Für Aufsehen sorgte ferner in jüngerer Zeit der von der OECD veröffentlichte Aktionsplan gegen sog. Base Erosion and Profit Shifting (BEPS). Die OECD hatte den G20 im Februar 2013 einen umfassenden Bericht über die Ursachen und Auswirkungen von Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen von multinational tätigen Unternehmen vorgelegt. Aufgrund dieses Berichts haben die G20 der OECD ein Mandat für die Erarbeitung eines umfassenden Aktionsplans erteilt. Bei der Erstellung des Aktionsplans, der von der G20 am 20.7.2013 in Moskau gebilligt wurde, hat Deutschland maßgeblich mitgewirkt. Der Aktionsplan ist als ein Katalog mit Maßnahmen gegen Base Erosion and Profit Shifting zu verstehen, auf dessen Grundlage bis Ende 2015 wirksame, international abgestimmte Regelungen gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen erarbeitet wurden. Der Aktionsplan umfasst die folgenden 15 Maßnahmen: 1. Besteuerung der digitalen Wirtschaft; 2. Verhinderung doppelter Nichtbesteuerung bei hybriden Gestaltungen; 3. Erarbeitung von internationalen Standards für die Hinzurechnungsbesteuerung; 4. Verhinderung von Steuerverkürzungen durch Regelungen zur Versagung des Zinsabzugs; 5. Umgestaltung der Arbeiten zu steuerschädlichen Regimes; 6. Verhinderung von unrechtmäßiger Inanspruchnahme von DBA-Vorteilen; 7. Aktualisierung des Betriebsstättenbegriffs, um die künstliche Vermeidung des Betriebsstättenstatus zu verhindern; 8. Aktualisierung der Verrechnungspreisleitlinien in Hinblick auf immaterielle Wirtschaftsgüter; 9. Aktualisierung der Verrechnungspreisleitlinien in Hinblick auf Risiko- und Kapitalzuordnungen; 10. Aktualisierung der Verrechnungspreisleitlinien in Hinblick auf andere risikobehaftete Transaktionen; 11. Entwicklung von Methoden und Regelungen, um Daten über Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen zu erlangen; 12. Überarbeitung der Dokumentationsanforderungen für die Verrechnungspreisermittlungen; 13. Verbesserung der Transparenz in Hinblick auf aggressive Steuerplanungen; 14. Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit in Verständigungs- und Schiedsverfahren; 15. Entwicklung einer multilateralen Vertragsgrundlage für die Umsetzung von BEPS-Maßnahmen.
Einen Sonderweg der Missbrauchsbekämpfung gehen die USA mit ihrem FATCA („Foreign Account Tax Compliance Act“). Ziel des FATCA ist es, zu verhindern, dass in den USA Steuerpflichtige Geld in ausländische Steueroasen schaffen. Dies soll vor allem durch eine Ausweitung der Berichtsverpflichtungen (Reporting) erreicht werden:
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Finanzinstitutionen müssen einen zusätzlichen Vertrag mit dem IRS abschließen. |
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Alle Kunden, auch Nicht-US-Kunden außerhalb der USA, müssen hinsichtlich ihrer US-Steuerpflicht eindeutig identifiziert werden. Insbesondere sind solche US-Personen zu identifizieren, die Anteilsinhaber von Unternehmen und Personengesellschaften sind. |
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Bereits der Verdacht, dass ein Deutscher eine „US-Person“ sein könnte, soll Finanzinstitutionen dazu verpflichten, deutsche Datenschutzbestimmungen zu missachten und Auskünfte an einen fremden Staat zu erteilen. |
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Es müssen nun auch Einlagenkonten und nicht an der Börse gehandelte Beteiligungen am Kapital bzw Verbindlichkeiten jährlich an den IRS gemeldet werden. |
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Der Begriff der Einnahmen, die zu berichten sind, ist stark erweitert worden. |
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Gutschriften, Belastungen und Höchststände auf den Konten sind zu berichten. |
Es wird ein Quellensteuerabzug in Höhe von 30% auf alle Einnahmen aus US-Quellen („withholdable payments“) für nicht kooperationswillige Kunden und Finanzinstitutionen vorgenommen. Der Steuerabzug hat jedoch keinen Abgeltungscharakter und ersetzt nicht die Abgabe der jährlichen FATCA-Meldung.
Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und die USA haben vor diesem Hintergrund am 8.2.2012 in einer gemeinsamen Erklärung vereinbart, die bilaterale Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung weiter auszubauen. Die fünf Staaten und die USA haben dazu ein Musterabkommen erarbeitet. Hierdurch werden die von den USA mit dem FATCA verfolgten Ziele auf eine zwischenstaatliche Grundlage gestellt. Im Gegenzug verpflichtet sich die USA, den Partnerstaaten steuerlich relevante Informationen zur Verfügung zu stellen.
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Natürlich ist eine Verlagerung von Einkunftsquellen und Besteuerungssubstrat vom Inland in das Ausland (Outbound-Fall)oder vom Ausland in das Inland (Inbound-Fall)nicht stets steuermotiviert[15]. Auch rein betriebswirtschaftliche oder sonstige außersteuerrechtliche Gründe können dazu führen, dass sich ein Steuerpflichtiger einem anderen als dem bisher anwendbaren Steuerrecht bzw auch mehreren nationalen Besteuerungsrechten unterworfen sieht. Im für ihn günstigsten Fall kann dies dazu führen, dass Einkünfte in keinem der betroffenen Staaten besteuert werden (sog. weiße Einkünfte). Weitaus häufiger aber ist es der Fall, dass mehrere Jurisdiktionen einen Sachverhalt besteuern möchten (sog. Doppelbesteuerung[16]). Auch der „worst case“ des Steuerrechts, eine Besteuerung ohne einen entsprechenden Liquiditätszufluss (sog. dry income), kommt im internationalen Kontext häufiger zum Tragen, so etwa bei der sog. Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG.
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Das Steuerrecht als klassische Eingriffsverwaltung[17] verlangt in besonderem Maße nach Regeln, die sich mit den vorstehenden, lediglich skizzierten Problemen befassen. Dies sind die Normen des Internationalen und – für das Gebiet der Europäischen Union – Europäischen Steuerrechts. Hierzu nachstehend im Einzelnen.
Juristische und betriebswirtschaftliche Lehrbücher zum Internationalen und Europäischen Steuerrecht (Auswahl): Bächle/Ott/Rupp , Internationales Steuerrecht, 2. Auflage, Stuttgart 2008; Brähler , Internationales Steuerrecht, 5. Auflage, Wiesbaden 2008; Frotscher , Internationales Steuerrecht, 3. Auflage, München 2008; Grotherr/Herfort/Strunk , Internationales Steuerrecht, 3. Auflage, Achim 2010; Jacobs , Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Auflage, München 2011; Kellersmann/Treisch , Europäische Unternehmensbesteuerung, Wiesbaden 2002; Kluge , Das internationale Steuerrecht, 4. Auflage, München 2002; Mössner ua, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Auflage, Köln 2005; Reith , Internationales Steuerrecht, München 2004; Rose , Internationales Steuerrecht, 6. Auflage, Berlin 2004; Schaumburg , Internationales Steuerrecht, 3. Auflage, Köln 2011; Weber-Grellet , Europäisches Steuerrecht, München 2005; Wilke , Internationales Steuerrecht, 10. Auflage, Herne 2010.
§ 1 Die internationale Dimension des Steuerrechts› B. Grundlagen
§ 1 Die internationale Dimension des Steuerrechts› B. Grundlagen › I. Begriffsbestimmungen
I. Begriffsbestimmungen
1. Regelungsgegenstand des Internationalen Steuerrechts
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An Definitionen des Begriffs „Internationales Steuerrecht“ mangelt es nicht[18]. Eine andere Frage ist, ob Differenzierungen und Abgrenzungen in der Sache weiterführen und insbesondere, ob sich daraus Unterschiede in der materiellen Besteuerungsfolge ableiten lassen. Dies ist nicht der Fall. Gleichwohl wird man sich auf Folgendes einigen können: Der Begriff „Internationales Steuerrecht“ist ein Oberbegriff, der in die Unterbegriffe „Außensteuerrecht“und „Abkommensrecht“zerfällt. Unter dem sog. Abkommensrecht versteht man das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen[19] (DBA) und damit jene Regeln, die zwei Staaten im Vertragswege miteinander vereinbaren. Das nationale Gesetzesrecht hingegen, das sich mit grenzüberschreitenden Sachverhalten befasst und bei dem der Normgeber nur ein einzelner Staat ist, bildet den Gegenstand des Außensteuerrechts.
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