1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Beispiel
In einer Disko war es wiederholt zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen A und seinem späteren Opfer O gekommen. Unmittelbar nachdem die Türsteher den letzten Streit geschlichtet und die Gruppen getrennt hatten, setzte A dem O nach und stieß ihm mit den Worten „Verreck, Du Hurensohn“ von hinten ein 22 cm langes Messer in den Rücken, wobei er die achte Rippe durchtrennte und mit der Messerspitze in die Lunge eindrang. Das Opfer befand sich in akuter Lebensgefahr, konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden. Das LG verurteilte den A wegen §§ 223, 224 StGB und verneinte im Übrigen unter Hinweis auf die „Hemmschwellentheorie“ den Tötungsvorsatz.
Der BGH [9] hat erklärt, dass ein bloßer Hinweis auf die „Hemmschwellentheorie“ den Anforderungen des § 261 StPO nicht genüge. So müssten im Wege einer Gesamtbetrachtung zum einen die Tat, also die Gefährlichkeit der Handlung und das Risiko des Erfolgseintritts, sowie zum anderen der Täter, insbesondere seine Motive, ggfs. enthemmende Umstände wie Alkoholisierung oder affektive Erregungszustände sowie sein Vor- und Nachtatverhalten, mit in die Abwägung einbezogen werden. Gelangt das Gericht anhand einer umfassenden Würdigung all dieser Aspekte zu der Überzeugung, dass dolus eventualis vorliege, könne eine Verurteilung aus den §§ 211 ff. erfolgen.
Beispiel
Dolus eventualis wurde vom BGH angenommen beim Schleudern von Brandflaschen in ein von Menschen bewohntes Gebäude,[10] bei einer mehrminütigen Strangulierung,[11] bei dem gezielten Herunterwerfen von Steinen von einer Autobahnbrücke auf unten fahrende Autos.[12]
JURIQ-Klausurtipp
Sofern in einer Klausur schon im Sachverhaltder Tötungsvorsatz ausdrücklich hervorgehoben wurde, mithin also unproblematisch ist, bedarf es keiner weiteren Erörterung. Hier kann kurz und knapp festgehalten werden, dass der Täter hinsichtlich des objektiven Tatbestandes vorsätzlich handelte. Bestehen jedoch Zweifel und gibt es im Sachverhalt mehrere Anhaltspunkte, so wäre es verfehlt, den Vorsatz mit zwei Sätzen festzustellen. Hier ist eine am Fall orientierte lebensnahe Argumentationgefragt. Stellen Sie sich vor, Sie seien in einer Gerichtsverhandlung die/der Vorsitzende Richter/in und müssten dem Angeklagten erklären, warum Sie ihn des vorsätzlichen Totschlages für schuldig befinden. Und machen Sie nicht den Fehler des LG im obigen Beispiel .
2. Teil Straftaten gegen das Leben› B. Totschlag, § 212› IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
21
Auch insofern bestehen keine deliktsspezifischen Besonderheiten. Es gelten die allgemeinen Grundsätze.
2. Teil Straftaten gegen das Leben› B. Totschlag, § 212› V. Besonders schwerer Fall, § 212 Abs. 2
V. Besonders schwerer Fall, § 212 Abs. 2
22
§ 212 Abs. 2 ist eine Strafzumessungsnormfür besonders schwere Fälle. Während der Regelstrafrahmen des Totschlages eine Freiheitsstrafe von fünf (§ 212 Abs. 1) bis maximal 15 Jahren (§ 38 Abs. 2) vorsieht, kann in (unbenannten) besonders schweren Fällen auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt werden. Besonders schwere Fälle liegen vor, wenn das Verschulden des Täters so außergewöhnlich groß ist, dass es ebenso schwer wiegt wie das eines Täters gem. § 211. § 212 Abs. 2 kommt nur dann in Betracht, wenn § 211 nicht verwirklicht ist.[13] Derart besonders schwere Fälle werden z.B. angenommen, wenn der Täter planvoll berechnend und besonders brutal zu Werke geht, ohne dass das Mordmerkmal „grausam“ erfüllt ist, Absatz 2 fand auch in einem Fall Anwendung, in dem der Täter ein nicht strafbares, aber ihm unangenehmes und von ihm selbst provoziertes Geschehen verdecken wollte.[14]
JURIQ-Klausurtipp
Vor dem Hintergrund der lebenslangen Freiheitsstrafe und der Forderung des Bundesverfassungsgerichtes, dass diese nur verhängt werden darf, wenn die Schuld des Täters besonders schwerwiegend ist, gilt es, Vorsicht bei der Anwendung des § 212 Abs. 2walten zu lassen und diesen nur in absoluten Ausnahmefällen als gegeben anzusehen. In der Klausur müssen sehr eindeutige Anhaltspunkte für eine Diskussion des besonders schweren Falls vorhanden sein!
2. Teil Straftaten gegen das Leben› B. Totschlag, § 212› VI. Minder schwerer Fall, § 213
VI. Minder schwerer Fall, § 213
23
§ 213 ist kein selbstständiger Tatbestand, sondern wie § 212 Abs. 2 auch eine Strafzumessungsregel zu § 212und wird in der Klausur nach der Schuld geprüft. Im Gegensatz zu § 212 Abs. 2 werden hier minder schwere Fälle des Totschlages geregelt, bei denen lediglich eine Freiheitsstrafe von einem bis zu 10 Jahren verhängt werden kann. Zu unterscheiden ist der benannte minder schwere Fall des „provozierten“ Totschlags von den unbenannten minder schweren Fällen.
JURIQ-Klausurtipp
Mit § 212 Abs. 2 und § 213 müssen Sie sich in der Klausur nur in Ausnahmefällen auseinandersetzen. Es wird dann jedoch deutliche Hinweise im Sachverhalt geben, anhand derer Sie nachvollziehbar argumentieren können.
1. Benannte minder schwere Fälle des „provozierten“ Totschlags
24
In der ersten Alternative liegt ein minder schwerer Fall des Totschlages dann vor, wenn jemand ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Die erste Alternative umfasst mithin die Fälle der Provokation. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, so ist zwingend der gemilderte Strafrahmen der Vorschrift anzuwenden.
Es werden zwei Fälle der Provokationunterschieden: Zum einen die Misshandlungund zum anderen die schwere Beleidigung.
In beiden Fällen muss die Provokation von dem Getöteten selbst ausgegangensein und den Täter selbst oder einen seiner Angehörigen betroffenhaben. Sinn der Regelung ist es, den Affekttäter, dessen Verhalten als eine menschlich verständliche Reaktion auf eine vorausgegangene schwere Provokation erscheint, vor der vollen Totschlagsstrafe zu bewahren.
Tipp
Bei den Provokationen, insbesondere in Gestalt der Misshandlung, ist zu beachten, dass, solange diese noch andauern, auch ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegen kann, der den Täter gem. § 32 bei Vornahme seiner Tötungshandlung rechtfertigen kann. In diesen Fällen ist § 213 nicht relevant, da die Strafbarkeit schon wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Handlung verneint wird.
25
Ob eine Provokation vorliegt, ist nach objektiven Maßstäbenzu beurteilen. Dabei sind der konkrete Geschehensablauf, die Beziehungen zwischen dem Getöteten und dem Täter sowie die kulturelle Zugehörigkeit und die Anschauungen des Lebenskreises der Beteiligten in die Bewertung mit einzubeziehen. Sowohl die Misshandlung als auch die schwere Beleidigung müssen Provokationen von erheblichem Gewichtsein.[15]
Beispiel
Ehemann M ist wiederholt von seiner Ehefrau E während des Sexualaktes verhöhnt und ausgelacht worden wegen seiner nach Ansicht der E nicht ausreichenden sexuellen Leistungsfähigkeit. Als er eines Abends seinen ganzen männlichen Mut zusammengenommen hat und sich wieder einmal seiner Ehefrau sexuell nähert, lacht diese ihm währenddessen ins Gesicht und erklärt ihm, dass sein Schwager im Vergleich zu ihm wahre Wunderwerke vollbringen könne. Dies wisse sie aus eigener Erfahrung. Ehemann M sieht in dieser besonderen Situation rot und würgt seine Ehefrau so lange, bis keine hämischen Bemerkungen mehr aus ihrem Mund zu ihm dringen.
Читать дальше