„Nun bist du aber schön lieb und wartest geduldig, bis wir zurückkommen. Versprochen?“
Lily nickte schelmisch, hüpfte vom Stroh und trollte sich in den Garten.
„Nun aber schnell weg, bevor sie vielleicht mit einem toten Regenwurm zurückkommt und von uns die Todesursache wissen will“, sagte Philip grinsend.
Flugs machten sich die Männer auf den Weg. Als sie sich auf freiem Felde befanden, sagte Daniel zu Philip:
„Morgen Mittag sollen zusätzliche Steuergelder in Huntington eingetrieben werden.“
„Warst du heute Nacht im Schloss? Wir haben dich gar nicht aus dem Haus gehen gehört.“
„Ja. Das Dorf ist recht klein. Eine Handvoll Männer sollte reichen.“
Nach einer kurzen Pause sagte Philip ernst:
„Bist du sicher, dass die nicht mit einer ganzen Horde bewaffneter Soldaten anrücken?“ „Absolut. Man erwartet keine Gegenwehr.“
„Danke. Ich werde es heute Nacht weitergeben und gezielte Gegenmaßnahmen einleiten“, sagte Philip kühl. Damit war das Gespräch beendet, denn sie kamen nun in eine leicht bewaldete Gegend, wo es hinter jedem Baum und Strauch Zuhörer geben könnte.
„Was machen wir, wenn der Holzlieferant wieder kein Ahorn vorrätig hat, selbst fällen?“
„Ich hoffe, er hat. Wenn wir beim Schwarzfällen erwischt werden, dann gnade uns Gott!“
Daniel erwiderte skeptisch:
„Na, ob der uns helfen kann, bezweifle ich. Der Auftrag für das Nähschränkchen muss in zwei Wochen raus. Uns wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als im Notfall selbst zu fällen oder du zahlst eine satte Vertragsstrafe.“
Abrupt brachte Daniel sein Pferd zum Stehen.
„Was ist?“, fragte Philip leise, während auch er in die Zügel seines Pferdes griff.
„Ich habe etwas gehört“, antwortete Daniel lauschend.
„Lass uns nachsehen.“
Lauernd glitten sie von den glatten Pferderücken. Im Schutz von Buschwerk und Gestrüpp schlichen sie lautlos in die Richtung, aus welcher sie die entfernten Geräusche zu hören glaubten. Metall schlug auf Metall, eine Frau keuchte wütend und schroffe Männerstimmen störten die Ruhe zwischen Vogelgezwitscher und Grillenzirpen.
Plötzlich zog Philip seinen Freund hinter ein niedriges Nadelgehölz und zeigte wortlos mit einer Kopfbewegung nach rechts.
Drei grobschlächtig aussehende Männer bedrängten zwei junge Reiterinnen, die ihrer Reitkleidung zur Folge aus gutem Hause zu kommen schienen. Was sie von den Mädchen wollten, war durch ihre anmaßende, obszöne Wortwahl klar ersichtlich. Die Hübschere der Mädchen war bis an die Zähne bewaffnet. Sie schlug sich stolz, energisch und effektiv. Sie schien keinerlei Probleme zu haben, sich die dreisten, gierig sabbernden Kerle vom Hals zu halten. Die etwas Kleinere und Zierlichere der beiden, war weniger gut im Fechten gewandt und drohte ihrem Angreifer zu unterliegen. Hilfesuchend rief sie nach dem anderen Mädchen, als sie mehr und mehr in die Enge getrieben wurde. Diese reagierte blitzschnell. Mit einem gekonnten Hieb entwaffnete sie ihren Gegner. Ihm blieb keine Zeit, den ihm entrissenen Degen wieder an sich zu bringen. Blitzschnell hatte sie die Pistole aus dem Gürtel ihrer Reithose gezogen und ihren Gegner erschossen. Ein zweiter Schuss fiel.
Der Getroffene kippte mit weit aufgerissenen Augen nach vorn.
„Lauf zum Pferd und verschwinde Lizzy!“ Die Angesprochene zögerte einen Moment. Das zur Hilfe geeilte Mädchen stellte den feist grinsenden Kerl und bot ihm gebührend Paroli, während die mit „Lizzy“ angesprochene Frau auf ihr Pferd sprang und wie von Sinnen vor Angst davonjagte.
Daniel sah, dass sie durch ihre panische Handlungsweise die Kontrolle über das Tier verloren hatte und blindlings durchs Gebüsch und an Bäumen vorbeiraste.
Das Drama hatte sich innerhalb weniger Minuten zugetragen, sodass die Männer nach kurzer Sondierung der Sachlage keine Zeit gefunden hatten, in das Geschehen hilfreich eingreifen zu können.
Doch nun war Reaktion gefragt. Philip schnellte aus dem Buschwerk, um dem wild, aber kontrolliert kämpfenden Mädchen Beistand leisten zu können, während Daniel zurück zu seinem Pferd rannte und dem anderen Mädchen beritten hinterherjagte.
Daniel war noch nicht weit gekommen, als er eine grazile Frauengestalt bewegungslos unter einer weit ausladenden Kastanie liegen sah.
Wachsam um sich blickend näherte er sich dem hilflosen Mädchen. Auf ihrer Stirn prangte eine riesige, hellblau angelaufene Beule. Gekonnt tastete er nach ihrem Pulsschlag. Sie lebte. Vorsichtig hob er ihren Kopf an. Gequält öffnete sie die Augen.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er ruhig.
„Keine Angst, ich tue dir nichts“, fügte er hinzu, als er sah, dass sie angsterfüllt die Augen aufriss.
„Mir ist übel und mein Kopf …“, weiter kam sie nicht, da sie sich furchtbar erbrechen musste.
Daniel legte beruhigend seine warme Hand auf ihre von kaltem Schweiß bedeckte Stirn.
Suchend sah er sich nach Philip um.
Als Philip kurze Zeit später das stöhnende Mädchen im Gras liegen sah, den Kopf durch Daniels Hand gestützt, meinte er stirnrunzelnd:
„Aua, der geht’s aber gar nicht gut!“
„Wir werden sie wohl mitnehmen müssen. Siehst du irgendwo ihr Pferd?“ Philip blickte in alle Richtungen.
„Der Gaul grast da hinten gemütlich. Ich hole mal das liebe Tierchen.“
Rasch kehrte er mit dem Pferd zurück. Das benommene Mädchen wurde zu Daniel auf das Pferd gehoben.
„Was ist mit der anderen?“, fragte Daniel seinen Freund.
„Die ist noch mit einem der Angreifer beschäftigt. Mich hat sie angepöbelt und gesagt, ich soll machen, dass ich wegkomme. Sie sei gerade so schön in Übung. Na, da habe ich eben gemacht, dass ich wegkomme. Ich hatte nicht das Bedürfnis, mich mit der anzulegen. Vermutlich hätte die mich auch noch erledigt.“ Philip grinste verlegen.
„Die hier muss jedenfalls schnellstens von hier weg und in die Waagerechte“, erwiderte Daniel besorgt auf seinen Schützling blickend.
Das halb bewusstlose Mädchen wurde in Daniels Zimmer gebracht und von Susan ins Bett gelegt. Hilflos ließ sie alles mit sich geschehen.
„Die Kleine hat eine ordentliche Gehirnerschütterung, ansonsten hat sie nur ein paar blaue Flecken“, meinte Susan unvermittelt.
„Was zum Teufel habt ihr mit ihr angestellt?“
Mit gefährlich blitzenden Augen sah sie Philip und Daniel an.
„Wir erstmal überhaupt nichts“, antwortete Philip leicht pikiert.
„Das Pferd ist mit ihr durchgegangen, nachdem vier üble Kerle sie und eine andere Lady bedrängten. Nach dem Horn auf ihrer Stirn zu urteilen, muss sie in vollem Galopp gegen einen tiefhängenden Ast gerauscht sein.“
Susan schnitt energisch das Gemüse für das Mittagessen klein.
„Die Kleine braucht mindestens zwei Tage Bettruhe“, sagte sie bestimmt.
„Wisst ihr, wer sie ist?“ Philip antwortete mit einem entschiedenen: „Nein!“
„Doch“, sagte Daniel ernst.
„Ich brauche etwas zum Schreiben und einen absolut verlässlichen Botenjungen.“
Mit diesen kurzen Worten nahm er sich, was er brauchte, setzte sich an den Tisch und schrieb. Susan und Philip sahen sich verblüfft an, fragten aber nicht weiter, da es ihnen im Moment zwecklos erschien.
Der Botenjunge war schnell geholt. Das versiegelte Schriftstück wurde ihm ausgehändigt, dazu ein angemessener Lohn, welcher sich verdoppeln sollte, wenn der Auftrag zufriedenstellend ausgeführt war. Das Schreiben musste umgehend zu Lenox Castle gebracht werden.
„Kannst du uns jetzt mal aufklären?“, fragte Philip etwas ungehalten. Er hasste es, den Unwissenden abgeben zu müssen.
„Ich habe eine Nachricht an Lenox Castle geschrieben, um denen mitzuteilen, dass Prinzessin Lizzy leicht verletzt, aber in Sicherheit ist und bla, bla, bla.“
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