Beispiel
Die vermögenslose Tochter T möchte aus der Enge ihres Elternhauses ausbrechen und endlich das Leben genießen. Um sich die finanziellen Mittel dafür zu beschaffen, beabsichtigt sie, ihre vermögenden Eltern umzubringen. Die dafür benötigte Waffe erhält sie von ihrem Bruder B, der in das Vorhaben der T eingeweiht ist und deren Motivation kennt, jedoch kein eigenes Interesse an der Tat hat, insbesondere auch kein finanzielles Motiv. Mit der Waffe des B werden die Eltern der T im Rahmen einer heftigen Auseinandersetzung getötet.
Hier hat sich T unstreitig wegen Habgiermordes gemäß §§ 211, 212 strafbar gemacht. B hingegen hat kein derartiges personenbezogenes Mordmerkmal, kannte jedoch das Habgiermotiv der T. Der BGH würde den B über § 28 Abs. 1 hier gemäß §§ 211, 27 wegen Beihilfe zum Mord bestrafen. Nach der Literatur würde gemäß § 28 Abs. 2 die Akzessorietät durchbrochen und B nach §§ 212, 27 wegen Beihilfe zum Totschlag bestraft werden.
Hätte in einem umgekehrten Fall T hingegen ihre Eltern getötet, weil sie seit Jahren von diesen misshandelt wird und an eine Erbschaft gar nicht gedacht hat, an der jedoch ihr Bruder B ein gesteigertes Interesse hat, weswegen er ihr auch die Waffe besorgt, würde der BGH die T wegen Totschlages und den B wegen Beihilfe zum Totschlag bestrafen. Dass B aus Habgier gehandelt hat, bliebe beim BGH unberücksichtigt. Die Literatur hingegen könnte B über § 28 Abs. 2 wegen Beihilfe zum Habgiermord gem. §§ 211, 212, 27 bestrafen.
JURIQ-Klausurtipp
Der Meinungsstreit kann sich auch auf den Aufbauauswirken. Der BGH würde stets mit dem schwersten Delikt, also dem § 211 beginnen. Die Literatur kann zunächst den § 212 und erst danach den § 211 prüfen. Sofern es in der Klausur keine nennenswerten Probleme bei der objektiven Zurechnung, der Kausalität oder dem Vorsatz gibt, können Sie das Grunddelikt des § 212 zusammen mit der Qualifikation des § 211prüfen und damit – sofern Sie Anhänger der Literatur sind – ebenfalls direkt mit dem Mord beginnen. In den Obersatz nehmen Sie dann beide Normen mit auf. Sollte Ihnen hingegen der gemeinsame Aufbau zu kompliziert erscheinen und sollten Sie die Befürchtung haben, dass Sie bei der Prüfung durcheinander geraten, dann beginnen Sie mit § 212 und prüfen erst danach § 211. Da Sie in der Klausur den von Ihnen gewählten Aufbau niemals begründen müssen, erübrigt sich eine „Vorbemerkung“ zu dem Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander.
Kommt es in Ihrer Klausur auch auf die Strafbarkeit eines Teilnehmers an und diskutieren Sie in diesem Zusammenhang § 28, dann müssen Sie aufpassen, dass Ihr Ergebnis zum Prüfungsaufbau passt. Sollten Sie zunächst § 212 und dann § 211 oder aber die §§ 212, 211 zusammen geprüft haben, haben Sie sich damit als Anhänger der Literatur „geoutet“. Widersprüchlich wäre es dann, wenn Sie beim Teilnehmer § 28 Abs. 1 anwenden und damit dem BGH folgen würden.
2. Teil Straftaten gegen das Leben› A. Einführung› III. Lebenslange Freiheitsstrafe
III. Lebenslange Freiheitsstrafe
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§ 211 sieht ebenso wie § 212 Abs. 2 in besonders schweren Fällen die lebenslange Freiheitsstrafe vor.
Das Bundesverfassungsgericht[15] hat zwar festgestellt, dass die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungskonform ist. Da jedoch die Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zur Schuld des Täters stehen muss, darf die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe nur bei besonders verwerflichen Fällen der Tötung in Betracht kommen. Bei den Mordmerkmalen führt dies nach herrschender Auffassung zu einer restriktiven Auslegung, die wir uns nachfolgend im Einzelnen anschauen werden.
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Das Bundesverfassungsgericht hat ferner gefordert, dass jeder Verurteilte die Chancehaben müsse, die Freiheit wieder zu gewinnen. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert mit Einführung des § 57a, wonach bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Voraussetzung ist allerdings eine günstige Sozialprognose und dass im Urteil nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten festgestellt wird. In diesem Fall wird die weitere Vollstreckung als geboten angesehen.[16]
[1]
BT-Drucks. 16/8442, S. 9.
[2]
BGHSt 31, 348; 32, 194.
[3]
Lackner/Kühl vor § 211 Rn. 3.
[4]
Ergänzend dazu können Sie die §§ 218 ff. nachlesen bei Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 231 ff.
[5]
Siehe dazu im Einzelnen die Nachweise bei Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 248.
[6]
Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 21
[7]
In einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 (Az: 5 StR 341/05 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) hat der 5. Strafsenat ausgeführt, dass er an dem bisherigen Verständnis des Mordes als eigenständigem Delikt nicht festzuhalten gedenkt. Allerdings waren diese Ausführungen nicht entscheidungserheblich. Im Jahr 2007 hat der 4. Strafsenat hingegen auf das bisherige Verständnis verwiesen, indem er darauf hinweist, dass eine Beihilfe zum Mord aus niedrigen Beweggründen auch in Betracht komme, wenn der Teilnehmer keine solchen Beweggründe habe, die Beweggründe des Haupttäters aber kenne (Az: 4 StR 425/07 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de).
[8]
BGHSt 1, 368; 22, 375.
[9]
Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 84 ff.
[10]
BGHSt 1, 370; BGH NStZ-RR 2002, 139.
[11]
Joecks/Jäger vor § 211 Rn. 13 m.w.N.
[12]
BGHSt 1, 370; BGH NStZ-RR 2002, 139.
[13]
Joecks/Jäger vor § 211 Rn. 13; vgl. zum Meinungsstand Hillenkamp 40 Probleme aus dem SR BT, S. 3 ff.
[14]
BGHSt 1, 370; BGH NStZ-RR 2002, 139.
[15]
BVerfGE 45, 187, 227 ff.
[16]
BVerfGE 86, 288; BGHSt 44, 350.
2. Teil Straftaten gegen das Leben› B. Totschlag, § 212
2. Teil Straftaten gegen das Leben› B. Totschlag, § 212› I. Überblick
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Der Totschlag als Norm aus dem „Besonderen Teil“ des Strafrechts weist keine deliktsspezifischen Schwierigkeiten auf. Die Probleme, die Sie in Zusammenhang mit § 212 in der Klausur lösen müssen, werden dementsprechend Probleme aus dem „Allgemeinen Teil“ des Strafrechts sein, so z.B. Probleme der Kausalität, der objektiven Zurechnung, des Vorsatzes oder der Rechtswidrigkeit. Der Totschlag wird wie folgt geprüft:
Totschlag, § 212
I. Objektiver Tatbestand
1.Tathandlung: Töten
2.Taterfolg: Tod eines anderen Menschen
3.Kausalität
4.Objektive Zurechnung
II. Subjektiver Tatbestand
Vorsatz, dolus eventualis reicht
Abgrenzung dolus eventualis – bewusste Fahrlässigkeit Rn. 18
III. Rechtswidrigkeit
IV. Schuld
V. Strafzumessung
1.Besonders schwerer Fall gem. § 212 Abs. 2
2.Minder schwerer Fall gem. § 213
2. Teil Straftaten gegen das Leben› B. Totschlag, § 212› II. Objektiver Tatbestand
II. Objektiver Tatbestand
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