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Hinweis
Soweit der Beschwerdeführer sich sowohl durch eine Maßnahme im Rahmen des Ermittlungsverfahrens als auch dessen (mehrfache) Bestätigung im anschließenden gerichtlichen Verfahren belastet sieht, hat er grds. alle Entscheidungender Kette zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde zu machen. Zudem genügt er auch nur so dem Bezeichnungserfordernis des § 92 BVerfGG.[61]
1. Gegen Entscheidungen welchen Gerichts?
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Grundsätzlich kann gegen Entscheidungen jedes GerichtsVerfassungsbeschwerde eingelegt werden.
a) Entscheidungen des BVerfG als Beschwerdegegenstand?
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Die Entscheidungen des BVerfGeinschließlich seiner Kammern gehören aber nicht zu den Akten der öffentlichen Gewalt i. S. d. § 90 Abs. 1 BVerfGG. Sie sind also selbst keine tauglichen Angriffsgegenstände. Ihre Überprüfung unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtsverletzung würde, wie das Gericht ausführt, dem Wesen dieser Entscheidungen widersprechen.[62] Allerdings besteht in Fällen groben prozessualen Unrechts die Möglichkeit der Gegenvorstellung.[63]
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Hinweis
Der Anwalt sollte diesen frist- und formlosen Rechtsbehelf aber schon im Interesse des Schutzes seines Rufsnur dann nutzen, wenn er sicher ist, dass das BVerfG einen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt verkannt hat. Das wird bei Nichtannahmebeschlüssen ohne Begründung kaum der Fall sein können, weil die inhaltlichen Erwägungen der Kammer überhaupt nicht vollständig transparent sind. Auch bei Kurzbegründungen (vgl. § 93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG) ist der stereotype Schlusssatz, nach dem von einer „weiteren“ Begründung abgesehen wird, kaum eine Einladung zu einer aussichtsreichen inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Beschlusssubstanz. Erfolgreiche Gegenvorstellungen gegen BVerfG -Kammerbeschlüsse sind höchst selten. Dem Verfasser ist lediglich eine bekannt.[64]
b) Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte
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Zur öffentlichen Gewalt gehören aber die Verfassungsgerichte der Länder. Ihre Entscheidungen können mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden.[65]
2. Gegen welche Teile gerichtlicher Entscheidungen?
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Nicht nur der Tenor, sondern auch die Art der Begründungeiner gerichtlichen Entscheidung kann den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzen; hier gehen Fragen des Beschwerdegegenstandes und der Beschwer (allgemeines Rechtsschutzbedürfnis) ineinander über. Dies soll bspw. dann der Fall sein, wenn der Beschwerdeführer mangels Beweises freigesprochen wurde, obwohl sich aus den Urteilsgründen selbst der Beweis für die Unschuld ergibt.[66] Die Beschwerde ist aber unzulässig, wenn der Beschwerdeführer sich ausschließlich gegen Entscheidungsgründe wendet, welche die angegriffene Entscheidung nicht, jedenfalls aber nicht allein tragen.[67] Auch Rechtsausführungen in den Gründen einer Entscheidung allein sollen grds. keine Beschwer begründen können ( Grundsatz der Tenorbeschwer).[68] Es gibt also nach h. M. nicht nur im strafrechtlichen Schrifttum, sondern auch nach Auffassung des BVerfG kein subjektiv-öffentliches Rechtauf einen Freispruch aus den „richtigen“ Gründen. Differenzierter ist aber die Frage zu sehen, ob es ein Recht gibt, aus rechtlich tragfähigen Gründen freigesprochen zu werden, und welche Folgerungen sich daran knüpfen.[69]
3. Ab wann und bis zu welchem Zeitpunkt sind gerichtliche Entscheidungen tauglicher Beschwerdegegenstand?
a) Zwischenentscheidungen
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Gerichtliche Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehenund denen keine Außenwirkungzukommt, sind nach st. Rspr. des BVerfG [70] mit der Verfassungsbeschwerde grds. nicht anfechtbar.
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Solche Zwischenentscheidungenkönnen nur dann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn der angebliche Verfassungsverstoß im Ausgangsverfahren zum Gegenstand der fachgerichtlichen Nachprüfung gemacht werden kann, die Zwischenentscheidung also nach dem jeweiligen Prozessrecht selbstständig anfechtbar ist. Die Problematik steht damit in engem Zusammenhang mit dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtsweges(§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Der Sinn des Ausschlusses der Verfassungsbeschwerde gegen Zwischenentscheidungen liegt darin, dass Verfassungsverstöße in der Regel noch mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können. Deshalb lässt das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nur gegen solche Entscheidungen in selbstständigen Zwischenverfahren zu, die über eine für das weitere Verfahren wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüftund korrigiertwerden können.[71]
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Die Anfechtung eines Zwischenbescheids ist deshalb nach st. Rspr. nur dann zuzulassen, „wenn ein dringendes schutzwürdiges Interessedaran besteht“, und eine „Abwägung privater und öffentlicher Interessen“ sowie die „Prozess- und Arbeitsökonomie“ dies gebieten. Dies soll vor allem dann zutreffen, wenn dem Beschwerdeführer durch die Nichtanfechtung ein bleibender Nachteilentstünde, der sich später gar nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben ließe. Die selbstständige Anfechtbarkeit eines Zwischenbescheides ist nach diesen Grundsätzen regelmäßig nur zu bejahen, wenn er gleichzeitig eine materielle Rechtsfrage zum Gegenstand hat, mit deren Bejahung oder Verneinung das weitere Schicksal des Verfahrenssteht und fällt. Im Folgenden sollen die nach der Spruchpraxisdes Gerichts wichtigsten Fälle während der einzelnen Stadien eines Strafverfahrens beleuchtet werden:
aa) Richterliche Maßnahmen im Vorverfahren
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Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass der Haftbefehl – obgleich er vor allem eine verfahrenssichernde Funktion hat – im Verhältnis zu dem Verfahren in der Hauptsache eine Zwischenentscheidung ist. Unabhängig von der zweifelhaften dogmatischen Überzeugungskraft dieser Einordnung – in der Hauptverhandlung geht es nicht um die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls, etwa in puncto Haftgrund oder Verhältnismäßigkeit, sondern um Schuld oder Unschuld –[72], sind nach der Karlsruher Praxis sowohl der Haftbefehl selbst[73] als auch der Beschluss über die Zulässigkeit einer Auslieferung aufgrund eines Haftbefehls[74] mit der Verfassungsbeschwerde isoliert anfechtbar.
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In einem älteren Beschluss hat das BVerfG [75] – für einen Sonderfall – die Anfechtbarkeit von Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Strafbefehlsverfahren jedenfalls nicht ausgeschlossen. Da der Strafbefehl heute als Anklagesurrogat konzipiert ist und weitgehende Rechtskraftwirkung hat (§§ 410 Abs. 3, 373a StPO), wird man diese Bewertung eher als zu vorsichtig zu charakterisieren haben.
(3) Sonstige Maßnahmen im Vorverfahren
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Für Maßnahmen im Vorverfahren lässt sich der Satz aufstellen, dass dann, wenn gegen eine Ermittlungsmaßnahme ein eigener fachgerichtlicher Rechtsschutzwegeröffnet ist, regelmäßig auch die Verfassungsbeschwerde zulässig sein muss.[76] Daraus folgt etwa, dass gerichtliche Anordnungen nach § 81a StPO, da sie in einem selbstständigen Zwischenverfahren anfechtbar sind (§ 304 Abs. 1 StPO), typischerweise nach Erschöpfung des Beschwerderechtszuges und unter Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes auch mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können.[77] Ein zweites Beispiel: Das Gericht hat in zahlreichen Senats- und Kammerentscheidungen Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen den Erlass von Durchsuchungsbefehlen und Beschlagnahmebeschlüssendes Ermittlungsrichters für zulässig erachtet.[78] Auch hier muss aber zunächst der Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog geltend gemacht und ggf. der Beschwerderechtsweg beschritten werden.[79] Die Durchsicht von Papieren nach § 110 StPO gehört zwar formal zur Durchsuchung, ist aber der Beschlagnahme angenähert. Erst die auf den Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO ergangene Entscheidung des Amtsgerichts ist daher selbstständig anfechtbar.[80]
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