Fall 4:
Die Studenten A, B und C, des Politisierens überdrüssig, wollen einen Klub gründen, welcher der Geselligkeit und dem gemeinschaftlichen Genuss von Kulturwerten dienen soll. Sie finden 20 weitere Interessenten, mit denen sie sich auf einer Versammlung zum „Klub der Unpolitischen“ vereinigen. Es werden „Statuten“ beschlossen, die ua einen Mitgliedsbeitrag von 10 € pro Monat festlegen. Der Eintritt in den Klub soll jedermann freistehen. A wird zum „Präsidenten“, B zum „Vizepräsidenten“ und C zum „Schatzmeister“ gewählt. Darauf mietet A „im Namen des Klubs“ ein Haus von X für 800 € monatlich, das als Klubheim dienen soll.
Angenommen: X wartet vergeblich auf die Zahlung der ersten Monatsmiete. Wer ist ihm zur Zahlung verpflichtet? Ist es A? Oder sind es A, B und C als „Vorstand“? Oder sind es alle Klubmitglieder?
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Zur Zahlung des Mietzinses ist gemäß § 535 II der Mieter verpflichtet. Wer aber ist in unserem Fall „der Mieter“, also der Vertragspartner des X? Von der Interessenlage her können wir die folgenden Erwägungen anstellen:
(1) Mieter könnte der A sein, der die Vertragserklärung abgegeben hat. Diese Lösung würde jedoch den Interessen des A und letztlich auch des „Klubs“ zuwiderlaufen. A hat deutlich gemacht, dass er das Haus für den Klub mieten wolle. Daraus kann man seinen Willen entnehmen, nicht selbst der alleinige Vertragspartner des X zu sein, sondern auch für die anderen Mitglieder zu handeln. Lässt man die Funktionäre einer Vereinigung für die im gemeinsamen Interesse gemachten Schulden persönlich haften, so wird sich sehr bald niemand mehr finden, der bereit wäre, ein „Ehrenamt“ mit einem derartigen Risiko zu übernehmen. Aus dem gleichen Grund wäre es unzweckmäßig, A, B und C („als Vorstand“) zusammen als Vertragspartner des X anzusehen.
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(2) Man könnte ferner daran denken, alle Mitglieder für die Miete haften zu lassen, und zwar mit folgender Begründung: Der „Klub“, in dessen Namen A den Vertrag abgeschlossen hat, ist nichts anderes als die summarische Bezeichnung aller 23 Klubmitglieder. A hätte dann in Wirklichkeit für alle Mitglieder gehandelt, als deren bevollmächtigter Stellvertreter er aufgetreten wäre (§ 164 I). Nimmt man das an, so ergibt sich die weitere Frage, ob (a) die 23 Mitglieder in der Weise haften, dass X nach seiner Wahl einen von ihnen herausgreifen und von ihm die ganze Miete verlangen kann, oder ob (b) jedes Mitglied nur in Höhe eines der Kopfzahl entsprechenden Bruchteils (hier: 1/23) haftet. Keine dieser Lösungen würde jedoch den Interessen der Beteiligten gerecht.
Zu Lösung (2a): Niemand, der sich einer zur Pflege der Geselligkeit gegründeten Vereinigung anschließt, möchte für die Schulden, die für die gemeinsamen Zwecke gemacht werden, gänzlich einstehen; vielmehr wird das Mitglied die Vorstellung haben, finanzielle Verpflichtungen nur in Höhe seines Mitgliedsbeitrages einzugehen.
Zu Lösung (2b): Es ist dem X nicht zuzumuten, seinen Zahlungsanspruch in der Weise geltend zu machen, dass er 23 Personen jeweils auf einen kleinen Teil verklagt. Zudem kann es beim „Klub“ einen ständigen Mitgliederwechsel geben.
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(3) Als dritte Möglichkeit käme in Betracht, den Anspruch des X so zu konstruieren, dass X nicht von den einzelnen Mitgliedern die Miete verlangen, sondern lediglich „Zahlung aus der Klubkasse“ fordern kann. Nun kann freilich nur eine Person, nicht eine „Kasse“ verpflichtet sein. Es bietet sich der Ausweg, die Vereinigung der Mitglieder („den Klub“) selbst als Person und damit als den Vertragspartner des X anzusehen. „Der Klub“ würde demnach als Mieter erscheinen und für die Mietschulden mit „seinem Vermögen“ einstehen, nämlich mit dem, was die Mitglieder in die Klubkasse einzahlen. Eine solche Konstruktion ist nach klassischem Zivilrecht in der juristischen Persongefunden.
Unter einer juristischen Personverstehen wir eine Personenvereinigung (oder eine sonstige Organisation), der die Rechtsordnung die Qualität einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit zuerkennt, die von der Rechtspersönlichkeit ihrer Mitglieder vollkommen geschieden ist . Die juristische Person ist voll rechtsfähig (vgl §§ 21, 22), sie ist Träger von Rechten und Pflichten und tritt durch ihre Organe handelnd im Rechtsverkehr auf. Für die im Namen der juristischen Person eingegangenen Verbindlichkeiten haftet grundsätzlich nur sie selbst mit ihrem Vermögen, nicht aber haften die einzelnen Mitglieder mit ihrem „Privatvermögen“.
In Ausnahmefällen, namentlich bei unredlichem Verhalten der Mitglieder, kommt eine Haftung der Einzelmitglieder mit ihrem privaten Vermögen für Schulden der juristischen Person in Betracht ( Durchgriffshaftung, siehe BGHZ 175, 12 – Verein; BGH NJW 2002, 3024; BGHZ 165, 85 – GmbH). Auch ist eine Eigenhaftung von Mitgliedern aus unerlaubter Handlung möglich (BGHZ 109, 297 – Geschäftsführer einer GmbH).
Ob in Fall 4der „Klub“ auch wirklich die Voraussetzungen einer juristischen Person erfüllt, kann an dieser Stelle noch nicht entschieden werden, siehe unten Rn 153 ff.
2. Die Deutung der juristischen Person
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Um das „Wesen“ der juristischen Person besteht seit langem eine Kontroverse. Insbesondere ist darum gestritten worden, ob und inwieweit der Personenvereinigung tatsächlich eine eigene Persönlichkeit zukommt. Die von den Vertretern des römischen Rechts im 19. Jh. entwickelte Fiktionstheoriesieht in der juristischen Person lediglich eine Rechtstechnik: Die Vereinigung wird – damit gewisse Probleme zufrieden stellend gelöst werden können – als Rechtsperson nur gedacht (fingiert). Hingegen sieht eine andere Theorie in der juristischen Person eine wirkliche Persönlichkeit („reale Verbandspersönlichkeit“), sodass die Rechtsordnung mit der Zuschreibung von Rechtsfähigkeit lediglich etwas anerkennt, was sie ohnehin vorfindet. Die Erklärungsversuche haben sich von den beiden Grundpositionen aus weiter verzweigt und fortentwickelt.
Literatur:
Fiktionstheorie zB bei Savigny , System, II, 235. Theorie der realen Verbandspersönlichkeit zB bei Gierke , Das Wesen der menschlichen Verbände, 1902, Neudruck 1954. Zur Entwicklung dieser Lehren: F. Wieacker , Zur Theorie der Juristischen Person des Privatrechts, Festschrift E.R. Huber, 1973, 339; W. Hadding , Korporationsrechtliche oder rechtsgeschäftliche Grundlagen des Vereinsrechts?, Festschrift für R. Fischer, 1979, 165; Flume , AT 2, Kap. I § 1.
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Der Streit ist nicht müßig. Er zeugt von unterschiedlichen Grundeinstellungen zum Recht; die Standpunkte wirken bis in die Lösung einzelner Konflikte hinein. Letztlich geht es darum, ob man die menschliche Gemeinschaft als Inbegriff und Komplex individueller Lebensäußerungen oder als eine die einzelnen Mitglieder überschreitende Größe sieht. Die Deutung des Kollektivs als eigenes juristisches Wesen, das sich nicht in die Lebensäußerungen der einzelnen Mitglieder vollständig auflösen lässt, sondern eine eigene Substanz besitzt, eignet sich als Konzept der Vereinsautonomie gegenüber dem Staat, birgt indes freiheitsfeindliche Tendenzen für das einzelne Mitglied im Verhältnis zur Gemeinschaft und ihren Funktionären. Die Deutung der Gemeinschaft von den Individuen her wird den Interessen der einzelnen Mitglieder gerecht, beeinträchtigt aber in gewissem Grade die Bedürfnisse der Organisation als solcher.
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Nach unserer Auffassung bildet die juristische Person eine Zweckkonstruktion, mit deren Hilfe sich Einzelpersonen zu bestimmten Zwecken zusammenschließen und in diesem Verbund auf einer gesicherten rechtlichen Grundlage tätig werden können. Die dazu nötigen rechtlichen Regeln haben auch den Zweck, Konflikte zwischen den beteiligten Individuen zu bewältigen. Es geht um Konflikte entweder der Mitglieder eines derartigen Zusammenschlusses untereinander (zB Streit zwischen dem Klubmitglied D und „dem Klub“ um die Beitragszahlung) oder der Mitglieder des Klubs mit außenstehenden Personen (wie in Fall 4 mit dem Vermieter). Rechtsfähig im vollen Sinne ist nach dieser Auffassung allein die natürliche Person, während die Rechtsfähigkeit der juristischen Person immer nur in gewissem, aus der Rechtspersönlichkeit der Mitglieder abgeleitetem Sinne besteht.Infolgedessen kann die juristische Person auch nicht als Träger sämtlicher Rechte gedacht werden, die einem Menschen zustehen können. So besagt Art. 19 III GG: „Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ Insbesondere ist die juristische Person nicht Träger aller Persönlichkeitsrechte. Sie hat kein „Recht auf Leben“ (auch nicht im übertragenen Sinne als „Recht auf Fortbestand“). Die Persönlichkeitsrechte, die man der juristischen Person zuschreibt, stehen ihr auf andere Weise als der natürlichen zu. Nach Auffassung des BVerfG kommt jedenfalls dort, wo der Grundrechtsschutz an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Personen wesenseigen sind, eine Erstreckung auf juristische Personen als bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung nicht in Betracht; das ist umso eher der Fall, als der Grundrechtsschutz im Interesse der Menschenwürde gewährt wird, die nur natürliche Personen für sich in Anspruch nehmen können (BVerfGE 1997, 1841, 1843).
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