stelle konsistent ist und keine Wertungswidersprüche zur obigen Prüfung bei § 311b I BGB entstehen.
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