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Die Frage nach der Rechtsfolge wird erst dann akut, wenn zwischen den Beteiligten Streit entstanden ist. Wir nehmen also an: B fordert W auf, es zukünftig zu unterlassen, sich als B auszugeben. Fügt sich W diesem Begehren, so entsteht kein Rechtsproblem. Weigert sich W, darauf einzugehen, beharrt B jedoch auf seinem Verlangen, so entsteht der Rechtskonflikt: B behauptet zu seinen Gunsten eine Rechtsfolge, W verneint sie. Es muss dann entschieden werden, wer „Recht hat“, dh ob die von B behauptete Rechtsfolge von Rechts wegen besteht.
Damit entstehen zwei Fragen: (1) Wer entscheidet den Streit? (2) Nach welchen Bewertungsmaßstäben wird der Streit entschieden?
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Zu (1):Die Streitentscheidung muss durch eine möglichst unparteiische („neutrale“) Person oder ein unparteiisches Gremium erfolgen. Denn die Streitbeteiligten haben ihre eigenen Interessen im Blickfeld und sind daher meist außer Stande, die Interessen des Gegners zutreffend zu würdigen. Es läge daher nahe, dass sie gemeinsam einen Schiedsrichter auswählen und sich dessen Entscheidung unterwerfen. Dabei ergeben sich jedoch Schwierigkeiten: Die Streitenden werden sich nur schwer auf die Person des Schiedsrichters einigen können. Selbst wenn diese Einigung zustande kommt, haben die Schiedsrichter als bloße Privatleute keine Hoheitsgewalt, um ihren Spruch durchzusetzen. Deshalb nimmt der Staat die Gerichtsbarkeitin die Hand. Er stellt die staatlichen Gerichte als streitentscheidende Einrichtung zur Verfügung. Die rechtsprechende Gewalt ist den unabhängigen Richtern (Art. 97 I GG) anvertraut und wird durch die Gerichte des Bundes und der Länder ausgeübt (Art. 92 GG).
Die Zivilprozessordnung lässt es freilich zu, dass die Parteien auf Grund eines Schiedsvertrages Schiedsrichter an Stelle des staatlichen Richtersentscheiden lassen (§§ 1025 ff ZPO) und verleiht, wenn bestimmte Regeln eingehalten sind, dem Schiedsspruch unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§ 1055 ZPO). Doch bleibt die Weitergabe richterlicher Entscheidungsmacht unter staatlicher Kontrolle (vgl § 1059 ZPO).
B wird sich also an das zuständige staatliche Gericht wenden und dort seine Rechtsfolgebehauptung geltend machen. Er wird beantragen: „Der Beklagte (W) wird verurteilt, es künftig zu unterlassen, als Bobo aufzutreten.“ W wird den Antrag stellen: „Die Klage wird abgewiesen.“ Es findet dann über die behauptete Rechtsfolge ein Prozess statt, in dem über ihr Bestehen „erkannt“ wird (Erkenntnisverfahren).
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Zu (2):Das angerufene Gericht hat folgendes zu überprüfen:
(a) Sind die im Sinne eines rechtsstaatlichen und zweckmäßigen Verfahrens angeordneten Prozessregeln eingehalten? Das ist eine Frage des Verfahrensrechts (Prozessrechts).
(b) Welcher Sachverhalt (welche Summe von behaupteten Tatsachen) ist der Entscheidung als „wahr“ zu Grunde zu legen? Das Verfahren der Tatsachenfeststellung ist gleichfalls im Prozessrecht geregelt.
(c) Ergibt sich aus dem vom Gericht als wahr angenommenen Sachverhalt die vom Kläger begehrte Rechtsfolge? Dies ist eine Frage des materiellen Rechts, von dem das Zivilrecht einen Ausschnitt bildet.
Bei der Streitentscheidung durch die Gerichte spielen demnach zwei Normenkomplexe eine Rolle: das Verfahrensrecht(hier: Zivilprozessrecht) und das materielle Recht(hier: Zivilrecht). Das Verfahrensrecht bestimmt nicht nur das Erkenntnisverfahren, sondern regelt auch die Art und Weise, wie ein auf Grund des Erkenntnisverfahrens ergangenes Urteil mit hoheitlichem Zwang durchgesetzt wird (Vollstreckungsverfahren, Zwangsvollstreckung).
3. Die Rechtsnorm als Entscheidungsprogramm
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Angenommen nun, in Fall 1( Rn 3) sind die prozessrechtlichen Vorschriften beachtet; angenommen ferner, dass der geschilderte Sachverhalt zwischen des Parteien unstreitig ist und daher vom Gericht als wahr akzeptiert wird. Es entsteht dann die Frage, nach welchen Maßstäben der Streit beurteilt werden soll.
Die Maßstäbe finden sich in den Normen des Zivilrechts. Die Funktiondieser Normen ist näher zu betrachten. Unschwer lässt sich feststellen, dass die Parteien des Rechtsstreits unterschiedliche Interessen verfolgen. B möchte seine persönliche Identität wahren, die durch die Verbindung von Name und Person gegeben ist: er möchte vermeiden, dass ein anderer sich sein Ansehen und seine Leistungen durch irreführenden Namensgebrauch zu Nutze macht; er möchte auch Minderungen seines Ansehens vorbeugen, die aus unbedachten Äußerungen und Handlungen des W entstehen könnten. W möchte sein – ihm nun einmal eigenes – Aussehen dazu nutzen, um auch einmal die Freuden des Prominentendaseins zu genießen und gesellschaftliche Bedeutung zu gewinnen. Die Entscheidung kann gar nicht anders fallen als auf Grund einer Wertung der auseinander strebenden Interessen. Zu diesem Zweck wird das Gericht nicht einfach nach Sympathie für die eine oder andere Partei entscheiden dürfen. Es muss vielmehr eine überparteiliche Wertungsebene aufsuchen, auf der die beiderseitigen Interessen vergleichbar und gegeneinander abwägbar werden.
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Diese überparteiliche Wertung könnte das angerufene Gericht selbst vornehmen, indem es die Interessen von B und W analysiert und abwägt und auf dieser Grundlage schließlich entscheidet. Der Blick nur auf den Einzelfall hat freilich Nachteile: Es gibt viele Gerichte und unzählige Fälle, und es entsteht leicht die Gefahr, dass die einzelnen Konflikte nach unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entschieden werden. Es muss eine allgemeine Regel gebildet werden, die es ermöglicht, dass alle gleich gelagerten Fälle gleich entschieden werden. Eine solche Regel nennen wir Rechtsnorm. Durch sie wird eine bestimmte Bewertung der durch die Norm erfassten Fälle verbindlich. Die Zivilrechtsordnung bildet als Summe von Rechtsnormen ein System von verbindlich gemachten Interessenwertungen.
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Für die Entscheidung in Fall 1enthält § 12die einschlägige Rechtsnorm. Sie lautet:
„Wird das Recht zum Gebrauch eines Namens dem Berechtigten von einem anderen bestritten oder wird das Interesse des Berechtigten dadurch verletzt, dass ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, so kann der Berechtigte von dem anderen Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen.“
Bei genauem Hinsehen beschäftigt sich die Norm mit zwei verschiedenen Fallgruppen , nämlich 1) der Namensbestreitung und 2) der unbefugten Namensführung, außerdem mit zwei verschiedenen Rechtsfolgen , nämlich a) dem Anspruch auf Beseitigung von Beeinträchtigungen (Satz 1) und b) dem Anspruch auf Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen (Satz 2), der an eine zusätzliche Voraussetzung geknüpft ist. Wenn wir die Normteile herausfiltern, die unseren Fall betreffen – nämlich 2) und b) – so lässt sich die für unseren Fall maßgebliche Regel auf folgenden Satz reduzieren:
Wird das Recht zum Gebrauch eines Namens dadurch verletzt, dass ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, und sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Berechtigte auf Unterlassung klagen.
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Man wird bemerken, dass in § 12 von „Wertung“ und „Interesse“ nicht die Rede ist. Vielmehr weist das Gesetz rechtliche Befugnisse zu. Diesen Zuweisungen liegt jedoch die Wertung von Interessen zu Grunde. Das Namensrecht als Rechtseinrichtung ist das Resultat einer Interessenwertung, bei der die Interessen des Trägers eines Namens gegenüber den Interessen anderer abgegrenzt werden. Allgemein gesagt: Die Rechtsnormen machen Interessenwertungen verbindlich, indem sie anordnen, dass unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Rechtfolgeneintreten.
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