Leo Frank-Maier
SAGA Egmont
Der programmierte Agent
Copyright © 1979 by F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Copyright 2017 Leo Frank-Maier og Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711518601
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Einer sagte: »Was gehen uns die Scheißjuden an?«
Ein anderer sagte: »Ja ja, der Adolf, der hat schon gewußt, warum.«
Und er trank einen kräftigen Schluck aus dem Bierglas.
Einer sagte gar nichts und sah der Kellnerin auf den Hintern.
Die Kellnerin sagte: »Hört’s auf mit dem blöden Politisieren, singt’s lieber was.«
Und sie sangen das Lied von den Blauen Dragonern.
Die reiten und reiten.
Und reiten …
Der kleine Mc Caulley war also doch tot, sie hatten ihn tatsächlich umgebracht.
Colonel Thornton legte bekümmert den Bericht auf seinen Schreibtisch. Irgendwie hatte er doch gehofft, es würde sich alles als harmlos aufklären. Mc Caulley war ein junger und eigensinniger Schnösel gewesen, einer von diesen Nachkriegsleuten, die alles besser wußten. Colonel Thornton hatte ihn nie recht gemocht. Jetzt war er tot.
Der Colonel seufzte. Er ging zu seinem Safe und öffnete ihn umständlich. Zwischen Aktenordnern mit der roten Aufschrift »Secret« und »Top Secret« lag ein Blechschächtelchen. Der Colonel entnahm daraus zwei kleine Pillen und schluckte sie. Dann verschloß er den Safe wieder. Colonel Thornton war jetzt über fünfundfünfzig, und ohne diese Pillen wurde er schnell müde. Und heute stand ihm noch allerhand bevor. Peinlich, diese Geschichte mit Mc Caulley.
Ausgerechnet heute mußte dieser Bericht eintreffen. Im Club gab der General eine Party anläßlich seines 59. Geburtstages. Sicher würde auch der Minister kommen. Und irgendwann mußte doch der General einmal über seine Nachfolge sprechen. Mit sechzig mußte er doch in Pension.
Colonel Thornton graute, wenn er an seine eigene Pensionierung dachte. Und womöglich als Colonel. Er, Patrick B. Thornton, der beste Taktiker im Generalstabskurs, im Range eines Colonels in Pension. Eine Schande. Aber wenn er es jetzt nicht schaffte, war es vorbei.
Er blätterte wieder in dem Bericht. Sein Gedächtnis ließ nach, ärgerlich. Wie lange war Caulley überfällig, er hatte es doch schon gelesen. Aha, sieben Wochen. Unangenehm. Sieben Wochen, und er hatte nichts unternommen. Was hätte er schon unternehmen sollen? Sicher würden sie etwas finden, was er hätte anordnen sollen. Der General, und Colonel Foster vor allem. Damned , hinterher war immer leicht reden. Er hatte gehofft, die Sache würde sich als harmlos herausstellen. Kam ja öfter vor, daß sich ein Agent längere Zeit nicht meldet. Mc Caulley hätte ja einen Unfall haben können oder Schwierigkeiten mit einer Zollbehörde oder Polizei. Der Krieg war schließlich lange vorbei und man dachte doch nicht gleich an das Schlimmste.
»Lächerlich«, sagte der Colonel, aber es klang sorgenvoll. Diese Krauts , diese deutschen Barbaren! Einen Gegenagenten einfach umzulegen, mitten im Frieden. Es war der dritte Fall in den letzten zwei Jahren. Diese Hunnen. Der Colonel war jetzt wirklich böse. Womöglich scheiterte seine Beförderung an diesem Fall. Der Minister mochte solche Dinge nicht. Wenn die Presse davon erfuhr, war er geliefert.
Nun, die Presse würde wohl nichts erfahren. Der Colonel beruhigte sich wieder ein wenig.
Diese alten Nazis mit ihren Gestapomethoden. Man hätte sie nach dem Krieg eben ganz aus dem Verkehr ziehen müssen. Aber nein, da hatten die alliierten Dienste die SD-Leute angeworben, als ob man nicht ohne sie ausgekommen wäre. Die Amis hatten begonnen damit. Diese blöden Amis. Der Colonel war schon immer dagegen gewesen.
Aber auf ihn hörte damals ja keiner.
Er mußte nun etwas unternehmen. Aber was? Früher hatte er oft brillante Ideen gehabt. Schließlich war er nicht umsonst Abteilungsleiter im MI 5 geworden. Und eigentlich müßte er schon lange Chef der Europasektion sein. Wenn nur der General endlich in Pension ginge. Colonel Thornton ging zum Fenster. Er beobachtete gerne den Straßenverkehr, das beruhigte ihn. Die Hampton Street war ziemlich belebt, die Menschen gingen ohne Mäntel und Hüte, es war warm für diese Jahreszeit. Der Colonel hatte plötzlich Lust, in einem Park spazierenzugehen. Sonnige Tage waren selten in London. Aber daran war ja jetzt nicht zu denken, dafür hatte er als Pensionist noch Zeit genug. Was war zu tun?
Eigentlich war die Sache gar nicht so schlimm. Mc Caulley war schließlich nicht im Offiziersrang und nicht einmal pragmatisiert, nur im Vertragsverhältnis. Die geeignete Verständigung seiner Angehörigen war Sache der Personalabteilung. Das ging ihn nichts an.
Colonel Patrick B. Thornton war ein eckiger grauer Mann, dem die Kinder aus dem Wege gingen. Er trug einen grauen Flanellanzug, und wahrscheinlich waren auch alle seine Krawatten grau oder graugestreift, ähnlich seinem Gesicht. Seine Zivilkleidung war ein bitterer Protest gegen die Tatsache, daß im militärischen Nachrichtendienst Ihrer Majestät die Uniform verpönt war. Zumindest im Frieden und im täglichen Bürodienst. Natürlich nicht bei Festveranstaltungen oder Parties, aber solche Gelegenheiten waren ja selten genug.
Es war Zeit für den Tee.
Bevor er die Sprechanlage betätigte, räusperte er sich. Er wollte eine verständliche Stimme haben. Es war lächerlich, er sprach nur drei Worte: »Tee, wie üblich«. Er hätte ebensogut »Blabldibrablditi« sagen können, Miss Rosalie Fletcher würde in fünfundzwanzig Sekunden den Tee bringen. Er hatte es ausgezählt, langsam bis fünfundzwanzig gezählt, so lange dauerte es, bis Miss Rosalie Fletcher mit dem Tee angetanzt kam. Natürlich war Miss Rosalie Fletcher seine Sekretärin. Seit acht Jahren.
Sie stellte das Tablett auf seinen Schreibtisch, wie üblich, und er sah ihr nach, wie sie wieder zur Tür ging, wie üblich.
Und wie immer hatte er den Wunsch, ihr den zu kurzen Rock hochzuheben und sie in den Hintern zu kneifen. Das ging schon acht Jahre so.
Selbstverständlich hätte Colonel Patrick B. Thornton eher unter einer roten Fahne im Hyde Park Mao Tse Tung zitiert, als mit Worten oder Taten dem prallen Hinterteil seiner Sekretärin näher zu treten. Schließlich war er ihr Vorgesetzter.
Als sie bei der Türe war, sagte er: »Äh?«
Sie drehte sich um.
Sie sah von vorne bei weitem nicht so sexy aus, wie ihre Rückseite vermuten ließ. Es war ihr Gesicht, das zu ihrer Rückenfront im Widerspruch stand und Ähnlichkeit mit einem Postkasten oder einem herabgelassenen Rollbalken hatte.
»Ich bitte die Herren Referenten für 17.30 Uhr in den Konferenzraum«, sagte der Colonel.
»Yes Sir, 17.30 conference room«, wiederholte der Postkasten. Die Tür öffnete und schloß sich fast geräuschlos. Er war wieder allein. Mit seinem Tee und zwei trockenen Cakes .
Er würde vorerst einmal seine Mitarbeiter referieren lassen, zum Thema Mc Caulley. Vielleicht hatte einer eine vernünftige Idee. Zur Abwechslung. Verdammt einfallsloser Verein, seine Operationsabteilung. Beamtete Sesselkleber, die alles nach Schema erledigten. Der Colonel verachtete sie. Sie würden berichten und reden und Vorschläge machen und wieder reden und dann auf seine Weisung warten. Und wenn eine Gegenoperation gut verlief, sprachen sie von Teamwork. Ging etwas schief, hatte der Colonel den Rotz am Ärmel.
Im Falle Mc Caulley war so ziemlich alles schief gegangen. Der Colonel seufzte wieder und trank den letzten Schluck Tee. Dann schob er das Tablett angewidert von sich.
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