Matthias M. Rauh
Die Lumpenpuppenhexe
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Inhaltsverzeichnis
Titel Matthias M. Rauh Die Lumpenpuppenhexe Dieses ebook wurde erstellt bei
Vom grauen Alltag einer Hexe
Ein Ding namens Phantasie
Lumpikus
Der fliegende Koffer
Nachhilfe-Unterricht
Ein ahnungsloses Menschenkind
Puppenjagd
Hexe im Anflug
Verflixtes Lumpenstück!
Der Zwiebelfraß
Hexen auf der Flucht
Der Koffer am Fenster
Schornsteinfeger
Die Königin der Niedertracht
Zaubertinte
Die Piratenbucht
Die Spukspelunke
Bitterböse Hexerei
Typisch Henk!
Ausgezwiebelt
Der Flaschengeist
Nur heiße Luft
Impressum neobooks
Vom grauen Alltag einer Hexe
Mathilda war eine Hexe. Und wie alle Hexen lebte sie auf der Vulkaninsel Smaragdland.
Wie bitte? Smaragdland?
Eine Vulkaninsel..?
Nun, den Namen hatte man ihr einst gegeben, weil es besagter Vulkan vor Urzeiten mit dem Feuerspeien ein wenig übertrieben hatte. Da waren Hitze und jede Menge Druck. Und eine gehörige Portion Zorn natürlich. Vor etwa 100 Millionen Jahren hatte die Erde dann einfach die Faxen dicke gehabt und verwandelte ihn in einen glitzernden Edelstein. Fast siebeneinhalbtausend Meter hoch ist das Ding - ein mächtiger Koloss also, der auch heute noch alle Kaiser und Könige vor Ehrfurcht in Ohnmacht fallen lassen könnte.
Ja, könnte...
Allerdings vermag sich dieser Edelstein geschickt allen neugierigen Blicken zu entziehen. Er ist nämlich zutiefst verhext worden und wird von mächtigen Sturmböen bewacht. Wenn man dem wildesten Seemannsgarn Glauben schenken mag, dann soll er sich noch immer irgendwo zwischen Grönland und den Halligen im Meer herumtreiben. Doch wehe dem, der sich erdreistet, nach ihm zu suchen!
Denn Hexerei ist nicht gesund.
Der falsche Spruch, schon geht es rund!
Wo war ich stehengeblieben?
Ach ja! Mathilda...
Natürlich soll es Menschenkinder geben, die gern mit einer solchen Hexe tauschen würden. Zaubern können - welch ein Traum! Man braucht ja schließlich nur ein wenig mit dem Zauberstab zu wedeln. Und so ein fliegender Besen wäre auch nicht schlecht.
Doch das wahre Leben einer jungen Hexe hatte nichts mit alldem zu tun. Gut, Mathilda konnte den Zauberstab schwingen, und einen Besen besaß sie natürlich auch. Nur zu dumm, dass ihr dieser nicht gehorchen wollte. Und das mit dem Zauberstab hatte sich sein Erfinder wohl auch anders gedacht.
Ihr voller Name lautete Mathilda Pfefferblum-Scheppernase, und bedauerlicherweise war sie an der untersten Stufe der Hexenwelt angekommen. Das zeigte ja schon der krumme Schornstein, in dem sie hauste. Er war meist sieben Meter hoch (wenn er wollte) und besaß nichts als ein schiefes Fenster.
Eine Schornsteinhexe, ach du lieber Himmel!
Große Hexen wohnten in Luftschlössern, in prunkvollen Palästen oder edlen Burgen. Wer aber in einem Schornstein hausen musste, der hatte es zu nichts gebracht. Als anständige Hexe musste man sich sein Zuhause schon selbst herbeihexen. Und wer es nicht konnte, für den war so ein schiefer Schornstein gerade recht.
Sagte man...
„Ich kann überhaupt nichts“, seufzte die junge Hexe und machte dabei ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.
Regenwetter war in der Tat ein gutes Stichwort. Die Hausaufgabe der armen Hexe bestand nämlich darin, ein wildes Unwetter herbeizurufen - mit Blitz und Donner, ganz so, wie man es sich auf einer verzauberten Hexeninsel eben vorstellen würde.
Doch auch diese kinderleichte Fingerübung wollte und wollte unserer Hexe einfach nicht gelingen. Missmutig starrte Mathilda auf ihr Wetterfenster und fragte sich, warum ihr Unwetter stets zu einem ganz gewöhnlichen Landregen verkam. Dabei waren es nur noch sieben Tage bis zur Hexenprüfung, welche eine Hexe dazu berechtigte, auf die nächsthöhere Schule zu wechseln!
Ein Ding namens Phantasie
Laut Anleitung im Lehrbuch für Hexen der dritten Jahrgangsstufe (empfohlen vom Ministerium für Hexerei und Zauberei ) sollte das Herbeirufen eines Unwetters sogar untalentierten Hexen keinerlei Probleme bereiten. Man brauchte ja nur die kinderleichte Vorgehensweise auf Seite 7 zu beachten:
Dreizehn Tage gieße der Zauberschüler seine Zornfistel ausschließlich bei Vollmond. Wobei zu beachten sei, dass eine Zornfistel gehegt und gepflegt werden will. So habe der Schüler stets für Verdunklung zu sorgen und jeden Wunsch von den Dornen der Pflanze abzulesen. Wird es hell, stelle er das Gewächs in einen gewöhnlichen Geisterschrank, wo es nach Lust und Laune poltern kann. Ist die Zornfistel reif, sei ein gewöhnliches Wetterfenster der rechte Platz. Durch dreifaches Schwingen des Zauberstabes und dem Sprechen des Zauberspruchs (siehe Seite 39261, Spalte 7z, 33 Grad Nordost, Absatz 35a, rückwärts gelesen und im Kreise gedacht) sei das Unwetter im Nu herbeigerufen. Auf, auf, nicht gezögert! Besser, er verzage nicht...
Laut Anleitung war dies die leichteste Fingerübung, welche die Hexerei für Anfänger zu bieten hatte. Wer daran scheiterte, konnte im schlimmsten Fall auf immer und ewig von der Hexeninsel verbannt werden. Denn wer es nicht konnte, der war laut dem erlesenen Rat der Allwissenden Hexen und Zauberer nicht viel mehr als ein ganz gewöhnliches Menschenkind.
Menschenkind? Was soll das denn sein?
So blätterte die Hexe zum Stichwortverzeichnis des dicken Buches, wo alle Fremdwörter genauestens erklärt wurden. Dort stand es geschrieben:
Menschenkind, das: Zweibeiniges Wesen, das rein äußerlich leicht mit einer Junghexe verwechselt werden kann. Zwei Arme, Beine, Kopf, aber keinerlei Begabung zur Hexerei.
Durch regelmäßiges Gießen wachsen Menschenkinder so schnell wie Pfefferschoten. Geraten sie erst einmal auf die Höhe eines Regenschirm-Ständers, treten aus Sicht des Ministeriums für Hexerei und Zauberei nicht duldbare Eigenschaften zu Tage.
Diese sind: Spieltrieb, Neugier, unkontrolliertes Herumlaufen, Lärmen. Einige Exemplare entwickeln weitere Unarten wie ein nicht näher erklärbares Ding namens Phantasie, das mit keinem Zauberspruch zu bändigen sein soll.
Hinweis: Der Umgang mit Menschenkindern ist Hexen strengstens verboten. Zuwiderhandlungen werden mit dem sofortigen Verbannen aus der erlesenen Gilde der Hexen und Zauberer geahndet.
Ein nicht näher erklärbares Ding...
...namens Phantasie...
Die Hexe dachte nach. Nein, von einer Phantasie hatte sie noch nie etwas gehört. Wie sah Phantasie aus? War sie gelb, grün oder feuerrot? Konnte man sie in Flaschen abfüllen? Stand eine Flasche Phantasie in den Regalen der Schul-Hexenküche? Bei den Zaubertränken vielleicht? Konnte man Phantasie kochen oder einfrieren? Oder war Phantasie gar eine ansteckende Krankheit? Neugierig blätterte Mathilda weiter. Seite 1244 - da stand es geschrieben:
Phantasie, die: Na, na, freche Schülerin! Unter dem Stichwort Phantasie gibt es nichts zu finden, was eine Hexe in Ihrem Alter zu interessieren hat. Also, husch, husch, schnell weiter geblättert! Und sehen Sie zu, dass Sie sich auf Ihre Prüfung vorbereiten. Man wird ein Auge auf Sie haben, Mathilda Pfefferblum-Scheppernase!
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