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Wassermeyer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Begriffen nicht um Rechtsbegriffe, sondern reine Ordnungsbegriffe handelt[20]. Sie sind daher lediglich beschreibender Natur, was dazu führt, dass sich die Definitionsversuche des Oberbegriffs „Internationales Steuerrecht“ stets in Nuancen unterscheiden. Vorzugswürdig erscheint es, ungeachtet der Frage nach dem Normgeber und der Normentstehung dem Internationalen Steuerrecht die Gesamtheit aller Rechtsvorschriften zuzuordnen, die sich auf Sachverhalte mit Auslandsbezugbeziehen[21]. Etwas enger und problemfokussierter ließe sich auch formulieren, dass zum Internationalen Steuerrecht all jene Regeln zählen, die unmittelbar oder mittelbar die Abgrenzung von Besteuerungsansprüchen zwischen Staaten zum Gegenstand haben.
2. Regelungsgegenstand des Europäischen Steuerrechts
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Der Begriff „Europäisches Steuerrecht“ wird im Schrifttum erst in jüngerer Zeit zunehmend verwendet[22]. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass es ein originäres Europäisches Steuerrechtin dem Sinne, dass der Normgeber eines der Organe der Europäischen Gemeinschaft wäre, jedenfalls für den Bereich des Ertragsteuerrechts kaum gibt.
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Von einigen Vorschriften des AEU-Vertrags, die einen eher allgemeinen Charakter aufweisen[23], sowie von wenigen Richtlinien[24] abgesehen, war es bislang nur der Bereich der indirekten Steuernund hier vor allem der Umsatzsteuer, der aufgrund europarechtlicher Vorgaben derart eng mit Europäischem (Sekundär-)Recht verzahnt war, dass man von einem originären Europäischen Steuerrecht sprechen konnte.
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Der allseits präsente Einfluss der europarechtlichen Grundfreiheiten[25] (Primärrecht) auf das nationale Steuerrecht sowie die zentrale Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs(EuGH), die diesem in seiner Rolle als Motor der Harmonisierungbei der Auslegung des Europarechts zukommt, rechtfertigen es jedoch längst, das Europäische Steuerrecht als Teildisziplin des Steuerrechts anzuerkennen[26]. In diesem weit verstandenen Sinne lässt sich zum Gebiet des Europäischen Steuerrechts jenes europäische Recht rechnen, das „Steuern zum Gegenstand hat, mit Steuern in Zusammenhang steht und sich auf die nationalen Steuerrechtsordnungen auswirkt“[27].
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Es ist – nicht zuletzt im Hinblick auf die Auslegungvon Normen und die Behandlung von Normenkollisionen– zu beachten, dass es sich bei den meisten Rechtsnormen, die zum Internationalen oder Europäischen Steuerrecht gehören, nicht um originär internationales oder europäisches Recht handelt. „International“ oder „europäisch“ sind allenfalls die der Besteuerung zugrundeliegenden Sachverhalte. Im Übrigen muss der Rechtsanwender eine Norm nach den allgemeinen Regeln der juristischen Dogmatik in die aus dem nationalen Recht bekannte Normenpyramideeinordnen und aus der Einordnung entsprechende Schlüsse für den Geltungsrang der Norm ziehen. Jeder Staat wendet bei der Besteuerung stets nur sein eigenes Recht an[28]: Eine Norm wie § 34c EStG etwa hat den Rang eines einfachen Bundesgesetzes, während DBA als völkerrechtliche Verträge erst über ein Zustimmungs- und Transformationsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im innerstaatlichen Recht gelten. DBA haben daher auch nur den Rang des Transformationsgesetzes, wenngleich sie als leges speciales dem einfachen Bundesrecht vorgehen[29]. Richtlinien der EU (Art. 288 Abs. 3 AEUV) schließlich bedürfen ebenfalls der Umsetzung in innerstaatliches Recht, während zB Verordnungen (Art. 288 Abs. 2 AEUV) verbindlich und unmittelbar in den Mitgliedsstaaten gelten[30]. Ein Gleiches gilt für die Grundfreiheiten des AEU-Vertrags.
3. Strukturprinzipien im Internationalen Steuerrecht
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Die Normen des Internationalen Steuerrechts lassen sich häufig auf bestimmte Muster und Strukturen zurückführen. Diese sollten schon deshalb sicher beherrscht werden, weil sie bei der Auslegung der Normen herangezogen werden können. Zudem können so auch unbekannte Sachverhalte einer zumindest vertretbaren Lösung zugeführt werden. Wenn der Einzelgewerbetreibende A mit Wohnsitz und Aufenthalt in der Schweiz der natürlichen Person B mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in den Niederlanden einen Gebrauchtwagen verkauft und aus dem Verkauf einen Gewinn erzielt, stellt sich die Frage, ob Deutschland diesen Sachverhalt besteuern darf. Die Frage ist zu verneinen, weil kein Anknüpfungspunkt zum inländischen Hoheitsgebietbesteht. Aus dem Völkerrecht ist bekannt, dass ein Staat seine Hoheitsgewalt immer nur auf seinem Hoheitsgebiet ausüben kann[31]. Für das Internationale Steuerrecht hat das zur Folge, dass ein bestimmter Sachverhalt nur dann der Besteuerung unterworfen werden darf, wenn eine hinreichend enge Verbindung zum Hoheitsgebiet des besteuernden Staatesbesteht (sog. genuine link)[32].
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Da dieser Grundsatz nach Art. 25 Satz 2 GG[33] zu den sog. allgemeinen Regeln des Völkerrechtsgehört, ist er vorrangig vor dem einfachen Bundesrecht zu beachten. Wie die hinreichend enge Verbindung im Einzelnen ausgestaltet sein muss, lässt das Völkerrecht offen. Es besteht daher ein Ermessensspielraum der Staaten. Das Bundesverfassungsgericht formuliert diesbezüglich für das nationale deutsche Recht: „Der rechtlichen Möglichkeit, Ausländer zu Abgaben heranzuziehen, sind durch das Erfordernis der Anknüpfung etwa an die Staatsangehörigkeit, Niederlassung, Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland, die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes im Inland oder die Herbeiführung eines abgabenrechtlich erheblichen Erfolges im Inland deutliche Grenzen gesetzt.“ Erforderlich ist aber lediglich, so das Bundesverfassungsgericht weiter, ein „Mindestmaß“ an „Sachnähe“[34].
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Die Steuerrechte nahezu aller Staaten haben in Beachtung dieser völkerrechtlichen Vorgaben Anknüpfungspunkte für die Besteuerungfestgelegt und daraus verschiedene Arten der persönlichen und sachlichen Steuerpflicht entwickelt[35]. Was die Frage der persönlichen Steuerpflicht, also die Frage nach dem Steuersubjekt(„Wer ist steuerpflichtig?“) anbelangt, ist die Verwirklichung des Staatsangehörigkeitsprinzipsdie weitestreichende Möglichkeit eines Staates, sich eines Besteuerungszugriffs zu versichern. Ein Staat besteuert sonach seine Staatsangehörigen unabhängig davon, auf welchem Staatsgebiet sie sich aufhalten.
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In der Reichweite etwas zurückgenommen ist demgegenüber das Ansässigkeits- oder Wohnsitzprinzip, nach dem allein auf die Gebietszugehörigkeit abgestellt wird[36]. Den diese Prinzipien anwendenden Staat nennt man den sog. Ansässigkeitsstaat[37]. Die Staatsangehörigkeit ist dabei irrelevant. Beide Prinzipien jedoch dienen in der Regel als Grundlage für die unbeschränkte Steuerpflichtund damit der Besteuerung des Welteinkommens als der weitestreichenden Ausprägung der sachlichen Steuerpflicht(„In welchem Umfang wird besteuert?“: Welteinkommens- oder Universalitätsprinzip). Aus deutscher Sicht beispielsweise kann der Steuertatbestand (§ 38 AO) bei der unbeschränkten Steuerpflicht daher auch im Ausland verwirklicht werden, so dass auch dort erzielte Einkünfte (und damit meist sog. ausländische Einkünfte[38]) in die inländische Bemessungsgrundlage eingehen.
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Während sich die Staaten auf nationaler Ebene in der Regel entweder für das Staatsangehörigkeitsprinzip oder das Ansässigkeitsprinzip entscheiden[39], gilt dies für Vereinbarungen zweier Staaten in Doppelbesteuerungsabkommen nicht in gleicher Weise. Bezüglich der Bestimmung der sog. Ansässigkeit für abkommensrechtliche Zwecke findet sich in Art. 4 Abs. 2 Buchstabe c OECD-MA[40] hilfsweise eine (bei Wohnsitzen in mehr als einem Staat) kumulative bzw (mangels eines Wohnsitzes in beiden Staaten) alternative Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit.
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