»Da ist Käse drauf, ist das okay?«, fragt er.
Nach zwei Stunden habe ich kapiert, wie die Methode funktioniert. Wir machen mehrere Kommunikationsversuche, um sicher zu sein, dass ich es auch wirklich verstanden habe. Aber ich brauche keinen Tag länger zu bleiben. Enrique und Logan gratulieren mir zu meiner schnellen Auffassungsgabe. Dann lädt sich Logan den riesigen Rucksack mit den Geräten auf die Schulter und geht. Enrique fragt, wann mein Zug nach Mailand fährt. Ich schaue auf die Uhr, und obwohl ich noch fast drei Stunden Zeit habe, sage ich, dass ich sofort aufbrechen werde, wenn er gegangen ist. Mehr nicht. Und so verabschiedet sich auch Enrique und verlässt das Zimmer.
Um die Wahrheit zu sagen, habe ich vor der Abfahrt meines Zuges noch etwas zu tun. Ich gehe ins Tourismusbüro. Eine Gruppe von Jugendlichen, beladen mit jeder Menge Gepäck, verhindert, dass ich mit einem Blick sehe, ob Lena da ist. Obwohl ich weiß, dass sie mich halblaut beschimpfen werden, gehe ich an der Schlange vorbei nach vorn. Das missbilligende Gemurmel über mein Verhalten weckt die Aufmerksamkeit eines Angestellten hinter dem Schalter. Und noch bevor ich ihn sehe, steht er auf, richtet den Zeigefinger auf mich und weist mich an, mich wieder in die Schlange zu stellen.
Mit gesenktem Blick trete ich den Rückzug an. Ich habe keinen Grund, länger zu bleiben. Lena ist heute nicht im Dienst. Aber ich möchte nicht gehen, ohne sie wiederzusehen. Und obwohl die Wahrscheinlichkeit nicht besonders groß ist, beschließe ich, die Straßen im Umkreis des Hotels abzulaufen. Und stehe unversehens vor dem historischen Bogengang in der Maria-Theresien-Straße Nummer 38. Ich passiere ihn, durchquere den Hof und öffne langsam die gläserne Eingangstür zum Café im Hof. Der Duft von Zimt und frischem Brot steigt mir in die Nase. Bevor ich etwas bestelle, werfe ich einen Blick auf die Kuchen in der Vitrine. Ich schwanke zwischen dem köstlichen Apfelstrudel und einem Stück Sachertorte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt das Mädchen an der Kasse.
»Ja, danke. Ich möchte …« Ich deute auf den Apfelstrudel. Ein Lachen von jenseits der Wand, die den Gästeraum abtrennt, lenkt mich ab. Ein unverwechselbares Lachen. Ich entferne mich von der Theke, während ich weiter auf den Apfelstrudel deute. Eine unwillkürliche, schwungvolle Bewegung. Und als ich Lena am selben Tisch, an dem ich am Abend zuvor mit ihr saß, jetzt mit Enrique sitzen sehe, halte ich instinktiv inne. Die beiden sehen mich nicht.
Ich mache kehrt. Ich werfe dem Mädchen an der Kasse einen entschuldigenden Blick zu und gehe. Mir ist bewusst, dass ich weglaufe. Als hätte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht sofort zum Bahnhof gegangen bin, wie ich es Enrique gesagt hatte. Erst als der Zug die Grenze nach Italien überquert hat, scheint mein Gehirn wieder zu funktionieren. Vielleicht weil es spürt, dass ich auf italienischem Boden nicht mit neuen gefährlichen Situationen konfrontiert bin. Der Wunsch, Lena wiederzusehen, hätte mich fast dazu verleitet, die beiden zu begrüßen, ihre Reaktion zu beobachten und Enrique klarzumachen, dass ich alles durchschaut habe und kein Dummkopf bin. Aber das wäre ein schwerer Fehler gewesen. Ich sage mir, dass ich das Richtige getan habe. Im Besitz einer Information zu sein, die andere geheim halten, gibt dir eine Waffe in die Hand, die dir immense Vorteile verschaffen kann. Ich lächle in die Dunkelheit vor dem Fenster, als ich merke, dass ich anfange zu denken wie sie .
Zu Hause steht das Essen schon bereit.
*Erst mit der Reform 1981 wurde die italienische Polizei entmilitarisiert und erhielt ihren zivilen Status zurück, den sie im Faschismus verloren hatte. (A.d.Ü.)
EIN KOFFER FÜR DEN ABGEORDNETEN
Ich sperre die Tür auf. Kontrolliere das Protokoll der Alarmanlage auf dem Gerät an der Wand und vergewissere mich, dass niemand in die Wohnung eingedrungen ist. Dann schalte ich den Videorekorder ein.
Handgriffe, die ich inzwischen ganz mechanisch ausführe. Ich habe einen lautlosen Alarm installiert. Ohne Sirene. Mir genügt es zu wissen, ob jemand durch die Wohnungstür oder die Fenster eingedrungen ist oder es versucht hat. Die Sensoren sind hinter den Bilderrahmen und im Blumentopf am Eingang versteckt. Werden sie aktiviert, filmen vier Minikameras den Eindringling, sodass ich Gegenmaßnahmen ergreifen kann.
Ich strecke mich auf dem Sofa aus, während Musik das Wohnzimmer erfüllt. Diana und die Kleine sind in den Ferien. Die moderne Technik ist mir eine große Hilfe. Ich habe den Videorekorder mit dem Musikkanal MTV synchronisiert, der in Italien von einem Privatsender übertragen wird. Und ich habe den Zeitraum eingestellt, der mich interessiert. Ich nehme nur von Uhrzeit x bis Uhrzeit y auf.
Was für eine grandiose Methode. Auf diese Weise kommunizieren wir schon seit ein paar Monaten. Die Zuschauer können jemandem einen Song widmen, Freunde grüßen oder eine Liebeserklärung machen, und MTV übermittelt die Nachricht als Text unter dem Videoclip. Wenn ich nach Hause komme, spule ich das Band zurück und schaue mir die Aufnahme an. Wenn es eine neue Nachricht für mich gibt, habe ich sie in wenigen Minuten gefunden.
Ich lese die Sätze, die über den Bildschirm laufen. Ein Song folgt auf den anderen. Ich muss auf Nachrichten achten, die mit einem Tiernamen und einem Datum beginnen und enden. Jedem Tier entspricht eine ganz bestimmte Stadt. Falke ist Florenz, Rabe ist Rom. Die Adresse ist stets dieselbe und war von Anfang an festgelegt. Das tatsächliche Datum des Treffens jedoch verschiebt sich gegenüber dem im Fernsehen angezeigten um eine Woche. Die Uhrzeit bleibt gleich. Eine einfache und sichere Methode. Keine Telefonate. Keine Gefahr, abgehört zu werden.
Auch für dringende Treffen gibt es ein Verfahren. Wenn wir uns kurzfristig treffen müssen, befestigen sie ein schwarzes Klebeband am Laternenpfahl an der Ecke meiner Straße. Um sie wissen zu lassen, dass ich es entdeckt habe, muss ich es herunterreißen und auf den Abfalleimer am selben Laternenpfahl kleben. Von dem Moment an habe ich zwölf Stunden Zeit, um in dem privaten Anzeigenblatt Secondamano , Aus zweiter Hand, eine Verkaufsanzeige für eine kaputte Waschmaschine aufzugeben, in der ich Ort, Tag und Uhrzeit der Abholung nenne. Meinen Controller treffe ich dann drei Tage und drei Stunden später als zu dem in der Anzeige genannten Datum.
Und bei einem solchen über MTV festgesetzten Treffen erhalte ich meinen ersten richtigen Auftrag. Am Tag der Operation stehe ich im Morgengrauen auf. Ich gehe unter die Dusche, wenn das Bad schon voller Dampf ist. Das heiße Wasser rinnt über meinen Körper. Ich schließe die Augen und bleibe zehn Minuten. Das mache ich immer, wenn ich mich entspannen und nachdenken will. Ich kleide mich gepflegt. Weißes Hemd. Blauer Nadelstreifenanzug. Klassische Krawatte mit weißen und blauen Streifen. Ich schnüre die schwarzen, in der Schweiz handgefertigten Schuhe der Marke Bally, Modell Flabber, zu. Inzwischen kann ich mir schöne Dinge gönnen. Mit dem Föhn erwärme ich ein paar Sekunden die ghanaische Sheabutter, die meine gebräunte Gesichtshaut glatt und glänzend macht. Der Duft von Morris, meinem Lieblingsparfüm, legt sich auf jede Faser meines Anzugs. Ich rufe in der Taxizentrale an.
»Zehn Minuten, Pisa 49«, sagt die Vermittlerin.
Ich öffne das Etui mit dem Geschenk, das ich mir mit dem ersten Geld von der Agency selbst gemacht habe: eine Rolex Cellini Date. Ich lege sie voller Stolz an. Ich überprüfe, ob die beiden Steckdosen mit der Zeitschaltuhr richtig eingestellt sind, um abwechselnd den Fernseher und die Stehlampe ein- und auszuschalten. Auf diese Weise sieht es aus, als wäre jemand zu Hause. Ich ziehe die Rollläden hoch. Mache die Vorhänge zu. Dann verlasse ich das Haus.
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