2. Teil Straftaten gegen das Leben› C. Mord, § 211› III. Objektiver Tatbestand
III. Objektiver Tatbestand
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Im objektiven Tatbestand ist zunächst zu prüfen, ob der Taterfolg (Tod eines anderen Menschen) kausal und objektiv zurechenbar durch eine Handlung oder ein Unterlassen (anschließend müssen noch Garantenstellung und Gleichstellungsklausel gem. § 13 geprüft werden) verursacht wurde. Sofern Sie zunächst § 212 geprüft haben, können Sie auf die dort gewonnen Ergebnisse verweisen.
Dann sind die tatbezogenen Mordmerkmalezu prüfen. In Betracht kommen heimtückisch, grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln. Die Prüfung des objektiven Tatbestands erfolgt somit in 2 Schritten:
Schritt 1 |
Schritt 2 |
Voraussetzungen des § 212 |
Tatbezogene Mordmerkmaledes § 211 Abs. 2 |
Tathandlung |
Taterfolg |
Kausalität |
Objektive Zurechnung |
heimtückisch |
grausam |
mit gemeingefährlichen Mitteln |
2. Teil Straftaten gegen das Leben› C. Mord, § 211› IV. Mordmerkmale der zweiten Gruppe
IV. Mordmerkmale der zweiten Gruppe
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Die Mordmerkmale der zweiten Gruppe beschreiben wie bereits dargestellt im Wesentlichen die Art und Weise der Tatbegehung.In der Klausur wird Ihnen zumeist das Mordmerkmal der Heimtücke begegnen.
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Das problematische Mordmerkmal der zweiten Gruppe ist das Mordmerkmal der Heimtücke. Grund für die Aufnahme dieses Mordmerkmals in den Tatbestand des § 211 ist die besonders hinterhältige und damit verwerfliche und gefährliche Vorgehensweise des Täters, welche die Arg- und Wehrlosigkeit eines anderen zu einem Überraschungsangriff ausnutzt, um den zu Tötenden auf diese Art und Weise daran zu hindern, sich gegen den Angriff zur Wehr zu setzen.[13]
a) Unterschiedliche Ansichten von Rechtsprechung und Literatur zur Definition und restriktiven Anwendung
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Die Eingrenzungdes Begriffes der Heimtücke ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Nach überwiegender Auffassungwird die Heimtücke zunächst erst einmal wie folgt definiert:
Heimtückischhandelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.[14]
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In der Literaturwird teilweise kritisiert, dass diese Definition zu weit sei und das charakteristische der Heimtücke, nämlich die „Tücke“ nicht entsprechend hervorhebe. Da § 211 restriktiv ausgelegt werden müsse und sich deutlich von einer Tötung nach § 212 abheben müsse, verlangt die Literatur, dass in der Tatbegehung die besonders verwerfliche Gesinnung ihren Ausdruck finden müsse. Überwiegend wird deshalb darauf abgestellt, dass zusätzlich ein verwerflicher Vertrauensbruchin der Tötung liegen müsse, der immer nur dann angenommen werden könne, wenn zwischen Täter und Opfer ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe. Ein Angriff gegen einen Arg- und Wehrlosen könne schließlich auch die Waffe des Schwachen gegen den körperlich Überlegeneren, den Brutaleren und Gewaltbereiteren sein und müsse daher nicht stets Ausdruck eines besonders verschlagenen Verhaltens sein.[15]
Beispiel
Die von A jahrelang misshandelte Ehefrau E tötet Ihren schlafenden Ehemann, nachdem dieser sie zuvor erneut brutal misshandelt hat.
Es kommt grundsätzlich ein heimtückischer Mord in Betracht. Problematisch könnte zunächst sein, ob A arglos war, als er sich schlafen legte, da er zuvor seine Ehefrau misshandelt hatte und aufgrund dessen eventuell jederzeit mit einem Angriff durch diese rechnete. Dagegen spricht allerdings, dass die Ehefrau sich bislang niemals ernsthaft gewehrt hatte und A sich immerhin in aller Seelenruhe zu Bett begab. Wie Sie sehen werden, nahm er demgemäß seine Arglosigkeit mit in den Schlaf. In dieser Situation war er auch wehrlos. Fraglich ist allerdings, ob – wie teilweise von der Literatur verlangt – zwischen den Eheleuten noch ein Vertrauensverhältnis bestand. Die fortbestehende Ehe könnte dafür, die Gewalttätigkeiten dagegen sprechen.
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Dieser Ansicht wird entgegen gehalten, dass der Begriff des Vertrauensverhältnisses schwer zu definieren sei und keine festen Konturen aufweise, damit das Mordmerkmal unbestimmt werden lasse (Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG) – mit der Folge der Rechtsunsicherheit.[16] Darüber hinaus wird eingewendet, dass der „klassische“ Mord aus dem Hinterhalt heraus, bei welchem der Täter und das Opfer zuvor in keinerlei Beziehung gestanden haben, der jedoch nach dem allgemeinen Rechtsempfinden gerade als (heim-)tückisch empfunden wird, nicht mehr dem Mordmerkmal unterfalle, verlangte man einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch.
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Neben der Einschränkung durch den verwerflichen Vertrauensbruch gibt es des Weiteren noch die oben bereits dargestellte Einschränkung durch die negative Typenkorrektur,die sich jedoch ebenfalls des Einwands eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot ausgesetzt sieht.
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Die Gegenauffassungnimmt die Eingrenzung auf der subjektiven Seite vor, in dem sie zunächst ein bewusstes Ausnutzender Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers verlangt. Heimtückisch handelt der planvoll berechnende Täter der die Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zu einem Überraschungsangriff ausnutzt, um das Opfer in seiner Verteidigung zu hindern.[17]
Beispiel
B flirtet offen und in eindeutiger Absicht mit V, der Verlobten des A, die dieser in wenigen Monaten zu heiraten beabsichtigt. A hat bereits mehrfach mit B gesprochen und ihn aufgefordert, dieses zu unterlassen. B hat ihn jedoch nur ausgelacht und ihn auf die „freie Marktwirtschaft“ hingewiesen. V selbst hat ihm erklärt, dass sie zwar nach wie vor beabsichtigte, ihn zu heiraten, gleichwohl aber den Spruch ihrer Großmutter beherzige „Wer sich ewig bindet prüfe, ob sich nicht noch etwas Besseres findet“. Im Laufe der Zeit vor Eifersucht um den Verstand gebracht, beschließt A den B zu töten. Vor seiner Haustüre versteckt er sich im Gebüsch und streckt eines Abends den nichts ahnenden B mit zwei gezielten Schüssen hinterrücks nieder.
Nach Ansicht des BGH läge hier eine heimtückische Begehungsweise vor, da A die Arg- und Wehrlosigkeit des B planvoll berechnend zur Tötung ausgenutzt hat.
Die Literatur die eine besondere Verwerflichkeit fordert, welche in einem verwerflichen Vertrauensbruch zum Ausdruck kommen soll, müsste hier die Heimtücke verneinen, da zwischen A und B unstreitig kein besonderes Vertrauensverhältnis bestand. Da darüber hinaus die Eifersucht des A auch nachvollziehbar war, mithin nicht als niedriger Beweggrund in Betracht kommt, würde eine Bestrafung nach § 211 ausscheiden.
Beispiel
A wird bei einem Fluchtversuch aus dem Gefängnis von dem herannahenden Vollzugsbeamten V überrascht. In Panik ergreift A ein herumliegendes Brett und erschlägt damit V, der ihn noch nicht wahrgenommen hat, von hinten.
Hier würde auch die h.M. einen heimtückischen Mord verneinen, da A aufgrund der Panik spontan den Entschluss zur Tötung gefasst hat und keine Zeit verblieb, bewusstdie Arglosigkeit des V auszunutzen.
JURIQ-Klausurtipp
Sofern Sie Anhänger der h.M. sein sollten, verwenden Sie in der Klausur zunächst die Definition der h.M.Dabei sollten Sie – unter Berücksichtigung des Sachzusammenhangs – auch das subjektive Merkmal des bewussten Ausnutzens bereits im objektiven Tatbestand erörtern. Nachdem Sie festgestellt haben, dass nach dieser Definition eine heimtückische Begehung vorliegen könnte, fragen Sie danach, ob eine weitere Restriktion erforderlich ist und setzen sich mit den in der Literatur vertretenen Ansichten auseinander.
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