139
Die Frage der selbstständigen Anfechtbarkeitderartiger Entscheidungen hat das BVerfG der unklaren und unbefriedigenden einfach-rechtlichen Lage entsprechend bisher nicht eindeutig geklärt.[106] Die Kammern tendieren aber eher dazu, die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Versagung von Akteneinsicht jedenfalls dann zuzulassen, soweit die Versagung im Einzelfall vertretbarer Weise als beschwerdefähig anzusehen ist. Mit Beschluss vom 16.7.2001[107] hat das Gericht daher die Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung eines Antrages auf Gewährung von Akteneinsicht und (sinngemäß) auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins durch den erkennenden Richter als unzulässig abgewiesen, da der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde zur Durchsetzung des Akteneinsichtsbegehrens zu erheben versäumt hatte. Für die Verfassungsbeschwerde gegen die einem Dritten gem. § 406e Abs. 1 StPO gewährte Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft, ohne den Beschuldigte hierzu vorher anzuhören, hat das Gericht diesen Grundsatz bekräftigt.[108] Demgegenüber hat die damals zuständige Kammer wegen der Ablehnung der Verlegung des Hauptverhandlungstermins ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um eine unselbstständige und daher nicht isoliert anfechtbare prozessuale Zwischenentscheidung handele. Das legt einen Umkehrschluss nahe, ohne dazu zu zwingen.
(8) Ablehnung einer Zeugenladung
140
Die Ablehnung einer Zeugenladungstellt nach Ansicht des BVerfG ebenfalls eine nicht anfechtbare Zwischenentscheidungdar. Der Antragsteller habe im weiteren Verlauf des Strafverfahrens „hinreichende Möglichkeiten“, auf die unterbliebene Zeugenladung hinzuwirken. Gegebenenfalls könne er gegen seine Verurteilung Berufung oder Revision einlegen und dabei den nach seiner Auffassung vorliegenden Verfahrensfehler rügen.[109]
(9) Verteidigerbestellung und Abberufung des Verteidigers
141
Bei der Ablehnung von Anträgen auf Abberufung des bestellten Verteidigers(§ 143 StPO) und Bestellung eines anderen Verteidigers(§ 142 StPO) und der Bestätigung dieser Entscheidung durch das Fachgericht handelt es sich um prozessuale Zwischenentscheidungen, die grds. nicht gesondert, sondern nur zusammen mit der das Verfahren abschließenden Endentscheidung im Wege der Verfassungsbeschwerde anfechtbarsind. Will der Beschwerdeführer dem Grundsatz der Subsidiarität genügen, muss er deshalb gegen die Entscheidung zunächst auf dem Beschwerdeweg vorgehen und gegebenenfalls daneben noch in zulässiger Weise Revision einlegen.[110]
(10) Sonstige Maßnahmen im Hauptverfahren einschließlich Sitzungspolizei
142
Ein Wiedereinsetzungsbeschlussunterliegt nach § 46 Abs. 2 StPO keiner Beschwerde und wird sofort rechtskräftig. Er kann auch nicht zusammen mit dem Urteil angegriffen werden; auch das erkennende Gericht ist an ihn gebunden.[111] Eine Beeinträchtigung rechtlichen Gehörs lässt sich daher im Strafverfahren nicht mehr korrigieren. Ein solcher Zwischenbescheid ist deshalb mit der Verfassungsbeschwerde anfechtbar.[112]
143
Entscheidungen der Gerichte über die Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 4 StPOsind nach überwiegender Meinung nicht isoliert mit der Beschwerde, wohl aber mit der Revision unter anderem als Verstoß gegen § 338 Nr. 8 StPO (Beeinträchtigung der Verteidigung) angreifbar.[113] Auch hier handelt es sich um Zwischenentscheidungen, deren unmittelbare Anfechtung mit der Verfassungsbeschwerde grds. ausgeschlossenist.
144
Die Anordnung sitzungspolizeilicher Maßnahmen(§§ 176 ff. GVG) ist grds. selbstständig anfechtbar.[114] Allerdings gilt dies nach der jüngeren Kammerjudikatur grds.in der Regel erst dann, nachdem Beschwerde (§ 304 StPO) erhoben wurde.[115] Auch die Ablehnung einer audiovisuellen Vernehmungnach § 247a Abs. 1 StPO kann selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.[116]
145
Die Zurückweisung einer Gegenvorstellungkann nicht Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein.[117]
(11) Verfahrenseinstellungen
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Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen den eine Einstellung wegen Strafverfolgungsverjährungaufhebenden Beschluss eines OLG in einer älteren Entscheidung für zulässig gehalten. Dieser sei in einem selbstständigen, durch die sofortige Beschwerde eingeleiteten Zwischenverfahren ergangen, das mit der oberlandesgerichtlichen Entscheidung abgeschlossen wurde.[118] In späteren Entscheidungen hat das BVerfG allerdings die Versagung der endgültigen Einstellungwegen Verhandlungsunfähigkeit nach § 206a StPOausdrücklich darauf gestützt, dass es dem Angeklagten wegen einer drohenden, später nicht mehr zu behebenden Grundrechtsbeeinträchtigung nicht zuzumuten gewesen sei, mit seiner Rüge auf das Revisionsverfahren verwiesen zu werden.[119] Implizit dürfte sich das Gericht damit von dem Gedanken einer selbstständigen Anfechtbarkeit von Einstellungsbeschlüssen, die Einstellung ablehnender Beschlüsse und entsprechender Aufhebungsbeschlüsse distanziert haben.
(12) Zurückverweisung nach erfolgreicher Revision
147
Die nach Ansicht des Beschwerdeführers verfassungswidrige Zurückverweisungder Sache nach § 354 Abs. 2 StPO kann im weiteren Verlauf des Strafverfahrens nicht mehr auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden. Der Rechtsweg ist diesbezüglich deshalb auch ohne Abschluss des Strafverfahrens erschöpft und die Verfassungsbeschwerde zulässig.[120]
b) Klageerzwingungsverfahren
148
Im Klageerzwingungsverfahrenentscheidet das OLG, ob entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft öffentliche Klage zu erheben ist.[121] Der auf den Klageerzwingungsantrag eines Berechtigten (§ 172 Abs. 2 StPO) ergehende Beschluss des OLG nach § 174 StPO ist endgültig und kann im fachgerichtlichen Rechtszug nicht mehr abgeändert werden (§§ 172 Abs. 4, 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 StPO). Auch die Erhebung einer Gegenvorstellung wäre durch § 174 Abs. 2 StPO ausgeschlossen. Die dem Antrag stattgebende Entscheidung des OLG verändert die Rechtsstellung des Beschuldigten zu seinem Nachteil, da sie die ihm günstige Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft aufhebt und zugleich deren Pflicht begründet, Anklage zu erheben. Dieses gerichtliche Verfahren innerhalb des Klageerzwingungsverfahrens hat darum selbstständige Bedeutung.[122]
c) „Rückfallposition“ Verfassungsbeschwerde gegen die Vollstreckung des Strafurteils?
149
Mängel eines Strafurteils können grds. nur mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil selbst, nichtgegen seine Vollstreckung (also den Beschlussnach § 458 Abs. 1 StPO) geltend gemacht werden. Nur soweit die Vollstreckungsbehörde bei der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens selbst im Rahmen ihrer eigenen Entscheidungsbefugnisse neue Grundrechtsverletzungen verursachen würde, ist eine Verfassungsbeschwerde gegen den Vollstreckungsakt zulässig.[123]
[1]
Seit BVerfGE 1, 97 (100 ff.); BVerfGE 4, 27 (30); BVerfGE 6, 445 (447); BVerfGE 12, 354 (361) = NJW 1961, 1107.
[2]
Zur (noch) h. M. HStR- Degenhart § 114 Rn. 28; a.A. insbesondere Voßkuhle NVwZ 2003, 2193.
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