Bejaht man dagegen – auch das ist vertretbar – ein schutzwürdiges Vertrauen auf Seiten der GmbH, so fragt sich, ob ein Rückgriff auf § 242 BGB erforderlich ist.
aa) Erfordernis der Rechtsprechung: Schlechthin untragbares Ergebnis
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Die Berücksichtigung des Formmangels muss hierfür nicht nur zu einem für eine Partei harten, sondern zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen. Anderenfalls würde die Rechtssicherheit aus bloßen Billigkeitsgesichtspunkten außer Acht gelassen. Ausnahmen von der Formnichtigkeit sind deshalb nur zuzulassen, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen. Das ist nicht der Fall, wenn der bei einem nichtigen Vertrag bestehende Rechtsschutz (z. B. über culpa in contrahendo und Bereicherungsrecht) die berechtigten Interessen der schutzbedürftigen Partei ausreichend sichert.[8]
Hinweis zum Aufbau:
Hier stellt sich für die Studierenden ein Problem, das im Gutachtenaufbau begründet liegt. Anders als die Rechtsprechung kann man in der Klausurlösung nicht bei den Ansprüchen aus culpa in contrahendo beginnen, sondern muss mit den Ansprüchen aus Vertrag anfangen. Falllösungstechnisch bieten sich nun zwei Wege an: Entweder können inzident die Voraussetzungen der culpa in contrahendo geprüft werden. Oder man fährt mit der Prüfung des vertraglichen Anspruchs ohne Inzidentgutachten fort. Für Letzteres bietet sich das folgende Argument an: Ansprüche aus culpa in contrahendo richten sich im Allgemeinen auf das negative Interesse. Liegt im vorliegenden Fall jedoch ein schlechthin untragbares Ergebnis vor, so ist das Rechtsgeschäft als gültig zu behandeln und es besteht ein Erfüllungsanspruch. Ein Schadensersatzanspruch lässt das berechtigte Interesse somit nicht entfallen. Dieser zweite Weg erscheint vorzugswürdig, da das Gutachten dann nicht verschachtelt aufgebaut werden muss (vgl. zum Anspruchsinhalt bei culpa in contrahendo aber auch die weitere Falllösung unter II).
bb) Fallgruppenbildung in der Literatur
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In der Literatur findet die Formel des BGH vom schlechthin untragbaren Ergebnis keine ungeteilte Zustimmung, sondern wird teilweise als bloße Leerformel betrachtet. Es werden deshalb Fallgruppen gebildet:[9]
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Wenn eine Partei die andere von der Wahrung der Form abgehalten hat, um sich später auf den Formmangel berufen zu können, ist der Vertrag als gültig anzusehen.[10] Die schuldhafte, aber nicht arglistige Verursachung des Formmangels reicht zur Anwendung des § 242 BGB allerdings nicht.
Genau so liegt aber der vorliegende Fall: L hielt GF zwar absichtlich von der Wahrung der Form ab, handelte dabei aber nicht arglistig, da er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erfüllen und sich nicht auf den Formmangel berufen wollte.
(2) Schwere Treuepflichtverletzung
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Die Annahme einer schweren Treuepflichtverletzung ist in der Rechtsprechung sehr fallbezogen, nicht widerspruchsfrei und deshalb schwer zu systematisieren.[11] Bejaht wurde sie beispielsweise dann, wenn eine Partei in schwerwiegender Weise gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) verstoßen hat, etwa dadurch, dass sie die Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung verweigert, nachdem sie die Vorteile der formunwirksamen Vereinbarung in Anspruch genommen hat.[12]
Im vorliegenden Fall könnte eine Treuepflichtverletzung darin bestehen, dass L den Formmangel unter Hinweis auf seine adelige Abstammung verursacht hat. Statt sich an sein eigenes Versprechen zu halten, beruft er sich später auf die Formnichtigkeit. Damit nimmt er aber nur das Recht wahr, das ihm § 125 BGB einräumt. Sein Motiv hierfür bildet das unerwartete Vermächtnis, das die wirtschaftliche Notwendigkeit für den Verkauf des sich seit mehreren Jahrhunderten im Familienbesitz befindlichen Anwesens entfallen lässt. Damit hatte L ein schwerwiegendes ideelles Interesse, das für ihn den Ausschlag gab, sich schließlich doch auf den Formmangel zu berufen. Auf der anderen Seite könnte es fraglich sein, ob sich L gerade auf dieses ideelle Interesse stützen darf, gab er doch durch sein vorhergehendes Verhalten zu verstehen, dass ihm viel an dem ebenfalls ideellen Wert seiner Ehre gelegen ist. Mit guter Argumentation kann an dieser Stelle beides vertreten werden.
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Nach Ansicht eines älteren BGH-Urteils soll ein Vertrag als gültig anzusehen sein, wenn seine Nichterfüllung dazu führen würde, dass die wirtschaftliche Existenz einer Partei gefährdet oder vernichtet würde.[13] Allgemein wird aber vorausgesetzt, dass diese Partei gutgläubig auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts vertraut hat. Dies ist hier gerade nicht der Fall, da GF von der Beurkundungspflicht wusste. Nimmt man diese Einschränkung nicht vor, könnte sich ein anderes Ergebnis vertreten lassen. Laut Sachverhalt braucht die GmbH das Projekt dringend, sonst muss sie Insolvenz anmelden. Weiter erfährt man, dass die GmbH durch das Projekt mindestens einen Reingewinn in Höhe von € 750.000 erzielt hätte, den sie nun nicht realisieren kann. Dadurch eröffnet sich ein gewisser Argumentationsspielraum.
Allerdings ist die Berechtigung dieser Fallgruppe zu hinterfragen. Die finanziellen Auswirkungen einer Rechtshandlung für die andere Seite muss eine Partei ohne besondere Umstände nicht berücksichtigen, anderenfalls könnte man mit diesem Argument jegliches Subsumtionsergebnis revidieren. Eine, wenn auch erhebliche, Einbuße kann deshalb nicht für eine Anwendung von § 242 BGB genügen. Eine Existenzgefährdung müsste voraussetzen, dass das erzielte Ergebnis schlechthin untragbar ist. Wann diese Grenze erreicht ist, ist allerdings schwer zu sagen, was ein weiteres Argument gegen eine solche unspezifische Fallgruppe ist.
Der vorliegende Sachverhalt enthält jedenfalls für eine Existenzgefährdung in diesem Sinne nur wenige Anhaltspunkte.
Es spricht deshalb vieles dafür, dass ein Rückgriff auf § 242 BGB nicht angezeigt und folglich von der Unwirksamkeit des Vertrags auszugehen ist.
cc) Formzwecke als allgemeine Begründung für Ausnahmen von der Nichtigkeit
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Ein anderer Ansatzpunkt zur Konkretisierung des § 242 BGB ist es, auf den jeweiligen Zweck des Formerfordernisses abzustellen.[14]
Die Pflicht zur notariellen Beurkundung bei Veräußerung oder Erwerb eines Grundstücks verfolgt mehrere Zwecke: Zunächst soll sie die Parteien auf die Bedeutung des Geschäfts aufmerksam machen und vor dem Eingehen einer übereilten Verpflichtung oder unüberlegten Bedingungen schützen (Warnfunktion) . Ferner soll sie den Beweis des Zustandekommens und des Inhalts der getroffenen Vereinbarung sicherstellen (Beweisfunktion) . Daneben soll die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts gewährleistet (Gültigkeitsgewähr) und eine sachgemäße Beratung der Parteien sichergestellt werden (Beratungsfunktion) .[15]
Sieht man den vorrangigen Normzweck des § 311b I BGB im Übereilungsschutz und dem Interesse der Parteien an sachkundiger Beratung und Belehrung, könnte man bei vorsätzlicher Verursachung des Formmangels durch eine Partei an eine Ausnahme vom grundsätzlichen Formerfordernis denken.
L entschloss sich laut Sachverhalt nur schweren Herzens zum Verkauf seines Anwesens, was darauf hindeutet, dass er jedenfalls keinen übereilten Entschluss gefällt hat. In seinem Verhalten im Kaminzimmer könnte deshalb durchaus ein Verzicht auf den Schutz der notariellen Beurkundung gesehen werden, weswegen eine Berufung seinerseits auf den Formmangel ausscheiden könnte. Dieses Ergebnis würde noch dadurch unterstrichen, dass auch für die GmbH sowohl Warn- als auch Beratungsfunktion keine wesentliche Rolle spielten. Da das Projekt auch für die GmbH sehr wichtig ist, hätte GF beim Notar ebenfalls keinen Abstand vom Vertrag genommen. Die Normzwecke würden einer Ausnahme von der Nichtigkeit somit nicht entgegenstehen.
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