Fall 28:
D spielt einen Golfball über eine Baumgruppe, da er denkt, dahinter befinde sich das Grün. Er war unachtsam und hat sich am Abschlag nicht hinreichend über die Spielbahn informiert. Tatsächlich befindet sich hinter der Baumgruppe ein Parkplatz, was D auch leicht hätte erkennen können. Als D seinen Ball sucht, fällt ihm auf, dass die Heckscheibe eines VW Polo zerbrochen ist. Er eilt direkt ins Clubhaus und findet dort G, den Besitzer des Polos. D ersetzt G den Schaden in Geld. Erst später stellt sich heraus, dass nicht D, sondern S den Schaden verursacht hat: Auch S hatte kurz zuvor aus Unachtsamkeit von einer anderen Bahn aus einen Ball auf den Parkplatz gespielt. Hat D Ansprüche gegen G oder S?
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Regelmäßig wird der Schuldner selbst die geschuldete Leistung erbringen. Das ist aber nicht immer so: Gelegentlich – wie Fall 27illustriert – schalten sich auch Dritte ein, um die Leistung zu erbringen. Aus Sicht des Gläubigers scheint das auf den ersten Blick unproblematisch zu sein: In vielen Fällen kommt es nicht auf die persönliche Leistung an, so dass es dem Gläubiger egal sein kann, wer sie erbringt. § 267 lässt die Leistungserbringung durch Dritte daher grundsätzlich zu, wenn die Leistung nicht höchstpersönlichzu erbringen ist. Auch verpflichtet die Norm den Gläubiger grundsätzlich zur Annahme der Leistung. Fragen der Rückabwicklung, also insbesondere ob der Dritte einen Regressanspruch gegen den Schuldner hat, lässt § 267 offen.
2. Voraussetzungen des § 267
a) Keine Pflicht des Schuldners, in Person zu leisten
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Die Leistungsberechtigung des Dritten setzt gem. § 267 Abs. 1 S. 1 voraus, dass der Schuldner nicht in Person zu leisten hat (keine höchstpersönliche Leistungspflicht). Mit dieser tatbestandlichen Beschränkung will das Gesetz den Gläubiger davor schützen, dass die Leistung durch eine andere Person bewirkt wird, wenner ein berechtigtes Interessedaran hat, dass die Leistung gerade durch den Schuldner selbst erfolgt. Dafür kommt es entscheidend auf die Art des Schuldverhältnisses und die Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände an. Unterlassungsansprüche (etwa auf Unterlassung ehrverletzender Aussagen) kann nur der Unterlassungsschuldner selbst erfüllen. Wenn es auf die individuellen Fähigkeiten ankommt, liegt ebenfalls eine höchstpersönliche Leistungspflicht nahe. Wenn beispielsweise Domkapellmeisterin D die Sopranistin S für einen Kantatengottesdienst als Solistin engagiert, kommt es D gerade darauf an, dass S singt und nicht irgendeine andere Sopranistin.
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Oft ergibt sich auch aus dem Gesetz, dass bestimmte Schuldverhältnisse regelmäßig höchstpersönliche Leistungspflichten begründen: So darf etwa bei einem Auftrag der Beauftragte die Ausführung grundsätzlich niemand anderem übertragen (§ 664 Abs. 1 S. 1). Auch hier liegt also grundsätzlich eine höchstpersönliche Leistungspflicht vor; anders ist es freilich, wenn die Übertragung gestattet ist (vgl § 664 Abs. 1 S. 2).
Ebenso wie beim Auftrag liegt es wegen der Verweisung des § 713 in das Auftragsrecht für die Gesellschafterpflichten bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie bei der Hinterlegung mit Blick auf die Leistungspflicht des Hinterlegers (vgl § 691). Auch Dienstverträge begründen regelmäßig höchstpersönliche Leistungspflichten, wie sich aus § 613 ergibt. Sach- und Geldschulden sind hingegen regelmäßig unpersönlich.
b) Leistung eines Dritten
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§ 267 greift nur bei Leistungen eines Dritten ein.
aa) Fremdtilgungswille, keine ausschließliche Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit
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Dritter ist zunächst nur, wer zumindest auch zur Erfüllung der Leistungspflicht des Schuldners leistet, also Fremdtilgungswillehat.[27] Dafür kommt es – ähnlich wie bei der Auslegung von Willenserklärungen[28] – auf die (verobjektivierte) Perspektive des Leistungsempfängers an, also darauf, wie der Empfänger die Leistung verstehen durfte.[29] Wenn der Fremdtilgungswille fehlt, wird die Schuld nicht erfüllt; der Schuldner ist dann weiterhin zur Leistung verpflichtet. Der Dritte wiederum kann das Geleistete grundsätzlich aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 beim Gläubiger kondizieren.
In Fall 27durfte Gläubiger B das Zahlungsangebot des D so verstehen, dass D ausschließlich zur Erfüllung der Leistungspflicht des A zahlen wollte. Fremdtilgungswille liegt vor. Damit lag eine Drittleistung iSd § 267 vor.
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Wer dagegen ausschließlich zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten leistet, ist nicht DritteriSd § 267. So leisten beispielsweise Bürgen (vgl § 774) oder Gesamtschuldner (§ 426) ausschließlich auf ihre eigene Verbindlichkeit (und nicht etwa auf die Pflicht des Hauptschuldners bei der Bürgschaft bzw. der Pflichten der anderen Gesamtschuldner). Auch wer eine nur vermeintlich bestehende eigene Schuld tilgen möchte (Putativschuldner), ist nicht Dritter iSd § 267.[30]
In Fall 28ging D davon aus, selbst die Heckscheibe des G zerstört zu haben. Indem D dem G den Schaden ersetzt hat, wollte er erkennbar nicht die Schuld der S tilgen. Er glaubte irrtümlich, selbst zum Schadensersatz verpflichtet zu sein. Somit liegt kein Fall von § 267 vor.
bb) Keine „Schuldnerzugehörigkeit“ des Dritten (Hilfspersonen)
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Kein Dritter iSd § 267 ist, wer im Namen des Schuldners (also als Vertreter) oder als seine Hilfsperson (Erfüllungsgehilfe iSd § 278) handelt. Vertreter oder Erfüllungsgehilfen gehören bei wertender Betrachtung zum Schuldner; Leistungen solcher Personen können dem Schuldner daher ohnehin zugerechnet werden.
cc) Kein Einwilligungserfordernis des Schuldners
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§ 267 Abs. 1 S. 2 zufolge ist für die Leistungsberechtigung des Dritten keine Einwilligung des Schuldners erforderlich. Der Schuldner kann die Drittleistung also nicht verhindern. Aus der fehlenden Einwilligung allein ergibt sich auch kein Ablehnungsrecht des Gläubigers. Der Gläubiger gerät daher in Annahmeverzug (§§ 293 ff), wenn er das Drittleistungsangebot zurückweist. Das gilt nur dann nicht, wenn ihm ein Ablehnungsrecht zusteht (§ 267 Abs. 2, dazu sogleich).
dd) Ablehnungsrecht des Gläubigers bei Schuldnerwiderspruch (§ 267 Abs. 2)
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§ 267 Abs. 2 gibt dem Gläubiger ein Ablehnungsrecht, wenn der Schuldner der Drittleistung widerspricht. Verpflichtet ist der Gläubiger zur Ablehnung aber nicht (nach dem Wortlaut der Norm kannder Gläubiger die Leistung ablehnen, wenn der Schuldner widerspricht), er kann die Drittleistung vielmehr trotz des Widerspruchs auch annehmen. Nur im Zusammenspiel mit dem Gläubiger kann der Schuldner die Drittleistung also verhindern – ohne Mithilfe des Gläubigers dagegen nicht. Das Gesetz mutet dem Schuldner also zu, die „Einmischung“ des Dritten in eigene Angelegenheiten hinzunehmen, wenn sie dem Gläubiger recht ist. Wenn ein Ablehnungsrecht nach § 267 Abs. 2 vorliegt, gerät der Gläubiger durch die Ablehnung der Leistung nicht in Annahmeverzug gem. §§ 293 ff.
ee) Effektive Leistungsbewirkung (keine Erfüllungssurrogate)
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§ 267 gibt dem Dritten nur ein Recht zur effektiven Leistungsbewirkung durch Erfüllung (§ 362). Dagegen ist er nicht zur Vornahme von Erfüllungssurrogaten(wie der Aufrechnung oder der Hinterlegung) berechtigt. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 268 Abs. 2: Danach steht dem Dritten zu, den Gläubiger auch durch Hinterlegung und Aufrechnung zu befriedigen, wenn ihm ein Ablösungsrecht iSd § 268 zusteht.[31] Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ohne ein solches Ablösungsrecht keine entsprechende Berechtigung des Dritten besteht.
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