Bei der rechtlichen Behandlung von Leichen (-teilen) stehen sich zwei Auffassungengegenüber:
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Die eine sieht in ihnen Sachen (§ 90), auf welche die Eigentumsordnung des BGB jedoch im Hinblick auf die Besonderheit des Gegenstandes nur eingeschränkte Anwendung findet. |
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Die andere klammert sie aus dem Sachbegriff aus und sieht in ihnen Gegenstände eigener Art („Rückstände der Persönlichkeit“); eine Anwendung der dinglichen Zuordnung kommt nach dieser Auffassung nicht oder nur in sehr eingeschränkter Analogie in Betracht. |
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Das Bestimmungsrechtüber den Leichnam und seine Teile gebührt in erster Linie der betreffenden Person selbst: Diese kann zu Lebzeiten bestimmen, wer nach ihrem Tod ihre Interessen wahrnehmen soll („Totenfürsorge“, BGH FamRZ 1992, 657). Liegt keine solche Bestimmung vor, so sind die nahen Angehörigen berufen. Für den Fall der Organtransplantation gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) vom 5.11.1997. In diesem Gesetz sind die „nächsten Angehörigen“ aufgelistet (§ 1a Nr 5).
Auch bei der rechtlichen Behandlung des Leichnams wirkt eine zeitliche Komponente: Von dem Augenblick an, da das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen nicht mehr nachwirkt, wird die „Verkehrsfähigkeit“ der Leiche angenommen, dh sie wird nun endgültig Objekt des Schuld- und Sachenrechts (Moorleichen, Mumien, Reliquien), soweit nicht öffentlich-rechtliche Vorschriften dem entgegenstehen.
Zu den Problemen: J. Taupitz , Das Recht im Tod: Freie Verfügbarkeit der Leiche? Rechtliche und ethische Probleme der Nutzung des Körpers Verstorbener, 1997; H. Forkel , Jura 2001, 73: C. Ahrens , ErbR 2007, 146; W. Roth , NJW-Spezial 2015, 231.
d) Fortwirkung des Willens über den Tod hinaus
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Der Untergang der Rechtsfähigkeit mit dem Tod hindert nicht, dass der zu Lebzeiten geäußerte Wille auch nach dem Tode verbindlichbleibt (vgl § 130 II BGB). Auf diesem Gedanken beruht unser Erbrecht, insofern es den Menschen befähigt, die Erbfolge in sein Vermögen verbindlich zu ordnen (Testierfreiheit). Ebenso muss dem Menschen die Befugnis zugesprochen werden, in erster Linie über die Verwendung seines Leichnams zu wissenschaftlichen oder klinischen Zwecken verbindlich zu entscheiden. Die Fähigkeit, Rechtsfolgen über die Zeit des Todes hinaus zu bewirken, ist keine Rechtsstellung des Toten, sondern ein Teil der Freiheit, die dem Menschen zu seinen Lebzeiten zukommt.
Teil II Die Person› Kapitel 2 Die Handlungsfähigkeit der natürlichen Person
Kapitel 2 Die Handlungsfähigkeit der natürlichen Person
Inhaltsverzeichnis
1. Zur Handlungs- und Geschäftsfähigkeit im Allgemeinen
2. Minderjährige
3. Volljährige
4. Die Fürsorgeperson: der „gesetzliche Vertreter“
1. Zur Handlungs- und Geschäftsfähigkeit im Allgemeinen
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Die zivilrechtliche Stellung der Person erschöpft sich nicht darin, dass sie Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Hinzu kommt vielmehr als zweite rechtliche Grundeigenschaft die Fähigkeit, durch Handlungen Rechtswirkungen zu erzeugen(Handlungsfähigkeit). Der Begriff „Handlungsfähigkeit“ kommt im BGB selbst nicht vor und wird in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Folgende Bedeutungen sind hauptsächlich gemeint:
(1) die Fähigkeit, ein Rechtsgeschäft vorzunehmen (Geschäftsfähigkeit), dh gewollte Rechtswirkungen durch darauf gerichtete Willenserklärungen herbeizuführen (zB Abschluss eines Vertrages),
(2) die Fähigkeit, durch Handlungen Rechtswirkungen zu erzeugen ohne Rücksicht darauf, ob sie gewollt sind oder nicht,
(3) die Fähigkeit, für Unrechtshandlungen verantwortlich zu sein, zB Deliktsfähigkeit, §§ 827–829.
Die genannten Fähigkeiten gehören nur bedingt in den gleichen Problemzusammenhang. Die Geschäftsfähigkeit (a) ist Ausdruck der Freiheit des Bürgers, seine rechtlichen Verhältnisse im Zusammenwirken mit anderen in einer vom Recht anerkannten Weise zu gestalten. Die Verantwortlichkeit (c) hingegen gibt die Voraussetzungen an, unter denen einer Person gewisse Pflichten und Risiken zugerechnet werden; die Verantwortlichkeit ist demnach Ausdruck der sozialen Bindung. Der Geschäftsfähigkeit und der Verantwortlichkeit ist aber gemeinsam, dass es um ein „Einstehen“ für Handlungen geht: für Erklärungen, an die der Erklärende gebunden wird auf der einen, für Unrechtshandlungen auf der anderen Seite. Die unter (b) genannten Vorgänge sind von vielfältiger Art, angefangen vom Erwerb tatsächlicher Gewalt über eine Sache (§ 854 I) bis hin zur Mahnung eines Schuldners, seine Schuld zu begleichen ( Rn 855).
Anders als die Rechtsfähigkeit ist die Handlungsfähigkeit aller drei Spielarten mit dem Dasein als Person nicht ohne weiteres gegeben, sondern an bestimmte persönliche Voraussetzungen gebunden. Für die Geschäftsfähigkeit (a) und die Verantwortlichkeit (c) sind diese vom Gesetz geregelt.
b) Die Geschäftsfähigkeit
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Die Geschäftsfähigkeitals die Fähigkeit zu rechtsgeschäftlichem Handeln ist Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit. Wie die Rechtsfähigkeit steht also auch die Geschäftsfähigkeit unter dem Gebot der Gleichheit: Im Prinzip sind alle Bürger geschäftsfähig, und dies im gleichen Maße. Abstufungen nach sozialen Gruppen sind durch die Gesetzgebung des 19. und 20. Jahrhunderts beseitigt.
Das gilt insbesondere für die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit des weiblichen Geschlechts. Vom alten Rechtszustand der patriarchalischen Familie, in der die verheiratete Frau von ihrem Ehemann, die unverheiratete durch ihren Vater vertreten wurde, waren in das 19. Jh. noch gewisse Handlungsbeschränkungen überkommen, die nach traditioneller Vorstellung als „Rechtswohltaten“ für das als schwächer und weniger geschäftskundig empfundene weibliche Geschlecht begriffen wurden. So konnte sich die Frau, außer wenn sie die Kaufmannseigenschaft besaß, nicht durch Wechsel verpflichten (zB ALR II 8 §§ 724, 725) und sich nur unter erschwerten Voraussetzungen verbürgen; vor Gericht war sie nicht selbstständig prozessfähig. Demgegenüber kennt schon die ursprüngliche Fassung des BGB von 1896 das Prinzip der gleichen Geschäftsfähigkeit von Mann und Frau.
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Die Geschäftsfähigkeit steht unter bestimmten persönlichen Voraussetzungen. Da sie die Fähigkeit bedeutet, gewollte Rechtswirkungen kraft einer darauf gerichteten Erklärung herbeizuführen, setzt sie die Eigenschaft des Menschen zur freien Willensbildung voraus. Die Beachtlichkeit des Willens kann fehlen oder gemindert sein, wenn sich jemand in einem Zustand befindet, in dem ihm Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit nicht oder nicht vollständig zugesprochen werden können. Es kommen zwei Ursachen dafür in Betracht: entweder die Tatsache, dass der Mensch sich noch in der Jugendentwicklung befindet, in welcher er noch der Führung durch Fürsorgepersonen bedarf; oder aber eine psychische Krankheit oder geistige oder seelische Behinderung . Es gibt also Fälle, in denen jemand einen rechtsgeschäftlichen Willen entweder überhaupt nicht oder nicht selbstständig bilden kann. Dann stellt die Rechtsordnung dem Betreffenden eine Fürsorgeperson zur Seite, die treuhänderisch an seiner Stelle handelt oder sein rechtsgeschäftliches Handeln zu seinem Schutz kontrolliert: einen „gesetzlichen Vertreter“.
Literatur zur Geschäftsfähigkeit:
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