2. Leistungsort (Erfüllungsort) und Erfolgsort bei Holschuld, Bringschuld und Schickschuld
a) Holschuld, Bringschuld und Schickschuld
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Bei einer Holschuldfallen Erfolgsort und Leistungsort zusammen: Beide Orte liegen beim Schuldner, der Gläubiger muss sich die Leistung „beim Schuldner holen“. Der Schuldner muss den Leistungsgegenstand (oder die Leistung) also lediglich bereithalten und ggf. den Gläubiger benachrichtigen. Von einer Holschuld ist auch nach der Zweifelsregel des § 269 Abs. 1 auszugehen, wenn sich weder aus der Parteivereinbarung, noch aus den Umständen etwas anderes ergibt. Die Holschuld ist insofern der gesetzliche Regelfall.
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In Fall 25 Variante 3ist also mangels vertraglicher Vereinbarung gem. § 269 Abs. 1 von einer Holschuld auszugehen. B muss die Kaninchen also nur bereithalten und den A uU auffordern, sie zum vereinbarten Zeitpunkt abzuholen.
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Bei einer Bringschuldliegen Erfolgsort und Leistungsort beim Gläubiger– der Schuldner muss die Leistung eben „zum Gläubiger bringen“. Eine Bringschuld liegt etwa häufig vor, wenn ein Kaufvertrag über Möbel mit einer Montageverpflichtung des Verkäufers einhergeht: Dann ist oft vereinbart, dass der Verkäufer die Möbel zum Käufer bringt und sie gleich vor Ort montiert. Allerdings genügt nach der Auslegungsregel des § 269 Abs. 3 für die Annahme einer Bringschuld nicht, dass der Gläubiger die Transportkosten übernimmt. In diesen Fällen liegt vielmehr oft eine Schickschuld vor. Das gilt auch für den Versandhandel: Hier liegen regelmäßig keine Bringschulden vor, sondern Schickschulden.[22]
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Ein Beispiel für eine Bringschuld bietet Fall 25 Variante 1. B muss die Kaninchen also aussondern und A vorbeibringen, im Zweifel zu dessen Heimatadresse.
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Bei der Schickschuldfallen Leistungsort und Erfolgsort auseinander. Der Schuldner muss die Leistung lediglich auf den Weg zum Gläubiger bringen, sie also ordnungsgemäß verpacken und an den Gläubiger schicken. Der Leistungsort liegt in diesen Fällen beim Schuldner. Der Erfolgsort liegt dagegen beim Gläubiger, denn erst dort tritt Erfüllung ein. Wichtigstes Beispiel für eine Schickschuld ist der Versendungskauf (vgl § 447). Die Gegenleistungsgefahr (Preisgefahr) trägt beim Versendungskauf gem. § 447 Abs. 1 grundsätzlich der Käufer; anders liegt es in aller Regel beim Verbrauchsgüterkauf, weil dann § 447 Abs. 1 gem. § 475 Abs. 2 nur in einer praktisch seltenen Ausnahmekonstellation anwendbar ist. Auch Geldschulden sind Schickschulden; allerdings sind Verlust- und Verzögerungsrisiko bei Geldschulden besonders verteilt.[23]
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Fall 25 Variante 2bildet ein Beispiel für eine Schickschuld. B ist hier angehalten, die zwei Kaninchen auszusondern, tiergerecht zu verpacken und an eine geeignete Transportperson zu übergeben.
b) Vorrangigkeit der Parteivereinbarung
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Der Leistungsort wird, wenn keine zwingende Bestimmung des Leistungsorts (wie etwa für den Hinterlegungsort in § 374) vorliegt, vorrangig durch die Parteivereinbarungbestimmt. Das folgt aus dem Wortlaut des § 269 Abs. 1. Wenn Sie eine Klempnerin beauftragen, einen Wasserschaden in Ihrer Küche zu reparieren, haben Sie auch eine Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen: Er liegt in Ihrer Küche (wo auch sonst). Auch konkludenteVereinbarungen sind selbstverständlich möglich und gar nicht selten: Wenn Sie beispielsweise am Kiosk eine Flasche Mate Tee kaufen, haben Sie mit dem Verkäufer stillschweigend auch eine Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen – der soll nämlich im Kiosk liegen.[24]
c) Einzelfallumstände (insbes. „Natur des Schuldverhältnisses“)
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Der Leistungsort kann sich gem. § 269 Abs. 1 auch aus den Umständen des Einzelfalls, insbesondere aus der „Natur des Schuldverhältnisses“ergeben. Dabei kommt es auch auf die Verkehrssitte und möglicherweise vorhandene Handelsbräuche an. Beispielsweise ergibt sich bei einem Heizöl-Kauf auch ohne ausdrückliche Abrede aus der Natur des Schuldverhältnisses, dass der Leistungsort beim Käufer ist (nicht etwa beim Verkäufer, wozu ja die Zweifelsregel des § 269 Abs. 1 iVm § 269 Abs. 2 führen würde).
d) Wohnsitz des Schuldners/gewerbliche Niederlassung
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Hilfsweise– also nur, wenn sich weder aus der Parteivereinbarung, noch aus den Umständen etwas anderes ergibt – ist der Ort Leistungsort, an dem der Schuldnerseinen Wohnsitz (vgl § 7) hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses. Wenn die Schuld im Gewerbebetrieb eines Schuldners entstanden ist, tritt der Ort der Niederlassung an die Stelle des Wohnsitzes, wenn der Schuldner seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort hatte. Im Zweifel liegt also eine „Holschuld“ vor, weil der Gläubiger die Leistung beim Schuldner „einholen“ muss.
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A.A kann von B Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr 2, 323 Abs. 1, 346 Abs. 1 verlangen. Der Anspruch ist wegen des Rücktritts des A entstanden. A stand ein Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr 2, 323 Abs. 1 zu; die Fristsetzung war wegen der arglistigen Täuschung des B gem. § 323 Abs. 2 Nr 3 entbehrlich.[25] Der Anspruch besteht gem. § 348 nur Zug-um-Zug gegen Rückübereignung des Autos.
B.Rückzahlung in Detmold kann A nur verlangen, wenn Detmold Leistungsort für die Rückzahlung des Kaufpreises ist. Der Leistungsort bestimmt sich vorrangig durch Parteivereinbarungen oder anhand der sonstigen Umstände.
I.Eine Parteivereinbarung haben B und A nicht getroffen.
II.Detmold könnte aber wegen sonstiger Umstände Leistungsort sein. Das könnte sich aus der Natur des Rückgewährschuldverhältnisses (§§ 346 ff) ergeben: Die Rückgewährpflichten sind gem. § 348 Zug-um-Zug zu bewirken. Das Auto muss dabei der Verkäufer gem. § 269 beim Käufer abholen, der ja Schuldner hinsichtlich der Rückgewähr des Autos ist. Insoweit ergibt sich weder aus Vereinbarungen noch aus den Umständen anderes. B muss also ohnehin nach Detmold, um das Auto abzuholen. Nach der klaren Vorstellung des Gesetzgebers sollte der Verkäufer im Falle des Rücktritts bei Abholung der Kaufsache – also hier des Autos – zugleich auch seine Rückzahlungspflicht erfüllen. Dieses Vorgehen entspricht der Natur des Rückgewährschuldverhältnisses und ist im Übrigen auch ökonomisch sinnvoll.[26] Detmold ist damit Leistungsort für die Rückzahlung des Kaufpreises.
Ergebnis:B kann von A Rückzahlung des Kaufpreises in Detmold verlangen, freilich nur Zug-um-Zug gegen Rückübereignung des Autos.
Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen› § 6 Modalitäten der Leistungserbringung› III. Leistung durch Dritte
III. Leistung durch Dritte
Fall 27:
A schuldet B 1.000 Euro aus einem Kaufvertrag und befindet sich mit der Zahlung in Verzug. B freut sich darüber, weil er sich keine bessere „Geldanlagemöglichkeit“ als einen Schuldner in Verzug vorstellen kann. D, der Bruder des A, will die Schuld des A samt Zinsen bezahlen, weil er es hasst, wenn seine Familienmitglieder Schulden haben. Die Mutter des A informiert ihn von den Plänen des D. A will sich keinesfalls von D „aushalten“ lassen. Er ruft deshalb B an und verbietet ihm, das Geld des D anzunehmen. B kommt der „Bitte“ des A nach und lehnt die Annahme der Zahlung D gegenüber ab. Im Nachgang kommen ihm aber Zweifel, ob dies so clever war. Er fürchtet, dass er von A jetzt keine Verzugszinsen mehr verlangen kann. Zu Recht? Lösung Rn 318und 329
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