Der psychiatrisch orientierten Kunsttherapie geht es noch ausdrücklicher als den psychosomatischen Verfahren um die Formen misslingender sozialer Alltagsgeschichten angesichts einer erschütterten und gefährdeten Ich-Instanz. Wo die sozialen Beziehungen nur noch verwirrend und gewaltförmig erlebt werden, da sucht diese Art der Kunsttherapie Beziehung wieder fassbar zu machen, zu gestalten. Ausgangspunkt der Therapie ist das leidvolle dissoziative und identitätsgestörte Erleben des Patienten. In der Folge wird die strukturierte Beziehung, die den Therapeuten und den Patienten durch das Medium der Kunst hindurch miteinander verbindet, zur Basis für eine therapeutisch dokumentierte Relation. Das Setting soll Verhaltensformen so reproduzieren, dass ihr therapeutisches Produkt sinnlich angeschaut und bildnerisch gestaltet werden kann, damit es als das Eigene verinnerlicht werden kann. In der Psychiatrie wird die kunsttherapeutische Methode zunehmend als Gruppenpraxis angewandt. Hierbei zeigt sich, dass die psychiatrische Kunsttherapie die Zeit- und Raumbestimmungen des Alltags, die alltäglichen Wahrnehmungen und Erlebnisse, die im Zuge der Verwirrungen psychotischer Schübe aus der Fasson geraten sind, rekonstituieren kann. Hierin ist die psychiatrische Kunsttherapie den neueren Therapien verwandt: Sie will wie die Verhaltenstherapie mit dem Patienten ein adäquates Verständnis für dessen Vulnerabilität und Stressfaktoren herstellen; sie will wie die Systemische Therapie mit dem Patienten dessen erstarrte Denk- und Handlungsmuster rekontextualisieren, beispielsweise „resonanzbildhaft“ (Schmeer 2006) anschaubar machen; sie will wie das Psychodrama und die Klinische Bewegungstherapie angesichts der verunklarten Ich-, Körper- und Rollenfunktionen mit dem Patienten ein neues Selbstgefühl, eine neue Definition von sich selbst konstruieren, die bildhaft verfügbar ist.
Wenn wir versuchen, eine zusammenfassende Beschreibung derzeitiger kunsttherapeutischer Tätigkeit zu geben, kommen wir zu folgendem Fazit: Die klinisch-neurologische, die psychosomatische und die psychiatrische Kunsttherapie haben sich weitestgehend in einem Bereich des Gesundheitswesen angesiedelt, den wir allgemein den Rehabilitationsbereich nennen. Im sozialrechtlichen Sinne sind die ambulanten wie klinisch-stationären Fördermaßnahmen in der Sozialen Vorsorge der Kranken- und Rentenversicherungskassen wie in der rehabilitativ orientierten Sozialhilfe verortet; diese Maßnahmen sind rechtlich im Sozialgesetzbuch (SGB) grundgelegt.
Angesichts eines Psychotherapeutengesetzes, das den Kunsttherapeuten als eigenständigen Berufsstand nicht in den Bereich der psychotherapeutischen Versorgung einbezieht, haben die künstlerischen Therapieformen schwerpunktmäßig also ihren Ort in den Feldern der sozialen Wiedereingliederungs- und Rehabilitationshilfe. Da deren Maßnahmen nicht unwesentlich mit den psychosomatisch-psychotherapeutischen und neurologischen einhergehen, finden wir KunsttherapeutInnen zunehmend in dem Feld der psychosomatischen, psychotherapeutischen und neurologischen Medizin und deren rehabilitativen Einrichtungen – was einer hohen Wertschätzung des Berufsstandes seitens der im klinischen Bereich Verantwortlichen entspricht. Explizit werden neuerdings Kunsttherapeuten für die stationäre Versorgung der Psychotherapeutischen Medizin vorgeschlagen, und es wird konstatiert, dass die „psychotherapeutischen Ansätze . . . verbale und nonverbale (körperbezogene Therapie, Musik- und Kreativtherapie) Methoden“ umfassen (Sozialministerium Baden-Württemberg 1998b, 32).
Explizit hat die Expertenkommission der „Deutschen Rentenversicherung Bund“ in der KTL 2006 (Klassifikation Therapeutischer Leistungen), verordnet allen Rehabilitationseinrichtungen, den Kunsttherapeuten / -innen mit den Berufsgruppen der Klinischen Psychologen und Neurologen eigene Leistungs- und Abrechnungsziffern zugewiesen (F 15, F 16), sie sogar im Delegationsverfahren bei psychotherapeutischen Verfahren zugelassen (G 04). (Deutsche Rentenversicherung Bund 2006)
Das Psychotherapeutengesetz bedeutet also für die kunsttherapeutisch Tätigen nicht, dass sie auf ihr psychotherapeutisches Know-how verzichten müssen. Nach wie vor arbeiten sie u. a. damit, innerpsychische Einstellungen und sich ausdrückende Verhaltensmuster in der bildnerischen Formgebung und Dynamik eines ästhetischen Mediums zu spiegeln und die sich dabei abbildenden Lebensverhältnisse bearbeitbar und neu zentrierbar zu machen, so dass sich neue Lebensperspektiven bieten.
Die künstlerischen Therapien wollen rehabilitieren und wiedereingliedern. Sie wollen die Ausdrucksformen eines gehemmten, gestörten soziokulturellen Austauschs wieder sozial zugänglich machen. Mit bildnerischen, mit abbildenden Mitteln suchen sie die behinderten, die gestörten, die krank gewordenen Äußerungen aus den Einbahnstraßen des Lebens herauszuführen.
TEIL II
METHODEN DER KUNSTTHERAPIE
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