Königin Margaret versorgte indes ihren Sohn mit Informationen, über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes, sowie über anstehende Pläne des Königs und seines aufstrebenden und jüngsten Sohnes Damian, welcher im Charakter und in seiner perfiden Entschlossenheit ganz den Wünschen seines Vaters entsprach.
Die Sorgen und Nöte im Land nahmen stetig zu.
Daniel und Philip entschlossen sich irgendwann, eine Untergrundbewegung zu gründen. Philip als aktives, Daniel als passives Mitglied. Mit überaus fähigen Anhängern hatten sie es sich zur Aufgabe gemacht, An- und Übergriffe auf Dorfbewohner und Bauern durch die Schergen des Königs zu zerschlagen.
Obwohl Daniel hinlänglich über die Situation im Lande unterrichtet war, so war es ihm dennoch unmöglich, in irgendeiner Form in Erscheinung zu treten, um selbst an den Handlungen der Untergrundbewegung teil zu nehmen. Einerseits würde seine Fechtweise, die nur er beherrschte, auffallen und ihn verraten. Andererseits hatte der König ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt.
Später klagte man den Thronfolger des Hochverrates am Königshaus an. Man durchsuchte das ganze Land und drohte jedem, der dem Kronprinzen in irgendeiner Form half, mit Kerker und Tod.
So blieb Daniel nichts weiter übrig, als Philip mit Informationen aus dem Schloss zu versorgen und am Leben zu bleiben, solange es ging. Er musste im Verborgenen bleiben, bis irgendwann seine Zeit kommen würde.
Daniel hatte die zappelnde Lily aus der Spankiste gehoben, sie gesäubert und in ihr Kleidchen gesteckt. Die Hobelspäne waren schnell wieder zusammengefegt. Lily blieb nicht untätig. Flink hatte sie einen Pinsel ergriffen, ihn in ein halb verschlossenes Farbglas getaucht und stillschweigend ein frisch gehobeltes Holzbrett damit bemalt. Die trügerische Ruhe in der Werkstatt machte Daniel stutzig. Als er die letzten Späne in die Holzkiste geschüttet hatte und sich nervös zu Lily umdrehte, hatte die ihr Kunstwerk schon fast beendet. Skeptisch betrachtete sie ihre Arbeit.
„Wie malt man einen Hasen?“, fragte sie lispelnd.
Daniel zuckte ratlos die Schultern.
„Vielleicht so?“ Mit Lilys beschmiertem Pinsel malte er einen Hasen, der auch eine Katze oder ein Hund mit langen Ohren hätte sein können, auf das Holzbrett. Den Kopf schief haltend, betrachteten nun beide aufmerksam das Gemälde.
Lily war zufrieden. Flugs sauste sie aus der Werkstatt, geradewegs in den Garten.
Mit einem Hobel bewaffnet machte sich Daniel daran, das Kunstwerk vom teuren Mahagoniholzbrett zu entfernen. Danach wurden alle andern Farbspuren der vorangegangenen Missetat beseitigt.
Dunkle Wolken hatten den Himmel verfinstert. Von Weitem war Donnergrollen zu vernehmen. Daniel befürchtete, dass es jeden Moment zu regnen beginnen würde. Er fand Lily vergnügt spielend auf dem Komposthaufen im Garten. Flink schnappte er sich das kleine Mädchen, legte einen Arm um die Hüfte des vor Freude quietschenden Kindes und trug es waagerecht unter seinen Arm geklemmt ins Haus.
Bevor sich Susan auf den Weg in die Kirche gemacht hatte, hatte sie den Mittagstisch gedeckt. Lily setzte sich geschwind auf ihren Platz, öffnete ihre kleinen Fäustchen und ließ eine ansehnliche Anzahl Schnecken, die sie auf dem Kompost aufgesammelt hatte, auf den Teller ihres Vaters kullern.
Daniel setzte sich neben das Kind, um dem Schauspiel, welches sich nun anzubahnen schien, gespannt zusehen zu können.
Ihn faszinierte es immer wieder aufs Neue, wie Lilys kleine, ungeschickte Fingerchen oft nicht das taten, was ihre Besitzerin von ihnen verlangte.
Die ersten Schnecken streckten neugierig ihre Köpfe aus dem Kalkgehäuse, bevor sie zaghaft ihre Fühler ausrollten. Entschlossen schoben sich die Tierchen träge über den Tellerrand. Von dort verteilten sie sich über den gesamten Küchentisch. Es wurden Wetten abgeschlossen, welches Tierchen als erstes das Besteck von Lilys Mutter erreichen würde.
Gespannt feuerte Lily eines der träge dahin kriechenden Tierchen, das sie als ihren Favoriten ausgewählt hatte, an. Als es nun aber am spannendsten wurde, musste das Spiel abrupt abgebrochen werden. Daniel hatte unvermittelt zur Uhr gesehen und war erschrocken.
„Oje, deine Mutter wird verrückt, wenn sie das hier sieht.“ Besorgt sah er auf den sonntäglich gedeckten Tisch, der nun so gar nicht mehr sonntäglich aussah.
„Hältst du dicht?“, fragte er das Kind. Die Kleine rümpfte verschwörerisch die Stupsnase.
„Jawohl“, sagte sie entschieden.
„Dann sause los und wasche dir die Finger. Ganz fix, ja!“ Lily fegte wie ein Wirbelwind aus der Küche, die Händchen voller Schnecken, welche sie vom Küchentisch aufgesammelt hatte. Flugs schüttelte sie die Tierchen über Susans fein säuberlich angelegtes Salatbeet aus, bevor sie sich brav die klebrigen und schmutzigen Hände in der Regentonne wusch. Daniel begann eilig den Tisch vom Schneckenschleim zu befreien. Von draußen hörte man bereits Philips und Susans Stimmen. Susan war eine liebevolle, aber ebenso resolute und energische Person, die sich sprichwörtlich gesagt „Die Butter nicht vom Brot nehmen ließ“. Da keine Zeit mehr war, die Teller gegen frisch gewaschene auszutauschen, wischte Daniel mit dem Abwaschlappen einfach die schleimträchtigen Teller und das Besteck ab. Er hatte gerade noch Zeit, den Lappen ungesehen verschwinden zu lassen, als auch schon die Tür aufging.
Unschuldig blickend saß Lily auf ihrem Stuhl.
„Gibt es heute Nachtisch?“, fragte sie mit Piepsstimme die Mutter. Susan befreite sich vom Sonntagsstaat. Während sie sich die Schürze umband, blickte sie sich prüfend im Zimmer um. Da sie nichts Auffälliges bemerkte, wandte sie sich ihrer fragend guckenden Tochter zu. „Keinen Unsinn gemacht?“
Lily schüttelte heftig verneinend den Kopf. Susans nächste Frage galt Daniel.
„Keinen Unsinn gemacht?“
Auch er schüttelte mit bester Unschuldsmiene den Kopf. Dass die beiden Gefragten die Finger auf dem Rücken gekreuzt hatten, sah nur Philip, der amüsiert in sich hineinlachte.
„Es gibt Nachtisch“, beantwortete Susan nun die Frage ihrer Tochter.
Dass allerdings Philip das Nachsehen beim Essen hatte, erfuhr er nie. Sein Teller war der einzige, den Daniel in aller Eile vergessen hatte, vom Schneckenschleim zu befreien.
2. Kapitel
Susan räumte den Frühstückstisch ab.
„Macht euch endlich los, ihr stört mich hier gewaltig. Das Ahornholz kommt nicht von allein in die Werkstatt.“ Unwirsch schob sie die beiden Männer aus der Küche.
„Na gut, satteln wir die Pferde und gehorchen der lieben Ehefrau“, sagte Philip grinsend.
Lily kam in den Pferdestall gelaufen. Ihr frisch angezogenes Kleidchen wies eine gehörige Anzahl hellroter Himbeerflecken auf.
„Lily will auch mit!“, sagte sie mit Piepsstimme und blickte auffordernd von ihrem Vater zu Daniel und wieder zurück.
„Spätzchen, du kannst nicht mitkommen“, sagte Philip.
„Dad muss arbeiten. Wir spielen, wenn ich zurück bin, versprochen.“ Lily verschlang schmollend die Arme vor ihrer Brust.
Ihre Unterlippe begann gefährlich zu zittern, während das erste Tränchen aus ihren Augen kullern wollte.
Daniel ließ sich schließlich erweichen. Ohne jegliche Vorwarnung schnappte er sich die Kleine und setzte sie auf den gesattelten Rücken seines Pferdes.
„Du hältst dich jetzt schön am Sattel fest und dann darfst du da oben ganz allein einmal um das Haus reiten“.
Während Daniel die Zügel in die Hand nahm und das Pferd langsam und bedächtig um das Gebäude führte, jauchzte die Kleine ausgelassen.
Philip sah lächelnd seiner Tochter nach. Wieder im Stall angekommen, nahm Daniel Lily sachte vom Pferd, um sie auf einen Strohballen zu setzen.
„Das war aber schön“, lispelte sie strahlend.
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