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Praxishinweis
Unmittelbarer Handlungsbedarf besteht, wenn der Verteidiger nach Akteneinsicht feststellt, dass die (früheren) Angaben des Mandanten – etwa am Unfallort – nicht alle entlastenden Gesichtspunkte enthalten.Derartige Lücken sollten zeitnah durch eine ergänzende Einlassung und/oder eine Verteidigungsschrift geschlossen werden. Gerade in Führerscheinsachen kann ein zu langes Zuwarten des Verteidigers bezüglich des Einführens entlastender Gesichtspunkte haftungsrelevant sein.
3. Verteidigungsschrift oder Einlassung?
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Wann und ob sich der Beschuldigte schriftlich zur Sache einlassen, bei der Polizei vernehmen lassen oder sein Verteidiger eine Verteidigungsschrift zu den Akten reichen soll, ist generell nicht zu beantworten. Es hängt immer vom Einzelfall ab. Als Faustregel wird wohl gelten: In einfach gelagerten Verkehrssachen (in anderen Strafsachen kann durchaus etwas anderes gelten) sollte sich der Beschuldigte nur über seinen Verteidiger schriftlich zur Sache äußern. Eine Verteidigungsschrift des Verteidigers,[24] auch wenn sie Äußerungen in der Formulierung des Beschuldigten enthält, kann in der Hauptverhandlung nicht verlesen werden,[25] denn bei einer Stellungnahme des Verteidigers für den Angeklagten kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, der Angeklagte habe diese Erklärung so gebilligt und man könne sie ihm zurechnen.
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Anders verhält es sich mit der schriftlichen Einlassung des Beschuldigten, die über den Verteidiger zu den Akten gelangt. Wird diese indirekter Rede abgefasst oder vom Mandanten unterschrieben, kann sie im Wege des Urkundenbeweises gem. § 249 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden, obwohl der Angeklagte in der Hauptverhandlung von seinem Recht Gebrauch macht, sich zur Sache nicht einzulassen.[26] Voraussetzung für die Verwertung im Urkundenprozess ist allerdings die eindeutige Feststellung, dass es sich um eine Äußerung des Mandanten selbst handelt.
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Praxishinweis
In Einzelfällen wird dem Mandanten, auch wenn er seinerzeit von seinem Anwalt umfassend über die möglichen Folgen belehrt wurde, die Tragweite seiner schriftlichen Einlassung erst später bewusst. Es kann dann geschehen, dass der Beschuldigte in der Hauptverhandlung plötzlich erklärt, dies alles habe er nicht so gesagt, das seien ja nur die Formulierungen, die sein Verteidiger sich für ihn ausgedacht habe. Auf diese Fälle sollte der Verteidiger vorbereitet sein und sich abgesichert haben. Dabei sind mehrere Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Wie bereits ausgeführt ist die sicherste Vorgehensweise, den Mandanten zu bitten, seine Einlassung zu unterschreibenund ihn dabei zu informieren, dass eine solche Einlassung im Wege des Urkundenbeweises verwertbar ist. Will man diese Förmlichkeit vermeiden, kann dem Mandanten die in seiner Gegenwart diktierte Einlassung mit der Bitte um Prüfung übersandt werden, ob er seinen Ausführungen noch Änderungs- oder Ergänzungswünsche hinzuzufügen habe. Bei einer entsprechenden Antwort dürfte intern sichergestellt sein, dass es sich um eine Einlassung des Mandanten handelt.
4. Prüfung der Verwertbarkeit zu Protokoll gegebener Angaben
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Für die Prüfung der Frage, ob die vom Mandanten zu Protokoll gegebenen Angaben verwertbar sind, ist von Bedeutung, ob der Mandant als Beschuldigter vernommen oder lediglich formlos informatorisch befragtworden ist.
Polizeibeamtedürfen am UnfallortAnwesende zunächst formlos befragen, um beurteilen zu können, gegen wen Ermittlungen als Beschuldigte zu führen sind.[27] Ergeben sich daraus Tatsachen, die auf eine nahe liegende Möglichkeit der Täterschaft oder Teilnahme schließen lassen,[28] hat die ordnungsgemäße Belehrung unverzüglich zu erfolgen, da sonst ein Missbrauch des dem Vernehmenden zustehenden Ermessensspielraums vorliegt, der die Angaben grundsätzlich unverwertbar macht.[29]
Der Fahrzeughalterwird im Zweifel als Fahrzeugführer in Betrachtkommen und zu belehrensein.[30] Wird er ohne Belehrung gefragt, ob er das Tatfahrzeug geführt habe und räumt er daraufhin die Fahrereigenschaft ein, sind diese Angaben nicht verwertbar.[31] Der Verteidiger sollte bei dieser Sachlage bereits im Rahmen der Stellungnahme zur Ermittlungsakte ankündigen, dass ein entsprechender Widerspruch gegen die Verwertung in der Hauptverhandlung erhoben werden wird und beantragen, das Hauptverfahren durch Beschluss nach § 204 StPO nicht zu eröffnen. Denn die Haltereigenschaft alleine reicht zum Tatnachweis(etwa der Trunkenheitsfahrt, einer Nötigung oder einer Unfallflucht) nicht aus. Weitere belastende Umständekönnen sich aber zu einem ernsthaften Tatverdacht verdichten, der dann vom Beschuldigten zu widerlegen wäre, will er der drohenden Verurteilung entgehen. Als solche spezifischen Umstände kommen in Betracht:
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alleinige Anwesenheit am Unfallort unmittelbar nach einem Unfall, wobei es allerdings ausgeschlossen sein muss, dass ein anderer als der Verdächtige das Fahrzeug lenkte, |
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Unfallverursachung, die im Zusammenhang mit dem Zustand des Verdächtigen (etwa Trunkenheit) erklärbar wäre, |
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Spuren im Fahrzeug, und zwar im Bereich des Fahrersitzes, die mit Verletzungen oder besonderen Merkmalen (z.B. Haare, Textilfasern, markante Schuhsohlenandrücke) übereinstimmen, die nur beim Verdächtigen vorliegen. |
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Nach Ansicht des OLG Saarbrücken [32] bleiben die gegenüber einem Polizeibeamten ungefragt fernmündlich abgegebene Sachverhaltsschilderung oder die in Abwesenheit eines Polizeibeamten gegenüber dem Beschuldigten erfolgte Bezichtigung durch einen zur Zeugnisverweigerung berechtigten Angehörigen als so genannte Spontanäußerungenauch nach Ausübung des Zeugnisverweigerungsrecht verwertbar.
Zu den von den Beschränkungen des § 252 StPO ausgenommenen Spontanäußerungen können auch Mitteilungen im Rahmen von Notrufenzählen, soweit sie zunächst ungefragt und aus freien Stücken erfolgen.[33]
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Praxishinweis
Bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolleist im Hinblick darauf, dass bei Feststellung konkreter Anhaltspunkte für eine den zulässigen Grenzwert überschreitende Alkoholisierung des angehaltenen Fahrers die Anordnung einer körperlichen Untersuchung dieses Fahrers die Folge ist, dem angehaltenen Fahrer die „Beschuldigteneigenschaft“ erst dannzuzuordnen, wenn die Anzeichenfür eine den Grenzwert überschreitende Alkoholisierung so deutlichsind, dass diese dem Polizeibeamten für sich allein schon die Anordnung einer körperlichen Untersuchungals unverzichtbarerscheinen lassen.[34] Die bloße Wahrnehmung von Alkoholgeruchim Auto – nicht in der Atemluft des Fahrzeugführers – soll nach Ansicht des BayObLG [35] für die Bejahung konkreter Anhaltspunkte im vorbezeichneten Sinn nicht ausreichen. Der Verteidiger sollte insoweit die Aussagen der Polizeizeugen genau prüfen: Es kann für die Frage der Belehrungspflicht einen bedeutenden Unterschied machen, ob diese meinten, nur (unspezifischen) Alkoholgeruch im Fahrzeug oder (konkret) in der Atemluft des Fahrzeugführerswahrgenommen zu haben.
5. Hilfe beim Ausfüllen des Unfallfragebogens?
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Häufig will der Geschädigte seinen Anspruch aus der Kasko-oder Teilkaskoversicherungnicht verlieren. Er wünscht dann vom Anwalt Hilfe beim Ausfüllen des Unfallfragebogens. Wenn der Anwalt weiß, dass der Geschädigte zum Unfallzeitpunkt alkoholisiert war oder sich schuldhaft vom Unfallort entfernt hatund deshalb keine Ansprüche gegenüber dem Kaskoversicherer bestehen, sollte er es grundsätzlich ablehnen, beim Ausfüllen des Unfallfragebogens behilflich zu sein. Es ist überhaupt generell Vorsicht geboten, wenn etwa innerhalb der Familie bestimmte Fahrerkonstellationen möglich sind, der Kaskoversicherer aber ganz bestimmte Angaben über den Fahrer wünscht. Hier ist es sinnvoll, den Mandanten darauf hinzuweisen, dass man nicht auf der einen Seite wegen einer möglichen Unfallflucht oder auch wegen einer Trunkenheitsfahrt freigesprochen werden kann und auf der anderen Seite vom Kaskoversicherer bedingungsgemäß entschädigt wird.
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