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§ 273 begründet ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht, das grundsätzlich allen Ansprüchen gegenüber geltend gemacht werden kann – auch dinglichen[3], erbrechtlichen[4] und vermögensbezogenen familienrechtlichen Ansprüchen[5]. Teilweise sieht das Gesetz besondereZurückbehaltungsrechte vor, die § 273 verdrängen. Beispiele sind § 358, § 1000 sowie §§ 369 ff HGB. Vor allem aber begründet § 320eine Sonderregel für Ansprüche im Gegenseitigkeitsverhältnis und geht § 273 als lex specialisvor.[6]
2. Das Zurückbehaltungsrecht als Einrede
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Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht des § 273 begründet eine Einrede, so wie beispielsweise auch § 214 für die Verjährung oder § 275 Abs. 2 und Abs. 3für die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Der Einredecharakter des § 273 ergibt sich schon aus der Rechtsfolgenanordnung des § 273 Abs. 1: Der Schuldner „ kann die geschuldete Leistung verweigern , bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird.“ Anders als Einwendungen werden Einreden vor Gericht nicht etwa schon dann berücksichtigt, wenn ihre Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Das bedeutet: Selbst, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 273 erfüllt sind, wird der Schuldner ohne Einschränkung zur Leistung verurteilt, wenn er das allgemeine Leistungsverweigerungsrecht nicht geltend macht. Sein eigener Anspruch – auf den er das Zurückbehaltungsrecht hätte stützen können – wird ihm dadurch freilich nicht genommen; er kann ihn gegebenenfalls in einem eigenen Prozess durchsetzen. Die Wirkungen des Zurückbehaltungsrechtstreten aber nur ein, wenn die Einrede auch geltend gemacht wird; der Schuldner muss sich auf das Zurückbehaltungsrecht also berufen. Die Geltendmachung der Einrede kann im Prozess erfolgen, sie muss es aber nicht: Die Einrede kann auch außerhalb des Prozesses oder in seinem Vorfeld wirksam erhoben werden.
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Auch im Rahmen anderer Regelungenkommt es für § 273 auf die Erhebung der Einredean: So kann der Schuldner den Schuldnerverzugdadurch vermeiden, dass er ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht.[7] Solange der Schuldner das Zurückbehaltungsrecht allerdings nicht geltend macht, bleibt er in Verzug bzw. gerät er in Verzug:[8] Leistet also der Schuldner trotz Fälligkeit und Mahnung nicht, so tritt Verzug selbst dann ein, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 273 zwar vorliegen, der Schuldner das Leistungsverweigerungsrecht aber nicht geltend macht. Der Schuldner muss also sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 273 geltend machen, um zu verhindern, dass er in Schuldnerverzug gerät. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Zurückbehaltungsrecht nach § 320: Wegen der besonders engen Verbindung synallagmatischer Ansprüche werden die Verzugsfolgen dort – im Gegensatz zu § 273 – auch schon dann vermieden, wenn lediglich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 320 vorliegen, also ohne, dass der Schuldner die Einrede auch geltend gemacht hat.
Zur Beendigung des Schuldnerverzugsgenügt die Erhebung der Einrede aus § 273 nicht mehr: Vielmehr muss der Schuldner dann die seinerseits geschuldete Leistung erbringen oder in Annahmeverzug begründender Weise anbieten.[9]
3. Voraussetzungen des Zurückbehaltungsrechts aus § 273
a) Wechselseitige Forderungen
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§ 273 setzt wechselseitige Forderungen voraus: Der Gläubiger muss einen Anspruch gegen den Schuldner, der Schuldner aber zugleich auch einen Anspruch gegen den Gläubiger haben. Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 273 Abs. 1. Ansprüche gegen Dritte begründen dagegen kein Zurückbehaltungsrecht. Auch das ist eine Folge der Relativität der Schuldverhältnisse.[10] Wenn also beispielsweise der Eigentümer eines Oldtimers von einer Reparaturwerkstatt Herausgabe des Oldtimers (§ 985) verlangt, hat die Werkstatt kein (ein Recht zum Besitz iSd § 986 begründendes) Zurückbehaltungsrecht wegen ihrer werkvertraglichen Ansprüche, wenn nicht der Eigentümer, sondern ein Dritter (beispielsweise der Ehemann des Eigentümers) den Werkvertrag abgeschlossen hat.[11]
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Schwierigkeiten kann der Fall bereiten, dass wechselseitige Ansprüche bestehen, die ein Zurückbehaltungsrecht begründen, nun aber eine Partei ihren Anspruch an einen Dritten abtritt (§ 398). Dadurch kann sich die Position des Schuldners verschlechtern, wenn er zwar einen Anspruch gegen den alten, nicht aber gegen den neuen Gläubiger hat. Das verhindert § 404: Der Schuldner kann ein Zurückbehaltungsrecht auch dem neuen Gläubiger entgegenhalten.[12]
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Im Gegensatz zur Aufrechnung[13] müssen die Ansprüche nicht gleichartigsein. Äpfel lassen sich zwar nicht gegen Birnen aufrechnen, denn § 387 verlangt die Gleichartigkeit der Forderungen. Aber man kann die Leistung von Birnen verweigern, wenn man – unter den weiteren Voraussetzungen des § 273 – einen Anspruch auf Äpfel hat. Bei gleichartigen Ansprüchen ist die Aufrechnung vorrangig. Im Prozess bringt die Rechtsprechung den Schuldner auf den richtigen Weg, wenn er – statt aufzurechnen – nur ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht, obwohl er eine gleichartige Forderung hat. Regelmäßig wird ein Antrag auf Zug-um-Zug-Verurteilung (vgl § 274) in eine Aufrechnung umgedeutet.[14]
b) Konnexität der Ansprüche („aus demselben rechtlichen Verhältnis“)
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Der Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger muss § 273 Abs. 1 zufolge „aus demselben rechtlichen Verhältnis“ stammen, „auf dem seine Verpflichtung beruht“. Dieses Erfordernis – das die Aufrechnung nicht hat – bezeichnet man auch als Konnexität. Der Wortlaut dieser Voraussetzung scheint ein eher enges Verständnis nahezulegen. Dies trifft aber nicht zu. Mit Blick auf den Zweck des § 273 ist das Erfordernis vielmehr weit auszulegen. Das erklärt sich aus dem grundlegenden Gerechtigkeitsgedanken, der § 273 zugrunde liegt.[15] Zudem ist die Verbindung zweier Ansprüche bei der Geltendmachung auch effizient: Sie spart Rechtsdurchsetzungskosten, weil der Schuldner seinen eigenen Anspruch ja notfalls in einem eigenen Prozess durchsetzen müsste, wenn ihm § 273 nicht als Abwehrmöglichkeit zur Verfügung stünde. Die stRspr legt den Begriff daher zu Recht weit aus. Es ist nicht nötig, dass die Ansprüche aus demselben Rechtsverhältnis stammen. Es genügt vielmehr, dass ihnen ein innerlich zusammenhängendes, einheitliches Lebensverhältniszugrunde liegt.[16] Vertragliche Ansprüche müssen dafür in einem solchen natürlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen durchgesetzt werden könnte.[17] So genügt etwa eine ständige Geschäftsbeziehung zwischen zwei Unternehmen, wenn zwar verschiedene Vertragsverhältnisse vorliegen, diese aber wegen ihres zeitlichen oder sachlichen Zusammenhangs als natürliche Einheit erscheinen.[18] Wenn beispielsweise die Deutsche Bahn AG gegen die Siemens AG Gewährleistungsansprüche wegen Fehlern in einer ICE-Lieferung aus 2018 hat, kann sich die Siemens AG wegen ihrer Zahlungsansprüche gegen die Deutsche Bahn AG aus einer Schienenlieferung aus 2019 gegebenenfalls auf § 273 berufen. Auch ein nichtiger Vertrag, der Grundlage wechselseitiger Bereicherungsansprüche ist, begründet ein einheitliches Rechtsverhältnis iSd § 273 Abs. 1.[19]
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Einen gesetzlichen Fall der Konnexität regelt § 273 Abs. 2: Wer zur Herausgabe eines Gegenstandes verpflichtet ist, kann ein Zurückbehaltungsrecht auf seine fälligen Ansprüche wegen Verwendungen auf den Gegenstand geltend machen oder auch wegen eines ihm durch den Gegenstand verursachten Schadens. Das gilt nur dann nicht, wenn der Schuldner den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung erlangt hat. Wenn beispielsweise Ihr Nachbar während Ihres Urlaubs Ihre Wellensittiche hütet, hat er wegen seiner Fütterungskosten (§ 693) ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 2 gegen Ihren Anspruch auf Herausgabe der Vögel (§ 695). Ein anderes Beispiel bietet der Fall, dass jemand rechtswidrig auf Ihrem Grundstück parkt. Der Eigentümer kann zwar Herausgabe des Autos verlangen. Sie haben jedoch Ihrerseits einen Anspruch auf Zahlung der Abschleppkosten, der Ihnen ein Zurückbehaltungsrecht iSd § 273 Abs. 2 vermittelt.
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