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Im Rahmen der persönlichen Steuerpflicht – hier namentlich der beschränkten Steuerpflicht– greifen die Staaten jedoch auch auf sachliche Anknüpfungspunkte zurück. Infolgedessen werden bei fehlender Ansässigkeit des Steuerpflichtigen im Inland (das ist der sog. Quellenstaat) der Besteuerung nur Einkünfte aus inländischen Einkunftsquellen (Quellenprinzip)bzw Einkünfte aus inländischen Vermögensgegenständen (Belegenheitsprinzip)unterworfen. Die Beschränkung des Steueranspruchs auf inländische Steuergüter ist Ausdruck des sog. Territorialitätsprinzips[41]. Der sachlichen Steuerpflicht unterliegen mithin nur sog. inländische Einkünfte[42].
Eng mit dem Begriff des Quellenstaats verwandt ist der Begriff der sog. Quellensteuer. Der Begriff der „Quellensteuer“ wird, was das Ertragsteuerrecht anbelangt, in den deutschen Steuergesetzen nicht definiert. Im EStG findet der Begriff lediglich Erwähnung in der Überschrift zu § 50h EStG sowie in der „Absichtserklärung“ des § 51a Abs. 2e Satz 1 EStG. Ferner ist er in § 26 Abs. 6 Satz 4 und Satz 7 KStG, in § 34 Abs. 11c Satz 4 KStG, in § 5 Abs. 6 Satz 1 und Satz 3 FVG, in § 20 Abs. 4 Satz 2 REITG und in § 9 InvStG enthalten. In der Regel wird das Wort „Quellensteuer“ in diesen Normen im Zusammenhang mit ausländischen Quellensteuern gebraucht; lediglich in § 51a Abs. 2e Satz 1 EStG und in § 20 Abs. 4 Satz 2 REITG sind explizit inländische, dh Quellensteuern angesprochen, die auf der Grundlage nationalen deutschen Steuerrechts erhoben werden.
Eine Definition sucht man also vergebens, ebenso wie das deutsche Steuerrecht eine zusammenhängende gesetzliche Kodifizierung von Quellensteuern im Bereich der Ertragsteuern vermissen lässt. Vielmehr sind die Abzugsteuertatbestände über die Einzelsteuergesetze, namentlich das EStG, verstreut. Interessant, aber nicht weiterführend ist in diesem Zusammenhang IAS (International Accounting Standards) 12 65A: „Wenn ein Unternehmen Dividenden an seine Anteilseigner zahlt, dann kann es sein, dass es erforderlich ist, einen Teil der Dividenden im Namen der Anteilseigner an die Steuerbehörden zu zahlen. In vielen Ländern wird diese Steuer als Quellensteuer bezeichnet.“ Dies ist zwar auch keine Definition, aber immerhin der Versuch einer Beschreibung von Quellensteuern in einem speziellen Fall, nämlich für den Bereich der (nach deutschen Begrifflichkeiten) Kapitalertragsteuer.
Die deutsche Finanzverwaltung verwendet den Begriff der Quellensteuer beispielsweise in H 48 KStR, in H 34c (5) Satz 3 EStR sowie in den §§ 11, 13, 14, 15, 16 und 16a der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (Zinsinformationsverordnung). Daneben findet er sich in jeweils unterschiedlichen Zusammenhängen in einer Vielzahl von BMF-Schreiben, Verfügungen und Erlassen (zB in Tz. 12.3.2 AEAStG), ohne dass sich hier auch nur der Versuch einer Definition fände.
Aus den genannten Gesetzen und Verwaltungsanweisungen lässt sich aber der Eindruck gewinnen, als verstünden der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Finanzverwaltung unter Quellensteuern in einem sehr weiten Verständnis all jene Steuern, die zulasten des Steuerpflichtigen von dritter Stelle (meist durch den Leistenden der steuerpflichtigen Bezüge) einbehalten werden, so dass dem Steuerpflichtigen nur noch ein Nettobetrag zufließt. Nicht hingegen wird hinsichtlich des Begriffs danach differenziert, ob die Quellensteuer eine Abgeltungswirkung entfaltet oder ob es sich bei den zugrunde liegenden Einkünften um nationale oder grenzüberschreitende Einkünfte handelt. Auch der wirtschaftliche Sachverhalt, der der Besteuerung zugrunde liegt, ist insoweit unerheblich. Von Quellensteuern spricht man daher zB bei der Lohnsteuer ebenso wie im Bereich der Abzugsteuer auf grenzüberschreitende Lizenzzahlungen.
Auch in der deutschen Rechtsprechung findet sich, soweit ersichtlich, keine umfassende Definition des Begriffs der Quellensteuer. Definitionsfragmente hingegen sind in einer Vielzahl von Einzelurteilen enthalten: Eine sehr schlichte und für sich genommen missverständliche, weil verkürzte Definition ausländischer Quellensteuern findet sich im BFH-Urteil vom 16.5.1990 (Az.: I R 80/87; BStBl. 1990 II, 920), in dem der Bundesfinanzhof entschied, dass ausländische Quellensteuern zu den nicht abziehbaren Steuern nach § 10 Nr 2 KStG rechnen. Aus dem Zusammenspiel des ersten Leitsatzes des Urteils mit den Urteilsgründen ergibt sich lediglich, dass der BFH unter ausländischen Quellensteuern „ausländische Steuern vom Einkommen“ versteht. Damit bliebe aber unberücksichtigt, dass es dem Wesen der Quellensteuer entspricht, dass gerade ein anderer als der Steuerpflichtige die Steuer für Rechnung und zulasten des Steuerpflichtigen einbehält und an die zuständigen Steuerbehörden abführt. Dass dies auch in dem genannten BFH-Urteil der Fall war, ergibt sich indes leider erst aus der Tatbestandsdarstellung der Vorinstanz.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Begriff der Quellensteuer ein terminus technicus allein des Internationalen Steuerrechts ist. Gemeint ist eine Besteuerung an der Quelle der jeweils betrachteten Einkünfte durch den sog. Quellen- oder Belegenheitsstaat und damit gerade nicht den Ansässigkeitsstaat des betrachteten Steuerpflichtigen. Der Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen ist hingegen mit der Vermeidung der Doppelbesteuerung befasst, die der Quellenstaat nicht vermeiden kann, will er nicht gänzlich auf eine Besteuerung verzichten. Bezieht beispielsweise der im A-Staat ansässige Steuerpflichtige X Zinszahlungen von einem Sparkonto, das er bei einer Bank im B-Staat unterhält, und verpflichtet der B-Staat die Bank, auf die Zinszahlungen eine Steuer von beispielsweise 20% einzubehalten und abzuführen, so spricht man in der Terminologie des Internationalen Steuerrechts von einer Quellensteuer.
Ungeachtet der Tatsache aber, dass der Begriff „Quellensteuer“ in den oben genannten Gesetzesstellen Verwendung findet, ist er doch sicherlich im herkömmlichen Sinne kein Begriff des deutschen Steuerrechts. Zum einen findet er sich lediglich in neueren Vorschriften, die erst ca. bis zu 5 Jahre alt sind, zum anderen benutzen die deutschen Steuergesetze traditionell den Begriff der „Abzugsteuer“ bzw des „Steuerabzugs“, wie sich etwa aus den Überschriften vor den §§ 38, 43, 48 EStG bzw bei § 50a EStG ergibt. Sachlich ergibt sich dadurch freilich kein Unterschied: Die Steuer wird von einem Dritten (meist dem Leistenden der steuerpflichtigen Bezüge) einbehalten und an den Steuerpflichtigen wird lediglich ein Nettobetrag ausgekehrt. Der Steuerpflichtige mag sich sodann in einem zweiten Schritt um eine Steuererstattung (im Quellenstaat) oder eine Steueranrechnung (in seinem Ansässigkeitsstaat) kümmern; jedenfalls ist seiner Steuerpflicht mit dem Steuereinbehalt Genüge getan.
4. Doppelbesteuerung als Grundproblem
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Ein internationaler Sachverhalt, der nach den Regeln des Internationalen Steuerrechts beurteilt werden muss, kann immer nur entstehen, wenn – aus der Sicht des betreffenden Staates – ein Inländer im Ausland oder ein Ausländer im Inland Einkünfte erzielt. Bei Berührungspunkten zum Hoheitsgebiet nur eines Staates liegt dagegen ein rein nationaler Sachverhalt vor, für den insoweit keine Besonderheiten gelten[43]. Für den Steuerpflichtigen nachteilig wird die Situation jedoch nur, wenn aufgrund des internationalen Sachverhalts mehr als ein Staatauf dasselbe Besteuerungssubstrateinen Besteuerungsansprucherhebt. Dann liegt eine Doppelbesteuerung vor. Eine solche kann entstehen, wenn die beteiligten Staaten als Ausdruck staatlicher Souveränität ihrem nationalen Steuerrecht entweder identische oder gegenläufige Anknüpfungsmerkmale für die Besteuerung zugrunde legen:
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