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bb)Zweites Nötigungsmittel ist die Drohung, d.h. die bedingte[48] Inaussichtstellung eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben behauptet (RG 24, 151; BayObLG JZ 51, 25). Die Vortäuschung eines vom Täter unbeeinflussbaren Übels bleibt dagegen – unbeschadet der Bewertung als Täuschung – bloße Warnung[49]; doch kann sich hinter einer angeblichen Warnung eine Drohung verstecken (RG 54, 236). Die Drohung kann sich sowohl gegen den Erklärungsempfänger als auch gegen einen Dritten wenden; eine „nahestehende Person“ wie bei § 241 (s.u. § 16 Rn. 5) ist nicht verlangt (BGH NStZ 87, 222). Doch muss auch im letzteren Falle der Erklärungsadressat das Übel als eigene Einbuße empfinden und durch dessen Ankündigung zu seinem unfreien Verhalten veranlasst worden sein[50]. Die Zufügung eines Übels kann die Drohung ihrer Fortsetzung oder Wiederholung enthalten (OLG Hamm NJW 83, 1505; OLG Koblenz NJW 93, 1808; s.o. Rn. 23).
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Hinsichtlich des Drohungsinhaltssteht die Nötigung der Erpressung gleich: hier wie dort ist darauf verzichtet, im Gegensatz zu § 241 (Bedrohung mit einem Verbrechen) und im Gegensatz zu § 240 a.F. (Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen), das Maß der Drohung zu formalisieren; es genügt die Drohung mit einem „ empfindlichen Übel“.
Wann mit einem empfindlichen Übel gedroht wird, ist Frage des Einzelfalles. Im Schrifttum bahnt sich ein ähnlicher Individualisierungsweg an, wie bezüglich der Schadensberechnung beim Betruge seit Längerem anerkannt. Der objektive Maßstab (erhebliche Werteinbuße, deren Inrechnungstellung einen besonnenen Menschen zu dem von der Drohung erstrebten Verhalten veranlassen könnte[51]) ist für sich allein formalistisch und vernachlässigt das Wesen der Nötigung als heterogene Koppelung ( Schroeder JZ 83, 287), der rein individualistische Maßstab[52] führt in der Konsequenz zu der gleichen Überspitzung wie beim Betruge: genötigt ist, wer sich genötigt fühlt. Der BGH bestimmt den Maßstab seit Längerem normativ : von dem Opfer muss unter Umständen erwartet werden, dass es in seiner Lage der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält[53]. Maßgeblich ist das Verhältniszwischen angedrohtem und gefordertem Verhalten. Das Übel darf nicht nur – wie bei der Sitzblockade – in der Durchsetzung des erstrebten Opferverhaltens bestehen ( Schroeder GS Meurer 241).
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Die Frage, ob das angedrohte Übel empfindlich ist, muss nicht nur von der Strafbarkeit des angekündigten Übels, sondern auch von seiner bloßen Rechtswidrigkeit abgeschichtet werden. Auch die Zufügung eines solchen Übels, das der Betroffene an sich zu dulden verpflichtet ist, schließt dessen „Empfindlichkeit“ nicht aus. Drohungen mit an sich erlaubten Druckmitteln wie mit Arbeitsniederlegung, Abbruch der Beziehungen, Erstattung begründeter Strafanzeigen, Veröffentlichung wahrheitsgemäßer Pressemitteilungen (OLG Hamm NJW 57, 1081) usw. können in concreto durchaus die Annahme eines empfindlichen Übels rechtfertigen[54]. Ein Verhalten, zu dem jemand rechtlich verpflichtet ist (z.B. Strafverfolgung nach § 152 StPO), kann allerdings nicht „angedroht“ werden; es handelt sich um ein verschleiertes Angebot einer Unterlassung und damit eines Vorteils ( Schroeder JZ 83, 288). Die Frage, wann ein Übel „empfindlich“ ist, lässt sich im Übrigen nie ganz von dem Unrechtsgehalt der Handlung als Ganzem, nämlich der anstößigen Verkoppelung von Mittel und Zweck, lösen (vgl. u. 3).
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Lebhaft umstritten ist es, ob die Drohung mit einem Unterlassennur strafbar sein kann, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht[55], oder auch darüber hinaus[56]. Hierbei wird jedoch häufig das Angebot von Vorteilenunzulässig in die Drohung mit einem Unterlassen der Gewährung des Vorteils umgedeutet. Ein Drohen mit einem Unterlassen liegt nur dann vor, wenn der Täter droht, die Lage des Opfers zu verschlechtern, indem er mit einem Abbruch eines bisher geübten Verhaltens droht oder überraschende Zusatzleistungen (BGH NJW 93, 1807; BGH 44, 252[57]) oder Gegenleistungen für ein rechtlich gebotenes Verhalten (z.B. Hilfe bei Unglücksfällen, vgl. § 323c StGB, Einstellung des Strafverfahrens nach §§ 153, 153a StPO, OLG Oldenburg NJW 08, 3012) verlangt; umgekehrt ist allerdings das „Angebot“, ein im Belieben stehendes Verhalten zu unterlassen (z.B. Strafanzeige), in Wahrheit die Drohung mit einem Tun[58]. Die Versuche zur Umdeutung „eindeutiger Angebote“ in Drohungen beruhen vor allem auf einer Fehlkonstruktion des § 174b (s.u. § 19 Rn. 4).
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c)Zwischen den Nötigungsmitteln und dem Erfolg (abgenötigte Handlung, Duldung oder Unterlassung) muss ein Kausalzusammenhangbestehen. Dieser fehlt, wenn das Opfer die Handlung ohnehin vorgenommen oder unterlassen hätte. Er fehlt auch, wenn das Opfer die Handlung in der sicheren Erwartung der Irrelevanz des abgenötigten Verhaltens nur zur Bestrafung des Täters vornimmt oder unterlässt[59]. Die h.M. verlangt darüber hinaus einen unmittelbaren, spezifischen Zusammenhang, eine objektive Zurechenbarkeitdahingehend, dass sich in dem Opferverhalten das durch den Zwang geschaffene Risiko realisiert ( Eser S/S 14), doch wird er vom BGH schon bei einem mittelbaren Erfolg (BGH 41, 182, „2. Reihe-Rechtsprechung“, s.o. Rn. 17), ja bei einem vorsorglichen Anhalten bejaht.
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d)Die bloße Summierung der bisher erörterten Tatbestandsmerkmale vermag aber noch nicht jeder Handlung, die diese Tatbestandsmerkmale an sich aufweist, den Unrechtsgehaltder Nötigung zu verleihen. Es gibt im sozialen Leben kaum ein Verhalten, das sich nicht unter dem mehr oder weniger scharf determinierenden Einfluss darauf ggf. positiv oder negativ reagierenden Mitmenschen vollzieht (s.o. § 12 Rn. 14). Es muss also, um das strafwürdige Tatbild der Nötigung hervortreten zu lassen, eine Abscheidung vorgenommen werden zwischen den Handlungen, bei denen die Abnötigung eines bestimmten Verhaltens infolge ihrer sozialen Üblichkeit, ja Unentbehrlichkeit sich innerhalb der Grenzen des Erlaubten oder sogar Gebotenen bewegt, und denjenigen Handlungen, die diese Grenze überschreiten. Nur die Letzteren sind als Nötigung strafwürdig. Gesetzestechnisch ergeben sich für den Ausscheidungsprozess zwei Möglichkeiten.
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Die erste war in der alten Fassungdes § 240 verwirklicht und bestand in der strikten Innehaltung des Regel-Ausnahme-Verfahrens bei der Ausscheidung rechtmäßiger Fälle aus dem Tatbestand: es musste zuerst der („geschlossene“) Tatbestand festgestellt und hierauf durch Ermittlung etwaiger Rechtfertigungsgründe die Gegenindizierung gewonnen werden. Dieses Verfahren, sonst zuverlässig, bot gerade bei der Nötigung erhebliche Schwierigkeiten, zwang auch zur Beschreitung vermeidbarer Umwege. Der Tatbestand musste zwangsläufig weit gefasst sein, wodurch sein Wert als Indiz der Strafwürdigkeit von vornherein verringert wurde. Auf der anderen Seite war der Katalog der zur Verfügung stehenden Rechtfertigungsgründe unzureichend. Die Folge war, dass entweder eine befriedigende Ausscheidung der rechtmäßigen Zwangshandlungen nicht immer durchgeführt werden konnte, oder dass man – an sich contra legem – die die Nötigung begründenden Mittel zu begrenzen suchte ( Frank IV).
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Die zweite Möglichkeit ist von der heute geltenden Fassungdes § 240 gewählt worden. Sie besteht darin, dass ein „offener“, als solcher nicht unrechtsindizierender Tatbestand gebildet wird (Abs. 1), der durch eine positive Feststellung der Verwerflichkeit „geschlossen“ werden muss. Damit ist für § 240 n.F. die schon häufig aufgestellte Forderung berücksichtigt, nur ein solches Verhalten als „tatbestandsmäßig“ zu erklären, das nicht „sozialadäquat“ ist, d.h. aus dem Rahmen sozial anerkannten oder gebotenen Handelns herausfällt. Ob die Lehre von der sozialen Adäquanz grundsätzlich berechtigt ist, ob sie praktikabler und mit größerer Rechtssicherheit ausgestattet ist als das bei den meisten Delikten angewandte Regel-Ausnahme-Verfahren, soll hier nicht untersucht werden. Dass es aber Deliktstypen gibt, bei denen sie mit Erfolg durchgeführt werden kann, ist unbestreitbar, und hierzu gehören in erster Linie Nötigung und Erpressung, bei denen der Gesetzgeber diese positive Prüfung der Sozialadäquanz angeordnet hat[60].
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