1.A hat B drei Kaninchen angeboten, obwohl im Kaufvertrag die Lieferung von fünf Kaninchen aus dem zuvor bestimmten Wurf vereinbart worden waren. Gemäß § 266 ist der Schuldner nicht zu einer Teilleistung berechtigt. Teilleistungen kann der Gläubiger zurückweisen, ohne in Annahmeverzug zu geraten, weil die Leistung dann gerade nicht in der geschuldeten Form angeboten wird.
2.Ausnahmsweise kann jedoch ein Recht zur Teilleistung bestehen:
Zu Fallvariante a):Hier kann sich eine Teilleistungsberechtigung aus einer Parteivereinbarung ergeben: A und B haben vereinbart, dass A eine geringere Anzahl an Kaninchen liefern darf, wenn bestimmte Kaninchen von der Tochter des A als besonders süß empfunden werden und sie die Kaninchen behalten möchte. Die Tochter fand zwei Kaninchen süß, so dass A dazu berechtigt war, nur drei Kaninchen zu liefern.
Zu Fallvariante b):Eine Teilleistung kann ferner nicht zurückgewiesen werden, wenn nur noch die Lieferung eines Teils der Leistung möglich ist. Das setzt Unmöglichkeit des anderen Teils gem. § 275 Abs. 1 voraus. Die Leistungspflicht beschränkt sich dann auf den nunmehr möglichen Teil. Der Gläubiger ist dadurch nicht schutzlos: Wenn er kein Interesse an der Teilleistung hat, kann er gem. § 323 Abs. 5 S. 1 vom gesamten Vertrag zurücktreten. Die Lieferpflicht des A war auf die fünf Kaninchen des vorher bestimmten Wurfs beschränkt. Nur drei Kaninchen kamen lebend zur Welt. Die Lieferung der weiteren zwei Kaninchen ist daher objektiv unmöglich (§ 275 Abs. 1). Daher bestand kein Zurückweisungsrecht des B. B hat auch weder ausdrücklich noch konkludent den Rücktritt erklärt; er bestand vielmehr auf Lieferung. A war also zur Lieferung der drei Kaninchen berechtigt.
3.B hatte daher in beiden Fallvarianten kein Zurückweisungsrecht und ist in Gläubigerverzug geraten.
II.Bei den Fütterungskosten handelt es sich auch um freiwillige Vermögensopfer, also Aufwendungen. Die Aufwendungen sind zudem infolge des erfolglosen Angebots angefallen und sie dienten auch dazu, die geschuldeten Kaninchen zu pflegen, sie also zu erhalten.
Ergebnis:A hat gegen B in beiden Fallvarianten einen Anspruch auf Ersatz der Fütterungskosten aus § 304.
[1]
MünchKomm/ Krüger , BGB 8, § 271 Rn 2.
[2]
Einzelheiten zum Annahmeverzug unten Rn 797 ff.
[3]
BGH NJW 1971, 979.
[4]
BGH DNotZ 2005, 375, 376.
[5]
BGH NJW 2017, 104.
[6]
Jauernig/ Stadler , BGB 17, § 271 Rn 6.
[7]
BGH NJW 2017, 104.
[8]
BGH NJW 2007, 1198, 1199.
[9]
OLG München NJW-RR 1992, 818.
[10]
Vgl Jauernig/ Stadler , BGB 17, § 271 Rn 12.
[11]
BGH NJW 2017, 104.
[12]
BGH NJW 2007, 1198, 1199; dazu schon Rn 285.
[13]
Näher zur Abgrenzung der Begriffe „sofort“ und „unverzüglich“ Arnold/Hornung JuS 2019, 1041, 1044.
[14]
Kritisch zur Fälligkeitsregelung beim Verbrauchsgüterkauf Kohler NJW 2014, 2817.
[15]
Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.
[16]
BT-Drs. 18/1309, S. 8.
[17]
Vgl BT-Drs. 18/1309, S. 14.
[18]
Zum Schuldnerverzug unten Rn 753 ff.
[19]
Zur Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 oben Rn 187 ff.
[20]
BGH NJW 2017, 2758; 2013, 1074; 2011, 2278; aus der Literatur zustimmend etwa BeckOK/ Lorenz , BGB 51, § 269 Rn 34.
[21]
Palandt/ Grüneberg , BGB 78, § 269 Rn 1.
[22]
BGH NJW 2003, 3341 mwN; aA für Verbrauchsgüterkäufe MünchKomm/ Krüger , BGB 8, § 269 Rn 20.
[23]
Geldschulden sind qualifizierte Schickschulden, näher dazu oben Rn 207 f.
[24]
Vgl BGH NJW-RR 2003, 192.
[25]
Einzelheiten zum Rücktrittsrecht aus § 323 unten Rn 497 ff.
[26]
OLG Hamm NJW-RR 2016, 177 mwN; aA etwa Stöber NJW 2006, 2661.
[27]
BGH NJW 1986, 251; 1998, 377, 379.
[28]
Nach hM ist die Tilgungsbestimmung keine Willenserklärung, sondern eine geschäftsähnliche Handlung Soergel/ Forster , BGB 13, § 267 Rn 9; BeckOGK/ Krafka , BGB (1.11.2019), § 267 Rn 16 (beide mwN).
[29]
BGH NJW-RR 2014, 873, 874; NJW 2018, 1079 Rn 26; Staudinger/ Bittner , BGB (2014), § 267 Rn 8; Soergel/ Forster , BGB 13, § 267 Rn 9; anders etwaMünchKomm/ Krüger , BGB 8, § 267 Rn 11.
[30]
Dazu auch unten Rn 325.
[31]
Dazu unten Rn 328.
[32]
MünchKomm/ Krüger , BGB 8, § 267 Rn 23.
[33]
Vgl BGH NJW 1983, 814; 1986, 2700; zust. Palandt/ Grüneberg , BGB 78, § 267 Rn 3; Erman/ Artz , BGB 15, § 267 Rn 11; Soergel/ Forster , BGB 13, § 267 Rn 9.
[34]
BGH NJW 1964, 1898, 1899; 1986, 2700.
[35]
Staudinger/ Bittner , BGB (2014) § 267 Rn 45; MünchKomm/ Krüger , BGB 8, § 267 Rn 12; Medicus/Petersen , Bürgerliches Recht 27Rn 951.
[36]
MünchKomm/ Krüger , BGB 8, § 268 Rn 4.
[37]
Vgl BGH BeckRS 1990, 01869 (für die Grundschuld); RGZ 131, 323, 325 f (für die Hypothek); OLG Celle NJW 1968, 1139, 1140 (für das Pfandrecht an beweglichen Sachen).
[38]
Dazu näher unten Rn 817.
[39]
RGZ 79, 359, 361.
[40]
Staudinger/ Bittner , BGB (2014), § 266 Rn 36 ff.
[41]
BGHZ 73, 243, 247; Palandt/ Grüneberg , BGB 78, § 266 Rn 3; RGRK/ Weber , § 420 Rn 11.
[42]
BeckOK/ Lorenz , BGB 51, § 266 Rn 4; MünchKomm/ Krüger , BGB 8, § 266 Rn 4.
[43]
Näher zu § 323 Abs. 5 unten Rn 527 ffund zu § 281 Abs. 1 S. 2 und 3 unten Rn 623 ff.
[44]
BeckOK/ Lorenz , BGB 51, § 266 Rn 11.
[45]
Dazu unten Rn 625und Rn 531.
[46]
Jauernig/ Stadler , BGB 17, § 266 Rn 10.
Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen› § 7 Die Verbindung von Leistungspflichten durch Zurückbehaltungsrechte
§ 7 Die Verbindung von Leistungspflichten durch Zurückbehaltungsrechte
Inhaltsverzeichnis
I. Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht (§§ 273, 274)
II. Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§§ 320, 322)
Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen› § 7 Die Verbindung von Leistungspflichten durch Zurückbehaltungsrechte› I. Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht (§§ 273, 274)
I. Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht (§§ 273, 274)
341
Fall 30:
A spielt mit seinen Freunden auf der Straße Fußball. Als B in seinem Auto vorbeifährt, übersieht ihn A und schießt den Ball gegen das Auto, wobei die hintere Heckscheibe zerbricht. B steigt aus seinem Auto aus und konfisziert den Ball. Auf Nachfrage des A weigert B sich, den Ball herauszugeben. Kann A von B Herausgabe des Balls verlangen? Lösung Rn 362
Fall 31:
V hat einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegen K; der Anspruch verjährte am 1.2.2019. Am 1.1.2019 erlangte K seinerseits einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegen V. Als K am 1.3.2019 den Kaufpreis von V fordert, hält dieser K die Einrede des § 273 Abs. 1 entgegen. Zu Recht?
342
Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht ist Ausdruck des aus § 242fließenden Verbots unzulässiger Rechtsausübung[1] und beruht auf einem grundlegenden Gerechtigkeitsgedanken: Wenn zwei Personen wechselseitige und zusammenhängende Ansprüche gegeneinander haben, soll jeder zur Leistungsverweigerung berechtigt sein, so lange nicht auch der andere Teil leistet. Dieser Grundgedanke kommt vor allem in der zentralen Rechtsfolge des § 274 Abs. 1 zum Ausdruck: Wenn der Schuldner ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 geltend macht, wird er lediglich zur Leistung „Zug um Zug“ verurteilt. Dadurch kann der Schuldner mittelbar auch Erfüllungsdruck auf den Gläubiger ausüben.[2] Denn dieser erhält die ihm gebührende Leistung eben erst, wenn er selber leistet. Das Zurückbehaltungsrecht dient auch der Effizienz: Zusammengehöriges wird rechtlich zusammengeführt und im Prozess auch gemeinsam verhandelt. Das spart zusätzliche Kosten, minimiert den Zeitaufwand für die Klärung zusammengehöriger Ansprüche und wirkt natürlich auch außerhalb von Prozessen darauf hin, dass wechselseitige Ansprüche gemeinsam erledigt werden.
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